PCMer und Drittwarter haben Freude am Streit der Leaser

03.07.1992

"Wer das Rechenzentrum hat, hat die Firma." Im Januar 1990 münzte der damalige Deutschland-Vorsitzende des DV-Leasingverbandes Eclat, Klaus Messelhäußer, diesen Satz auf das Verhältnis zwischen Hardwarelieferanten und Anwendern. Schön einfach- für beide Seiden: Auch der Maître d'Informatique hatte sein Schäfchen beim Vorstand im trockenen, wenn er, vermeintlich mangels Alternativen, IBM und nur IBM ranließ.

Die Verhältnisse sind nicht mehr so: Anzahl und Gewicht der Alternativen nehmen zu. Steckerkompatible Großrechner und Peripherie, Speicheraufrüstungen durch Drittfirmen, aber auch der komplette Turn-around der IT-Landschaft in Richtung Systemöffnung und Client-Server stehen auf der Liste der Optionen. Größer wird parallel dazu die Zahl der Computing-Verantwortlichen, die diese ins Kalkül ziehen. Die in einer hierarchischen Struktur großgewordenen RZ-Chefs gehen nach und nach in Rente, und für den Nachwuchs sind die Beschaffungs- oder - Aufrüstungsalternativen nicht mehr automatisch Werkzeuge des Teufels.

Aber undurchsichtig können sie sein: Seit über einem Jahr rauscht der Blätterwald, weil sich die IBM mit einer Sec von Klagen wappnet gegen Schindluder, das angeblich mit ihren "originalen" Speicherkarten getrieben werde. Diese, so der Mainframe-Hersteller, würden von Fremdfirmen ausgeschlachtet und zu neuen Boards höherer Kapazität zusammengestellt - angeblich zu Lasten der Funktionssicherheit. Zwischenzeitlich ging man noch weiter und bezichtigte den Konkurrenten Comdisco Inc. des Betrugs, weil der herstellerunabhängige Leasinganbieter laut IBM "gefälschte" Speicherkarten wider besseres Wissen als IBM-Originale angeboten habe. Zwar nahm man den Betrugsvorwurf zurück, eine Schadenersatz-Klage ist jedoch weiterhin anhängig.

Speicherausfälle wurden bisher nicht bewiesen

Comdisco ist nicht das einzige Unternehmen, das sich vor Gericht zu verantworten hat: Mitte Juni 1992 gab die IBM bekannt auch die Phoenix Computer Associates Inc., ein Leasingunternehmen aus Westport im US-Bundesstaat Connecticut, habe bei IBM-Leasingkunden installierte Mainframes mit nachgemachten Speichern ausgerüstet, die dann in mehreren Fällen auch prompt ausgefallen seien. Diese Behauptung ist bereits notorisch: Auch im Zusammenhang mit der Comdisco-Klage hatte es von IBM-Seite immer wieder geheißen, aufgerüstete Maschinen hätten den Dienst versagt. Den Nachweis beziehungsweise die Nennung konkreter Fälle blieb Big Blue indes jeweils schuldig - auch auf mehrfache Nachfrage.

Zu erhellen wäre gleichfalls, wo denn nun tatsächlich die Werkstätten der Speicherfälscher stehen, wer Chips von IBM-Boards ablöst, auf neue Karten auflötet und diese betrügerischerweise mit einer Art IBM-Logo nebst Serien und Teilenummer versieht. IBM-Oifizielle verschanzen sich auch hier auf Anfrage hinter Andeutungen, etwa der Art, man habe Verdachtsmomente, die jedoch noch zu erhärten seien etc.

Drei Hersteller hat man gerichtlich am Wickel, ohne ihnen allerdings Fälschung im engeren Sinne vorzuwerfen: Allen-Myland Inc. aus Pennsylvania sowie die in Illinois beheimateten Datanon Inc. und BSM Corp. Die Firmen sollen rekonfigurierte Speicherprodukte an Leasingfirmen geliefert haben, von denen sie, so Big Blue, hätten annehmen müssen, daß diese die Boards fälschlich als IBM-Originale deklarieren würden. Auch hier verharrt Justitias Waage indes noch in der Horizontalen.

Die Vermutung liegt für viele nahe, daß ein schnelles und klärendes Ende der Gerichtsverfahren gar nicht im Interesse IBMs liege, sondern lediglich Konkurrenten verschreckt und möglicherweise abwanderungswillige Kunden verunsichert werden sollen. Comdiscos PR-Strategen prägten das Schlagwort von der "FUD-Strategie": Fear, Uncertainty, Doubt, also Angst, Unsicherheit und Zweifel wolle Big Blue säen und damit die Position als einzige Equipment-Quelle für Mainframe-Kunden zurückerobern.

Hilflos steht dann auch der US-Leasingverband CDLA vor einer IBM-Kommunikationsbarrikade: Verbandspräsident Ken Bouldin beklagte gegenüber der "Computerworld", Big Blue habe sich auf mehrfaches Drängen nicht einmal bereit erklärt, die Prüfkriterien bezüglich echtem oder nachgemachtem Memory offenzulegen. Die Begründung des Mainframers: Das Prüfverfahren involviere "vertrauliche Produktionsdaten", die nicht an Außenstehende gegeben werden könnten. Das An sinnen der CDLA an IBM, Originalitätstests im Auftrag der herstellerunabhängigen Konkurrenz durchzuführen, beschied man in Armonk gleichfalls abschlägig.

