Personalprobleme häufig unterschätzt

25.02.1983

Udo Frenzel Battelle Institut e.V. Frankfurt

Diffusionsbreite und -geschwindigkeit neuer Technologien werden getragen von dem Technologie- und Produktwettbewerb (Qualität und Preis) auf den nationalen und internationalen Märkten. Sie wirken tendentiell diffusionssteigernd. Softwareprobleme wirken bisher nach aller Erfahrung entgegengesetzt.

Nachdem die Hersteller vielleicht allzu euphorisch häufig von der "integrierten und optimalen Lösung" gesprochen haben und die Werbeabteilungen nach wie vor sprechen, verlangen zum Beispiel im Bereich der Lokalen Netze die Anwender bereits heute nach dieser allumfassenden optimalen Lösung ihres Kommunikationswirrwarrs. Da es sie noch nicht gibt und man natürlich "nur in eine endgültige Lösung investieren will und nicht in Zwischenlösungen", verhalten sich die Anwender vorerst eher abwartend. Die wesentlichen Gründe für eine derartige Haltung zum Beispiel hinsichtlich der Implementierung von LANs sind:

- Die Investitionskosten sind noch sehr hoch, die Wirtschaftlichkeit derartiger Systeme für viele noch umstritten.

- Die Anwender sind sich häufig über den wirklichen Nutzen noch nicht im klaren.

- Die Kommunikationssystemlandschaft ist kaum mehr überschaubar bunt geworden, die Scheu, sich an einen Hersteller mehr oder weniger zu binden, nach den negativen Erfahrungen mit der EDV groß geworden.

- Endlose Expertendiskussionen haben den Anwender eher verwirrt als aufgeklärt (Ethernet versus Token Exchange, LAN versus PABX, Basisband versus Breitband u. ä.)

- Die in vielen Fällen geweckten großen Erwartungen hinsichtlich einer automatischen Kompatibilität aller Endgeräte konnten bisher nicht erfüllt werden.

- Die meisten Unternehmen können die Auswirkungen auf ihre Organisationsstruktur wie auf die Qualifikation ihrer Mitarbeiter noch nicht einschätzen.

- Und last, but not least: Die allgemein seit mehreren Jahren zu niedrige Investitionsneigung zeigt auch hier deutliche Bremsspuren.

Der Diffusionsprozeß verläuft nach aller Erfahrung prozyklisch zur Konjunkturentwicklung, das heißt, bei günstiger wirtschaftlicher Entwicklung ist die Diffsionsgeschwindigkeit höher als in rezessiven Phasen. Dabei sollte man nach meiner Meinung viel stärker überlegen, wie man im Bereich der Modernisierung der Volkswirtschaft hier einen antizyklischen Investitionsverlauf initiieren könnte, möglicherweise mit etwas mehr unternehmerischem Risikobewußtsein, als wir dies heute erkennen können! Dann bestünde die Chance, wenigstens auf diesem Technikgebiet mit vorn zu sein und nicht nach versäumter Chance nach Marktabschottungsmaßnahmen zu rufen.

Insbesondere wegen der dramatischen Entwicklung am Arbeitsmarkt, die uns - entgegen manchen vorschnellen Hoffnungen über die "segensreichen" Auswirkungen des Geburtenrückganges - noch bis weit in die 90er Jahre ins Haus stehen wird, scheint Ideenreichtum mehr denn je notwendig zu sein.

Das in günstigen Konjunkturphasen früherer Jahre zu beobachtende strukturelle Wachstum der Arbeitsplätze bei technologisch und ökonomisch erfolgreich am Markt operierenden Unternehmen ist durch die ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse seit Mitte der 70er Jahre weitgehend verlorengegangen. Bei nach wie vor ungünstiger Konjkturlage drückt eine zu geringe Diffusionsgeschwindigkeit der modernen Elektronik auch auf die Beschäftigung in der Elektrotechnik. Nur wenige Unternehmen in dieser Zukunftsbranche haben in den letzten Jahren ihren Personalbestand gehalten oder gar aufgestockt. Personalabbau ohne Entlassungsaktionen durch natürlichen Abgang wird heute schon als Erfolgsmeldung gefeiert, obwohl er bei gleichzeitig steigendem Arbeitskräfteangebot stark steigende Arbeitslosigkeit zwangsläufig nach sich zieht. Insofern kann es Oberhaupt nicht verwundern, daß die häufig ins Feld geführten arbeitsplatzschaffenden Effekte der Herstellung neuer Technologien immer stärker in Zweifel gezogen werden, auch wenn die arbeitsplatzerhaltenden Effekte unbestritten sind.

