Personaler: Strategen in der Dauerkrise

23.05.2005
Von 
Winfried Gertz ist Journalist in München. Er arbeitet in einem Netzwerk von zahlreichen Anbietern kreativer Dienstleistungen. Das Spektrum reicht von redaktioneller Hörfunk- und Fernsehproduktion über professionelle Fotografie bis zu Werbetexten für Industrieunternehmen und Non-Profit-Organisationen.

IT-Industrie trainiert nur Skills der Mitarbeiter

Was Unternehmen tun sollten, um sich mit einheimischen Mitarbeitern gegen die Billig-konkurrenz zu behaupten, kann jedoch auch Hira nicht erschöpfend sagen. Attraktive Arbeitsplätze und gute Weiterbildung seien nützliche Strategien im Wettbewerb um den Nachwuchs, falls man den überhaupt noch will. Die IT-Industrie müsse sich den Vorwurf gefallen lassen, bei ihren Mitarbeitern hauptsächlich Fertigkeiten (Skills) zu trainieren. Ihnen fehle das Wissen, wie sie immer weiter lernen könnten, sie seien im zunehmend internationalen und wettbewerbsintensiven Arbeitsklima überfordert und „können mit Unsicherheit kaum umgehen".

Eine Kritik, der sich auch der Wirtschaftswissenschafts-Professor Stephane Garelli von der Lausanner Business School IMD anschloss. Viele Unternehmen seien auf den bevorstehenden Andrang hoch qualifizierter junger Menschen aus dem Osten unvorbereitet. Allein in China verlassen Schätzungen zufolge pro Jahr 600.000 Ingenieure die Hochschulen. Viele suchen ihr Glück in unseren Breiten. Die „Talente von morgen“, so Garelli, seien energisch und voller Entscheidungsfreude und mit dieser Einstellung ihren Konkurrenten im Westen weit überlegen.

Sprengstoff liege in der demografischen Entwicklung der westlichen Industriestaaten. Dazu kämen der Jugendwahn in den Unternehmen und eine damit kompatible Gefälligkeitspolitik: „Dass in Italien 62 Prozent der Beschäftigten bereits mit 55 in Rente gehen, wird uns noch teuer zu stehen kommen.“

Turnaround bei Reuters

Viele Personalabteilungen haben gegen diese Probleme noch keine Strategie entwickelt. Wie sie zum Unternehmenserfolg beitragen, bleibt oft ein Rätsel. Dass es auch anders gehen kann, zeigten auf Rhodos Yahoo, Nokia und Reuters. Ihre „Turnaround-Stories“ ließen ahnen, worauf sich Unternehmen einlassen müssen. Von einem viel versprechenden Projekt berichtete John Reid-Dodick, seit vier Jahren Chef-Organisationsentwickler am Reuters-Hauptsitz in London. Im Februar 2003 musste die Nachrichtenagentur, die drei Jahre zuvor 20 000 Mitarbeiter beschäftigt und ihren Aktienkurs auf 16 britische Pfund hochgetrieben hatte, erstmals rote Zahlen veröffentlichen. „Die Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit“, erinnerte sich Reid-Dodick, „befanden sich ebenso wie der Aktienkurs im Sinkflug.“ Reuters verhedderte sich mit den 1300 Produkten und fand heraus, dass sich viel zu wenige Mitarbeiter für Führungsaufgaben eigneten. Nur eine Kehrtwende konnte das Unternehmen vor dem Aus bewahren.