Stifte helfen heilen

Pen-Computer verbessern die Qualitaet der Patientenpflege

26.02.1993

Im Krankenzimmer werden die Vitalwerte der Patienten wie Temperatur, Blutdruck und Puls auf einem NCR- beziehungsweise Grid-Geraet erfasst, Aerzte koennen bei der Visite die relevanten Daten auf einen Blick erfassen und durch simples Antippen von Textbausteinen ihren Befund direkt am Krankenbett erstellen. Die Daten lassen sich anschliessend in die elektronische Krankenakte uebernehmen, Leistungsanforderungen medizinischer Funktionsbereiche wie Laborwerte oder Roentgenaufnahmen erledigen sich nun direkt am Krankenbett.

Zweimal am Tag werden die Notepads per Xircom-Adapter an eine Dockingstation angeschlossen und die Daten zum Stations-PC ueberspielt. Die Klinik verfuegt derzeit ueber sieben Notepads, von denen ein bis zwei fuer Wartungs- und Schulungszwecke verwendet werden. Die restlichen befinden sich in permanentem Einsatz auf der Station.

Ueber den Einsatz der Stiftrechner am Josephinum sprach fuer die COMPUTERWOCHE Fereydun Khanide mit Alois Greil, dem Projektleiter und wirtschaftlichen Direktor und Vorstand der Privatklinik Josephinum. Ferner mit Wolfram Kaiser, der als Internist am Josephinum arbeitet. An dem Gespraech nahmen ausserdem die Stationsleiterin der Privatklinik Josephinum, Barbara Reiter, sowie Joachim Mollin von der Micom, Gesellschaft fuer Organisationsberatung und Computer-Software mbH teil.

CW: Wie kam es zum Einsatz von Pen-Computern im Josephinum?

Greil: Pen-Computer sind die natuerliche Folge eines Projektes, das wir auf anderer Basis anstrebten. Notepads sind die 13. Geraeteart, die wir bisher getestet haben. Die Idee, im Krankenhaus nicht nur in der Verwaltung Computer einzusetzen, ist also sehr alt. Schon vor neun Jahren haben wir bezueglich des Einsatzes mobiler Systeme am Krankenbett mit unseren Aerzten zusammengearbeitet.

Die Kooperation erfolgte allerdings eher auf kaufmaennischer und nicht so sehr auf medizinischer Basis. Ab 1987 kamen wir zu der Ueberzeugung, dass wir zur Verbesserung der Ablauforganisation unseres Hauses ein komplettes Krankenhausinformations- und Dokumentationssystem benoetigen und dass wir letzlich Computer dort brauchen, wo die meisten Daten anfallen, naemlich im Krankenzimmer.

Damals begann ich, mich nach geeigneten Geraeten und geeigneter Software umzusehen. Das erste Geraet war ein Epson Handy mit Touchscreen. Software gab es nicht in Europa. Wir erwogen daneben den Einsatz normaler PCs, Laptops sowie Geraete mit Lightpen- Technologie oder einem beruehrungssensitiven Panel. Als wir gemeinsam mit amerikanischen Firmen dieses Pilotprojekt starteten, waren wir auf der Suche nach Unterstuetzung vor Ort. Dabei stiessen wir auf die Firma Micom und ueber sie auf Notepads.

Mollin: Wir haben die Stiftrechner wohl alle gleichzeitig im Jahr 1991 auf der Systems in Muenchen gesehen. Da im DV- Personalkarussell ja keiner verlorengeht, findet man alte Vertraute wieder und kann dann schnell Kontakte knuepfen. Kurz nach der Systems 91 hielten wir das erste Testgeraet in Haenden. Da auf die Systems gleich die Medica in Duesseldorf folgte, haben wir uns hingesetzt und eine Oberflaeche und ein paar Grundfunktionen einer medizinischen Applikation entworfen.

CW: Welches Geraet hatten Sie damals?

