Mitarbeiter ohne Weiterbildung degenerieren zu Wegwerf-Arbeitern:

Personalchefs sind für die 90er schlecht gerüstet

06.11.1987

FRIEDRICHSHAFEN - Der bundesdeutsche Personalverantwortliche steckt mit seinen klassischen Strategien in der Sackgasse: Die Qualifikation der Mitarbeiter dominiert als Wettbewerbsfaktor Nummer eins. Doch Fortbildung behandeln Führungszirkel häufig immer noch als beiläufiges Reparatur-Thema".

Ihr Leidensdruck nimmt seit den siebziger Jahren mit dem Mangel an geeigneten "Human Resources" zu "Ohne ständige Qualifizierung können wir die Überlebensfähigkeit der Unternehmen, des einzelnen Berufstätigen und der Gesellschaft nicht sichern." Auf diese Formel brachte Rolf Kurz, Mitglied des Vorstandes des Bildungswerkes der Baden-Württembergischen Wirtschaft (BBW), die vordringliche Aufgabe des Personalmanagers auf dem diesjährigen Bodenseeforum über "Neue Technologien und zielorientierte Personalentwicklung". Denn weiterhin gilt: Jedes Unternehmen ist nur so gut wie seine Mitarbeiter. Je weniger also die "verfügbare Qualifikation" eines Betriebes ausgestattet sei, sekundierte Referent Erich Staudt, desto wahrscheinlicher wäre auch die rote Karte im Marktgeschehen.

Doch die Personalchefs sind für die 90er Jahre nur mangelhaft gerüstet. Zwischen Erkenntnis und Handeln nämlich erscheint dem Professor aus Bochum die Differenz noch erheblich. Die über 100 Unternehmer und Personalchefs aus Betrieben wie etwa der Dornier GmbH, der mtu Motoren- und Turbinen-Union oder der Vorarlberger Kraftwerke AG bekamen denn auch ihre Lektion erteilt: Das Leistungspotential der Mitarbeiter zu entwickeln, sei für deutsche Führungszirkel häufig beiläufiges "Reparatur-Thema".

Vor allem der Einsatz der Mikroelektronik als "Engpaß-Technik" bringt Schnittstellenprobleme. Zusammen mit dem Führungsmann, so Staudt, sei auch der Personalarbeiter völlig desorientiert. Denn klassische Qualifizierungs-Muster funktionierten nicht mehr. Als Beweis dienten dem Professor von der Ruhr-Universität jene 60 Prozent der Bürotechniksysteme, die hierzulande als Investitionsruinen in den Verwaltungen ungenutzt verstaubten. Der Computer sei noch eine "unreife Technik", jede neue DV-Generation also eine "notwendige Fehlentwicklung". Unternehmerische Aufgabe wäre es daher, mit der Personal-Konzeption in den Vorlauf zur technischen Entwicklung zu gelangen. Dann erst werde die Elektronik zur "Entlastungs-Technik".

Dabei entsprechen künftige Anwendungsfelder nicht mehr dem Verschnitt konventioneller Fachgrenzen. Nur mit der "Up-to-date-Qualifikation" seien diese dynamischen Prozesse zu bewältigen. Andernfalls verkomme, so folgerte Staudt, "der weiterbildungsentwöhnte Mitarbeiter - ob Ingenieur oder Facharbeiter - zum Wegwerf-Arbeiter". Notwendig dabei ist, Wissen ins "Nebensächliche" zu erweitern sowie spezielle fachliche Inhalte auszutauschen.

Nicht selten wird Fortbildung noch als "Bonbon" verteilt. Soll der Wandel von der "Quantität zur Qualität" indes gelingen, muß sich der Verantwortliche für Personalentwicklung nach Ansicht Michael Kastners von der Bundeswehrhochschule München verfeinerter diagnostischer Verfahren bedienen. Er habe die Mitarbeiter nicht nur wie bisher zu selektieren und zu plazieren. Die künftige Serviceleistung laute fortlaufende Betreuung. Zur Personalpflege zählt für Kastner, der auch als Leiter des Instituts für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin in Wessobrunn verantwortlich zeichnet, allerdings noch mehr: eine Firmenphilosophie, die höchste ethische Prioritäten setzt und zugleich bis zur Verhaltensebene wirksam wird. Oft resultiere nämlich der "Sand im Getriebe" von Personalorganisationen aus Konflikten oder unzureichenden Informationsflüssen. Gerade deshalb sollten Führungskräfte zunehmend Erkenntnisse der Sozialwissenschaften in ihre Entscheidungen einbeziehen.

Den bundesdeutschen Personalverantwortlichen bereiten allerdings auch gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Umwälzungen Kopfzerbrechen. Besonders junge Arbeitnehmer zweifelten die Parole von der "Arbeit als Lebenssinn" an, so Arbeitspsychologe Kastner. Personalentwicklung müsse immer auch Persönlichkeitsentwicklung sein.

Für die 90er Jahre kommt diesem Aspekt mit Blick auf das verfügbare qualifizierte Erwerbspotential besondere Bedeutung zu. Jede Maßnahme betrieblicher Personalpolitik ist in ihren Erfolgsaussichten davon abhängig, wie fest der Mitarbeiter - längerfristig - hinter dem Unternehmen steht. Darüber hinaus spielen auch die allgemeinen Arbeitsmarktbedingungen eine Rolle. Durch geburtenschwache Jahrgänge, so die düstere Prophezeiung von Chef-Prognostiker Hans Barth, Mitglied der Geschäftsleitung der Prognos AG in Basel, werde der bereits bestehende Personalengpaß besonders für die Unternehmen mehr als kritisch.