Pervasive Computing sieht Migration auf Netware 4.1 vor Novell laesst sich beim Networking die Butter nicht vom Brot nehmen

20.01.1995

MUENCHEN (pg) - Novell versucht Licht ins Dunkel des "Pervasive Computing" zu bringen. Auf einer Pressekonferenz in Muenchen skizzierte der frischgebackene Geschaeftsfuehrer der Novell GmbH, Andreas Zeitler, Netware 4.1, Unixware 2.0 sowie Perfect Office 3.0 als Eckpfeiler der juengsten Novell-Strategie. Ausserdem richtete Zeitler eine deutliche Kampfansage an die Adressen von Microsoft und Lotus.

In die vollen ging der seit 1. Januar 1995 in Amt und Wuerden befindliche neue Deutschland-Chef von Novell bei seinem ersten offiziellen Auftritt. Bis zur Jahrtausendwende, so Zeitler, beabsichtigt Novell, eine Milliarde Anwender ueber Netware zu vernetzen. Zur Orientierung: Derzeit wird die Netware-Gemeinde weltweit auf rund 70 Millionen Nutzer geschaetzt. Den Quantensprung auf eine Milliarde User moechte die Company durch die neue Strategie des Pervasive Computing in die Tat umsetzen. Die Philosophie des zu Deutsch "durchdringenden Computing" hatte Bob Frankenberg, Nachfolger von Novell-Gruender Ray Noorda, im Herbst des vergangenen Jahres verkuendet.

Hinter Pervasive Computing verbirgt sich die Novell-Vision eines umfassenden Informationszugriffes fuer jedermann, jederzeit und ueberall. Schluesselkomponenten bei der Umsetzung dieses Zieles sollen zunaechst Netware 4.1, Perfect Office und Unixware 2.0 sein, unterstuetzt durch die Technologien Corsair, Netware Embedded System Technology (NEST), Netware Connect Services, Super-NOS, Groupwise, Netware Directory Services sowie Netzwerk-, System- und Applikations-Management (siehe Abbildung 1 und 2).

Als besonders treibende Kraefte auf dem Weg zu einer Milliarde Anwendern werten die Novell-Strategen unter den genannten Punkten die Netware Connect Services und NEST. Netware Connect Services ist ein globales und oeffentliches Datennetz, das Novell derzeit zusammen mit AT&T sowie weiteren Unternehmen realisiert. In dem Netzwerk wird Netware 4.1 als Zustelldienst fuer alle Produkte und Services fungieren. NEST repraesentiert eine Technik, die mit Hilfe von Partnerschaften in intelligenten chipgesteuerten Geraeten zum Standard werden soll. In Zukunft werden Netware-Netze dann nicht mehr nur Computer und Drukker umfassen, sondern auch Verbindungen von PDAs, Kopier- und Faxgeraeten, Set-top-Boxen, Telefonen sowie Steuereinheiten fuer Heizungs- oder Lueftungsanlagen.

Wichtigste Basis fuer den Aufbau effizienter Informationsstrukturen zum Zwecke des Pervasive Computing ist nach Ansicht des Novell- Managements Netware 4.1. Das Enterprise-Network-Betriebssystem kommt Novell zufolge Anfang Februar in internationaler Ausfuehrung auf den deutschen Markt und soll 1995 bereits ueber 50 Prozent des gesamten Umsatzes erwirtschaften.

Wie ehrgeizig die Plaene Novells in Sachen Netware 4.1 sind, dokumentiert nicht nur das Umsatzziel, sondern auch die deutliche Kampfansage an Microsoft:

"Wir lassen uns im Bereich der Netzwerk-Betriebssysteme von Microsoft die Butter nicht vom Brot nehmen", warnt Zeitler und beschuldigt die Gates-Company, derzeit stark emotional und unter der Guertellinie gegen Novell vorzugehen. Der Geschaeftsfuehrer warf seinerseits Microsoft eine bislang aeusserst wankelmuetige Netzstrategie vor und bekraeftigte den Vorsatz seines Unternehmens, die beherrschende Marktstellung von Netware mit weltweit rund 65 Prozent zu verteidigen (vgl. Grafik).

Den Analysten von IDC zufolge verbucht Netware 4.0 gegenwaertig etwa zehn Prozent des Marktanteils fuer sich. Das Netzwerk- Betriebssystem blieb damit allerdings seit seiner Markteinfuehrung 1993 weit hinter den Erwartungen zurueck, die das Novell-Management in das Produkt gesetzt hatte. Schuld an der mangelnden Akzeptanz trugen Kinderkrankheiten, insbesondere bei den Netware Directory Services, die, so Product Marketing Manager Gerhard Beisheim, bisher nur sehr umstaendlich zu bedienen waren.