Mollin: Das war ein NCR 3125 - es gab damals nichts anderes. Momenta kam fuer uns eigentlich nie in Frage, weil es mit der angeschlossenen Tastatur eine andere Arbeitsvorgehensweise zugrunde legte. Ausserdem war der Pentop zu schwer. NCR stellte zumindest damals das Geraet mit der zukunftweisenden neuen Technologie.

NCR ist dann allerdings sehr schnell abgefallen, als Grid mit einem Geraet auftauchte, das ein hintergrundbeleuchtetes Display besass, und hat erst mit dem Modell 3130 aufgeholt. Wir haben natuerlich in der Anfangszeit hart mit den Kinderkrankheiten der Geraete und der Software zu kaempfen gehabt. Wir wussten ueber technische Details manchmal mehr als die Hot-Line bei NCR in Augsburg.

CW: Was war der Grund, sich letztlich fuer Notepads zu entscheiden?

Greil: Daten sollen ja moeglichst dort erfasst werden, wo sie anfallen. Aufgrund ihrer Mobilitaet koennen Notepads ueberall zum Einsatz kommen, beispielsweise am Krankenbett, auf dem Flur, im Stationszimmer und in den Funktions-, Diagnostik- und Therapieraeumen. In den USA werden im Krankenzimmer Touchpanels mit einem dreh- und schwenkbaren Bildschirm verwendet, die direkt an einen Host-Rechner angeschlossen sind. Auch sie sind klein und tragbar, aber da sie keine eigene Intelligenz besitzen, ist es schwieriger, ueber sie individuelle Auftraege an Roentgenabteilungen oder das Labor zu geben. Durch die Vernetzung entstehen ausserdem in hoeherem Masse Datenschutzprobleme.

Einen normalen PC kann man im Krankenzimmer kaum einsetzen, weil seine Arbeitshoehe in dem Bereich liegt, wo die Betten gefahren werden, und da herrscht enormer Platzmangel. Bildschirme mit Lightpens kommen aus demselben Grund nicht in Betracht. Ausserdem spielen Kinder erfahrungsgemaess mit den Lightpens, ziehen am Kabel und zerstoeren dadurch das Geraet.

Mollin: Bei den beruehrungsempfindlichen Panels ist man beim Auswaehlen von Elementen mit dem Finger zwar flexibler als beim Notepad, bei dem man einen speziellen Stift benoetigt. Aber diese Panels stellten im wesentlichen lediglich ASCII-Terminals mit nur geringen Grafikmoeglichkeiten dar. Stiftgeraete dagegen erlauben mit ihrer feinen Aufloesung die Erstellung ansprechender grafischer Oberflaechen.

Kaiser: Mit dem Notepad steht ein System zur Verfuegung, das der Patient nicht so sehr als Maschine empfindet und die Kommunikation zwischen Arzt und Patient unterbricht. Es aehnelt der herkoemmlichen Krankenakte wegen des aehnlichen Eingabemediums und der gleichen Mobilitaet.

CW: Was war Ihr erster Eindruck von den Geraeten?

Reiter: Ich habe die Geraete auf der Medica kennengelernt. Die Windows-Oberflaeche gefiel mir ganz gut. Als nachteilig empfand ich dagegen das Fehlen der Hintergrundbeleuchtung. Wir arbeiten in Innenraeumen, und fuer diese Lichtverhaeltnisse sind Geraete ohne Hintergrundbeleuchtung nicht besonders geeignet.

Da die Notepads teilweise getragen, teilweise auf einem Pflege- Arbeitswagen abgelegt werden, ist das Gewicht der Geraete nicht von sehr grosser Bedeutung - insbesondere wenn man bedenkt, dass frueher 30 Patientenkarteien mitzunehmen waren, die sich jetzt in elektronischer Form im Notepad befinden.