Tatsachen nüchtern sehen.

Der Arbeitsplatzverlust in der klassischen Büromaschinenbranche war bisher weitaus höher als der Arbeitsplatzgewinn in der Computer- und Telekommunikationsindustrie. Relativ gesehen steht die Elektrotechnik heut kaum besser da als der Maschinenbau. Diese Tatsache müssen wir nüchtern sehen. Wenn den erkennbaren technikbedingten Personaleinsparungseffekten keine überkompensierenden Marktexpansionseffekte gegenüberstehen, kommt es zwangsläufig - wie seit 1981 zu beobachten ist - zum Personalabbau mit allen negativen Folgen für die Volkswirtschaft bis hin zum System der sozialen Sicherung in einer als sozial definierten Marktwirtschaft.

Ohne weitergehende Maßnahmen im Bereich der Arbeitsplatzpolitik - einem nach wie vor sensiblen Bereich kann es nur bei einem realen Wirtschaftswachstum von über vier Prozent pro Jahr zu einer Stagnation der Arbeitslosenzahlen kommen. Ein Abbau der Arbeitslosigkeit erfordert ein noch höheres Wachstum, das allerdings nach Kenntnis der weltwirtschaftlichen Zusammenhänge kaum realistisch erscheint. Über den Zeitraum 1977 bis 1983 wird in unserem Land vermutlich nur ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von real zwei Prozent pro Jahr erreicht werden. Wenn dieser Trend nicht aufgehalten werden kann auch die Informations- und Kommunikationstechnologien sind als partielle Lösungssätze stärker als bisher in Betracht zu ziehen - kommt es zu einer weiteren Verschlechterung der Lage am Arbeitsmarkt.

Dabei wird häufig noch übersehen, daß Haushalte mit einem arbeitslosen Haushaltungsvorstand keine kaufkräftigen Haushalte sind; die Einbußen des Handels im Jahre 1982 gerade in Regionen mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit zeigen das besonders eindringlich. Bei der Durchdringung der Haushalte mit neuen Informationstechnologien wird es um mehr gehen als nur um die Frage früherer Jahre, ob man ein Auto sich leisten kann oder nicht. Das gesellschaftliche Konfliktpotential ist hier weitaus höher beziehungsweise Oberhaupt erst gegeben. Diese Fragen werden bisher fast nur am Rande von Veranstaltungen gestellt oder diskutiert.

Sozial- und gesellschaftspolitisch motivierte Vorstellungen haben bisher eher dämpfend auf die Diffusionsgeschwindigkeit gewirkt insbesondere wenn Zielkonflikte bestehen (Humanisierung/Rationalisierung), gravierende negative Arbeitsmarktwirkungen erkennbar und alternative Technologiestrategien gegeben sind. Dies mag - neben Konjunktureinflüssen und den bisher unerfüllten (vielleicht zu hohen) Erwartungen der Anwender - ein Erklärungsgrund dafür sein, daß die Diffusion der Mikroelektronik insgesamt bisher langsamer verlaufen ist, als noch vor wenigen Jahren geschätzt wurde. Auch Personalprobleme wurden in diesem Zusammenhang häufig unterschätzt. Bedauerlicherweise werden Weiterbildungs- und Qualifizierungsprogramme häufig zuerst vom Rotstift erfaßt. Häufig müssen hier heute Englischkurse als Feigenblatt dienen, weil andere Initiativen stark eingeschränkt oder ganz gestrichen wurden. Ähnliches gilt für die in der Regel viel zu kurz Kalkulierten Einführugslehrgänge beim Einsatz neuer Technologien, die die bereits häufig vorhandene Akzeptanzhürde bei den Mitarbeitern eher noch erhöhen.

Eines sollten wir nicht vergessen, vielleicht ist es sogar der Schopf, an dem wir uns aus dem Schlamm ziehen können: Je stärker die neuen Techniken - und das gilt nicht nur für die Kommunikationstechniken - zu mehr Selbständigkeit und anspruchsvolleren Aufgabenstellungen fuhren, desto eher sind die Beteiligten (Unternehmen und Haushalte) zum konstruktiven Mitwirken zu gewinnen. Dies könnte einer der entscheidenen Impulse für eine zukunftsgerichtete Initiative sein (manche sprechen sogar von einem nationalen Ziel oder einer Vision), die aus dem gerade in letzter Zeit häufig artikulierten Gefühl eines Endes mit Schrecken hinsichtlich der Arbeitsmarktsituation wie unserer Gesellschaft in den 80er Jahren in ein zukunftgerichtetes Konzept münden könnte, für das anzustrengen es sich lohnen sollte und sicher auch würde!