"Netware 4.0 kam zu frueh auf den Markt und hat Novell geschadet", raeumte auch Zeitler Fehler bei den Vorgaengerversionen von Netware 4.1 ein. Doch mit den Kinderkrankheiten soll in der neuen Version endgueltig Schluss sein. Die Netware Directory Services werden Beisheim zufolge in Netware 4.1 flexibler zu handhaben sein. Als Beispiele nannte der Product Manager die Integration getrennter Verzeichnisbaeume sowie die Option, nur Teile davon zu transportieren.

Um den Anwendern die Migration von Netware 3.x auf Netware 4.1 schmackhafter zu machen, wird das neue Release das Migrations-Tool "Netsync" enthalten. Das Utility ermoeglicht Netzadministratoren die zentrale Verwaltung von Netware-3.x-Servern aus Netware 4.1 heraus. Erweiterte Routinen sollen ausserdem mehr Flexibilitaet bei der nachtraeglichen Strukturaenderung der Netware Directory Services bieten.

Zur Standardausruestung des Netzwerk-Betriebssystems gehoert kuenftig auch Netware/IP. Kunden haben dadurch die Entscheidungsfreiheit, wahlweise IPX/SPX oder TCP/IP auf den Clients einzusetzen. Bestandteil des neuen Produktes sind ferner Netware 4.1 fuer OS/2, um PCs unter sowohl Netware 4.1 als auch OS/2 ohne weitere Hardware nutzen zu koennen. Zum Lieferumfang von Netware 4.1 zaehlt ferner eine Software zur Integration von Macintosh-Rechnern mit vollstaendiger Nutzung der Directory Services.

Im Netware-4.1-Paket sind darueber hinaus Multiprotokoll-Routing, Messaging sowie die Server-Spiegelung SFT III enthalten. Der eingebaute, softwarebasierte Multiprotokoll-Router unterstuetzt die Protokolle IPX/SPX, TCP/IP und Appletalk sowie das Netware Link Services Protocol (NLSP), einen Routing-Algorithmus von Novell, zur Realisierung von WANs. Netware Messaging soll in Netware 4.1 eine Plattform fuer Nachrichten schaffen, die E-Mail-Applikationen wie Groupwise, MS-Mail sowie auf Netware MHS basierende Anwendungen bedient. Mit SFT III besitzt Netware 4.1 schliesslich ein Sicherheitsmerkmal, das laut Novell den weiteren Netzbetrieb bei komplettem Ausfall eines der beiden Server gewaehrleistet.

Einen Kick wollen die Novell-Strategen ihrem Network Operating System durch eine aggressive Marketing-Politik geben. So sollen die Preise fuer Netware 4.1 im Vergleich zu den Vorgaengerversionen gesenkt und auf dem Niveau von Netware 3.12 eingependelt werden. Einen zusaetzlichen Koeder legt Novell mit der additiven Lizenzierung aus. Kunden koennen kuenftig Lizenzen entsprechend der tatsaechlichen Anzahl der Anwender in den Paketgroessen fuenf, zehn, 25, 50, 100, 250 und 1000 Benutzer erwerben.

Doch nicht nur in puncto Netware 4.1 hegt Novell grosse Plaene. Auch fuer den Suite-Markt hat Bob Frankenberg die Parole Angriff ausgegeben. Erklaertes Ziel fuer 1995 ist Zeitler zufolge, Lotus, der Nummer zwei in diesem Marktsegment, den Rang abzulaufen. Dem Konkurrenzprodukt "Smartsuite" will Novell mit Perfect Office 3.0 zu Leibe ruecken und nach Moeglichkeit auch Anwender von "Microsoft Office" abspenstig machen.

Ab sofort wird in Deutschland Perfect Office optional in den Versionen Standard oder Professional erhaeltlich sein. Das Basispaket enthaelt die Textverarbeitung "Wordperfect", die Tabellenkalkulation "Quattro Pro", die Praesentationsgrafiken "Wordperfect Presentations", den Information-Manager "Info Central", das Publishing- und Anzeigemodul "Envoy" sowie "Groupwise", einen Client fuer E-Mail, Kalender und Terminplanung. Perfect Office Professional beinhaltet neben den genannten Anwendungen die relationale Datenbank "Paradox" und das grafische Entwicklungs-Tool "Visual Appbuilder".