Kaiser: Ich kann bestaetigen, dass die ersten Bildschirme schwer zu lesen waren. Die jetzigen haben eine bessere Darstellung, die uebrigens auch Brillentraegern entgegenkommt. Die heutige Groesse der Geraete reicht voellig aus. Durch die Moeglichkeit, Text am Bildschirm durchlaufen zu lassen, kann ja beliebig viel Information angezeigt werden.

Groessere Geraete waeren von Nachteil, da sie dem Patienten am Bett staerker auffallen wuerden. Es waere auch beschwerlicher, sie von Zimmer zu Zimmer zu tragen. Die Farbdarstellung ist fuer unseren Bereich nicht unbedingt notwendig.

CW: Bei der Einfuehrung von elektronischer Datenverarbeitung gibt es oft Widerstaende seitens der Betroffenen. Wie sah die Akzeptanz im Josephinum aus?

Reiter: Die Notepads erfuhren kaum Ablehnung, da die Station bereits ein halbes Jahr vorher vom geplanten Computereinsatz informiert wurde. PenComputer fallen ja dadurch auf, dass keine DV- oder Schreibmaschinenkenntnisse notwendig sind. Schon innerhalb einer Stunde hat man einen Ueberblick ueber das Geraet und kann es bedienen. Es ist sehr motivierend fuer einen Anwender, wenn er innerhalb kurzer Zeit das Geraet beherrscht. Jede Schwester wurde vor dem Einsatz der Rechner auf der Station einzeln - und je nach dem Stand der Entwicklung der benutzten Software - zwischen einem halben und einem ganzen Tag geschult. Bei dem jetzigen Programmumfang braucht man zwei Schulungstage.

Greil: Wir setzen ja bereits seit etwa einem Jahr die aus den USA mitgebrachten Touchpanels ein. Unser Personal konnte also schon mit aehnlichen Geraeten spielen und sich ein Bild von ihnen machen. Wegen dieses einjaehrigen Akzeptanztests waren die Notepads keine so grosse Ueberraschung mehr.

Kaiser: Beruehrungsaengste waren bei uns zunaechst schon vorhanden, als es hiess, wir sollten den Computer ins Krankenzimmer bringen. Diese Angst ist bei den Pen-Rechnern aber kaum noch vorhanden, weil die Patienten sie nicht als Maschine erleben, sondern wie ein Krankenblatt. Durch die Eingabe mit dem Stift sind wir Aerzte auch nicht so sehr auf den Computer fixiert, sondern koennen uns auf den Patienten konzentrieren.

CW: Welche Vorteile hat der Einsatz der Notepads gebracht?

Greil: Bei uns ist das System noch nicht lange genug im Einsatz, als dass sich die Einsparungen quantifizieren liessen. Aber Messungen in einem US-amerikanischen Klinikum, in dem Touchpanels auf 14 Stationen eingesetzt werden, ergaben eine Zeitersparnis von 28,5 Prozent. Neun von zehn Schwestern moechten ohne diese Geraete nicht mehr arbeiten, ein Zehntel toleriert sie. Durch die Technisierung ist es ausserdem auch leichter geworden, Schwestern zu gewinnen - ein wesentlicher Punkt, angesichts des Mangels an Pflegekraeften in der Bundesrepublik.

Reiter: Es laesst sich eindeutig eine verbesserte Qualitaet der Arbeit mit einer besseren Pflegedokumentation in kuerzerer Zeit durchfuehren.

Kaiser: Der Trend geht dahin, dass die Aerzte keine Sekretaerinnen mehr haben, sondern im Krankenzimmer Befund und Daten selbst eingeben. Da Aerzte in der Regel keine Ausbildung als Sekretaerin haben, kommt die Arbeitsweise mit dem Notepad ihnen natuerlich sehr entgegen. Ich glaube, dass diese Geraete im aerztlichen Bereich eine sehr grosse Zukunft haben: Der Befund wird sofort bei der Untersuchung eingegeben und in die Krankenakte uebernommen. Es gibt praktisch keinen Zeitverlust, und man kann Personal und Zeit sparen. Wir koennen am Krankenbett Labor, EKG, und Roentgenbilder anfordern und erreichen direkt die Leistungstellen ohne Zwischenschritte.

Bis jetzt war das so, dass wir Zettel ausgeschrieben und im Stationszimmer abgegeben haben, die eine Schwester zur Leistungsstelle transportiert hat, wo sie dann erneut herumlagen. Das war mit Reibungs- und Zeitverlusten verbunden und dauerte in der Regel einen halben Tag - wenn es nicht sogar vergessen wurde. Der wesentliche Vorteil liegt also darin, dass wir schon bei den Patienten entscheiden koennen, was wir wollen. Wir haben jetzt in der elektronischen Akte alles zusammen: die Anforderungen und die Befunde, die Dokumentation. Das ist eigentlich eine ideale Moeglichkeit.

CW: Wie sieht es mit Fragen des Datenschutzes aus?

Reiter: Die hier arbeitenden Schwestern werden alle im Netzwerk- Server registriert. Jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin bekommt ein eigenes Passwort zugeteilt. Nur angemeldete Personen koennen Datenaustausch betreiben. Patientendaten befinden sich nur solange auf dem Notepad, wie der Patient bei uns auf der Station ist und werden anschliessend geloescht.

CW: Wenn Sie einen Wunsch formulieren duerften, wie wuerde der lauten?

Reiter: Ich wuerde mir wuenschen, dass die zukuenftigen Geraete schneller und mindestens so leistungsfaehig sind wie ein Schreibtisch-PC. Ausserdem sollten sie eine gut lesbare Oberflaeche mit Hintergrundbeleuchtung aufweisen.

Kaiser: Auch ich halte Verbesserungen hinsichtlich der Lesbarkeit und Arbeitsgeschwindigkeit fuer wuenschenswert. Was die Handschrifterkennung anbelangt, erwarte ich nicht, dass sich da in naechster Zukunft prinzipielle Qualitaetssteigerungen ergeben.

Mollin: Wir haben eine Mittlerrolle zwischen Herstellern und Anwendern inne. Das Josephinum ist sehr offen bei der Mitarbeit. Gleiches wuerde ich mir von den Hardwareherstellern wuenschen. Haeuser wie NCR oder Grid, bei denen der Vertrieb im Vordergrund steht, zeigen sich manchmal etwas verknoechert. Wir wuerden ein groesseres Mitspracherecht bei den Geraeten sehr begruessen, zum Beispiel was den Netzwerkanschluss oder die Ausfuehrung der Stromversorgung angeht.

Die Stiftkontakte fuer die Stromversorgung bei dem NCR-Geraet etwa sind sehr duenn. Wenn man die falsch oder in der Hektik schlecht einschiebt, kann es passieren, dass sich diese Kontakte verbiegen. Grid hat zwar das Ganze in kompakterer Form realisiert, brachte es aber leider an der falschen Stelle an. Allgemein wuenschen wir uns beim Hersteller offenere Ohren fuer unsere Probleme.

Greil: Ich hoffe, dass in einigen Jahren das Josephinum in jedem Krankenzimmer ein Geraet besitzt. Diese sollen sowohl von Patienten als auch von Aerzten und Schwestern bedient werden koennen, ohne dass es Datenschutzprobleme gibt. Dies waere etwa durch einen elektronischen Fingerabdruck zu realisieren.

Die Geraete sollten ueber Funkverbindung verfuegen, so dass man netzunabhaengig ist und es moeglich ist, Auftraege und Befunde zeitgerecht zu erhalten. Ausserdem sollte jeder Patient in der Lage sein, sein Essen selbst zu bestellen. Last, but not least wuerde ich mir wuenschen, dass die technischen Probleme der Spracheingabe geloest wuerden, so dass diese praktisch einsetzbar wird.