Das Produkt ist laut Novell das erste Office-Paket, das OLE-2.0- Funktionalitaet in fuenf Applikationen bietet. Mit OLE 2.0 koennen Benutzer per Drag and drop Daten zwischen den Perfect-Office- Programmen austauschen. Die Suite unterstuetzt ferner das Open Document Management API (ODMA).

Chancen, erfolgreich in den Suite-Markt einzudringen, rechnet sich Novell auch aufgrund einer IDC-Umfrage aus, der zufolge 80 Prozent der Suite-Anwender gegenwaertig mit ihrer Software unzufrieden sind. Das US-Unternehmen aus Provo, Utah, will dem Ergebnis der Studie durch mehr Aufgaben- statt Programmorientierung in der Suite Rechnung tragen. Die Integration von Quick Tasks in allen Programmen sowie Workgroup-Funktionen wie das Publishing-Tool Envoy oder der Groupwise-Client sollen fuer eine anwenderfreundlichere Bedienung sorgen.

Seinen Beitrag zum Pervasive Computing leistet Perfect Office 3.0 nach Ansicht der Novell-Verantwortlichen dadurch, dass es eine "netzwerkfaehige" Applikation ist. Im Klartext heisst das: Die Anwendung nutzt Netzdienste wie zum Beispiel die Netware Directory Services von Netware 4.1 und gestaltet dadurch den Netzzugang von der Rechneroberflaeche aus fuer den User einfacher und transparenter.

Gefallen an Perfect Office sollen Anwender durch eine Upgrade- Offerte von Novell an alle Wordperfect-, Quattro-Pro- und Netware- Nutzer finden. Fuer 469 Mark beziehungsweise 849 Mark besteht je nach Version die Moeglichkeit, zu Sonderkonditionen auf das Suite- Paket umzusteigen. Der Erfolgsdruck lastet jedenfalls schwer auf Novell Deutschland. Von 194 Millionen Dollar anvisiertem Umsatz im laufenden Geschaeftsjahr muss die Wordperfect-Division 28 Millionen Dollar einfahren. Das bedeutet eine Steigerung im Vergleich zum Vorjahr von rund 40 Prozent.

Letzte Schluesselkomponente im Bunde des strategischen Pervasive- Computing-Trios ist Unixware 2.0. Novell war auf der Pressekonferenz sichtlich bemueht, die Botschaft "Novell ist Unix" zu vermitteln. "Die Zeit der Lehrjahre und des Lehrgeldes ist vorbei", beschwor Thomas Duda, Vertriebsleiter fuer Unix, den neuen Unix-Geist bei Novell. Unternehmensintern wuerden, so Duda, Netware und Unixware anders als frueher nicht mehr konkurrieren. Die Konsequenz: Auch fuer den Anwender bestehe heute kein Zwang mehr, sich entweder fuer Netware oder fuer Unix zu entscheiden.

Novell versucht im Rahmen der Pervasive-Computing-Strategie, das 32-Bit-Betriebssystem fuer Einzel- und Multiprozessor-Systeme als Plattform fuer unternehmenskritische Applikationen zu positionieren. Auf diese Weise soll Unixware 2.0 im Front-end- Bereich eine tragende Saeule der Novell-Philosophie werden und in dieser Funktion mit Netware-Servern harmonieren. Den Desktop hat Novell Windows ueberlassen.

Novell zielt mit dieser Strategie auf die ueber 70 Millionen Unix- Anwender und 400 Unix-Lizenznehmer. Zur Erinnerung: Novell hatte das Branding fuer Unix 1993 an die X/Open uebertragen. Ziel des Unternehmens ist, mittelfristig 50 Prozent des Intel-basierten Unix-Marktes zu erobern.

Zug um Zug soll die Funktionalitaet von Unixware, wie Novell mitteilte, weiter ausgebaut und mit der von Netware verschmolzen werden. Netware Directory Services und Netware fuer Unixware sowie Microkernel, Clustering und Massively-parallel Processing sind Stichworte, die in diesem Zusammenhang bei Novell fallen und zu dem sogenannten Super-NOS fuehren sollen. Ueber dessen Definition scheint Novell-intern jedoch noch kein Konsens zu bestehen. Waehrend die einen davon ausgehen, dass Netware und Unixware einen gemeinsamen Microkernel erhalten und zu einem Super-NOS zusammenwachsen, betrachten andere das Super-NOS als Plattform, auf dem Netware und Unixware als Services aufsetzen. Rasche Klarheit tut Not, verspricht Novell dem groessten Club der Welt - den Novell-Anwendern - doch Zukunftssicherheit.