Argwöhnische Marktbeobachter sehen ein zweites Motiv für das Verhalden, das die IBM an den Tag legt: Wenn alle Angst haben, fremdes Memory zu kaufen und nur noch Originale haben wollen, werden diese teurer und die Gewinnspannen für die (den) Lieferanden größer. Genau das ist eingetreten: Bis zum doppelten Preis stiegen um den letzten Jahreswechsel herum die Preise für Speicherkarten mit IBM Echtheitszertifikat.

Überschätzt: Das Wartungsargument

Der Knackpunkt bei der Echtheitsdiskussion ist die Wartung IBM wartet und repariert keine Fremdspeicher. In Fällen, wo IBM-Techniker das guten Glaubens dennoch gemacht haben will das Unternehmen bei der Entdeckung der Clones diese kostenpflichtig austauschen beziehungsweise Störungen allen falls auf Zeit- und Materialbasis keinesfalls aber wie üblich im Rahmen der Pauschal-Wartungsverträge beheben.

Das gilt auch für die Fälle, wo die als "unecht" entlarvten Teile früher von IBM-Technikern der üblichen MAQ ("Maintenance Agreement Qualifikation") unterzogen und für funktionssicher befunden worden waren. Jetzt mehren sich die Aussagen, nach denen IBM die Wirksamkeit des Maintenance-Hebels überschätzt haben könnte: Den IBM-Techniker heimzuschicken und sich einen Drittwarter oder TPMer ins Haus zu holen, rückt zunehmend in den Bereich der Möglichkeiten. Kolumnist Hesh Wiener vom britischen Newsletter "Computergram International" meint gar, nicht nur größere Speicher, sondern neue Maschinen überhaupt könnten bald häufiger eben nicht mehr original blau, sondern steckerkompatibel und gelb, sprich: aus japanischer Produktion, sein.

Ähnlich äußert sich Klaus Schäfer vom Münchner Leasinganbieter TTL Thurn und Taxis Leasing GmbH & Co. Er hat eine "Verärgerung der Anwender und eine teilweise Abwanderung zu PCMern" festgestellt und konstatiert: "Die Großoffensive der IBM gegen die unabhängigen Leasinggesellschaften ist steckengeblieben." Schäfer bescheinigt der IBM überdies Konzeptlosigkeit bei der Behandlung der "Markenpiraterie", deren tatsächliche Urheber man nicht ins Rampenlicht gerückt habe. Auch fehle den Originalkarten ein wirksamer Manipulationsschutz ebenso wie eine Seriennummer, was das Problem nicht erleichtere.

Die PCM-Anhänger wie auch die Nur-Speicher-Dissidenten plagt allerdings die Sorge, daß ihr per Preisvergleich zusammengestelltes Equipment am Leasingende einen geringeren Restwert haben könnte als das blaue Blech. Der "Computergram"-Autor versucht die Betroffenen zu beruhigen: Zumindest teilweise sei diese Befürchtung unbegründet. Drei Generationen von Haupt- und Erweiterungsspeicher, erläutert Wiener, baute und baut die IBM in ihre 3090-Großrechner ein: Die älteste und langsamste unter dem Codenamen, "Night Train" findet Verwendung als Zentralspeicher in den Basismodellen sowie als Erweiterungsspeicher in der E-Serie.

Der Nachfolger "Eagle" findet sich demnach im Hauptspeicher der E- und im Expanded Memory der S -Serie, während die jüngste und schnellste Generation namens "Antelope" für die 3090-J-Spitzenmodelle verwendet werde.

Rekonfigurierte, also unechte Speicher, schreibt Wiener, erreichten in der Regel die Antelope-Leistungsdaten. Nur für Mainframes, die mit diesen jüngsten Komponenten ausgerüstet seien, sei daher von einem konkurrenzlos hohen Restwert auszugehen. Da IBM aber viele ihrer Dinosaurier noch mit den alten Boards ausliefere, könne man jene restwertmäßig getrost vergessen: Rekonfigurierte Maschinen mit Antelope ähnlich leistungsfähigem Speicher würden am Gebrauchtmarkt allemal höhere Preise erzielen als solche mit Night-Train oder Eagle-Boards.

Da in den vergangenen Jahren die Fronten zwischen der IBM und den Leasern in Europa weniger hart gewesen sind als in den USA, gibt es hierzulande auch für die aktuelle Speicherproblematik so etwas wie ein Agreement: Auf Kundenwunsch testen IBM-Techniker das installierte Memory und tauschen gegebenenfalls nachgemachte gegen originale Boards aus - zum Sonderpreis. Der europäische Leasingverband Eclat empfiehlt seinen Mitgliedern und deren Kunden, auf die - zeitlich begrenzte - Offerte einzugehen. Trotz des Discounts bleibt gleichwohl die Tatsache, daß den Anwendern über die vereinbarte Wartungspauschale hinaus Kosten entstehen.

Anbieterkonzentration: Staubsauger für Kleine

Von diesem Generalthema des letzten Jahres abgesehen, ist die Leasingbranche stärker denn je gekennzeichnet vom Konkurrenzkampf und einer daraus resultierenden Anbieterkonzentration: Comdisco hat sich im Herbst 1991 die schwedischen Aktivitäten von Cominvest einverleibt; die deutsche Tochter des Independent-Marktführers erhöhte ihr Stammkapital von 100 000 auf 50,1 Millionen Mark und eröffnete eine Hamburger Niederlassung.

Das deutsche Geschäft von Cominvest existiert mittlerweile in zwei rechtlich unabhängigen Gesellschaften fort: Ex-Chefbroker Willy Stöckl kaufte seinem Arbeitgeber im Frühjahr 1992 das Trading-Geschäft ab, und das Cominvest-Inventory ging kurz darauf an CSC. Weitere Beispiele: Bell Atlantic ging an ATC Europe über; Meridian verkaufte seine Aktiva an CICS und kroch als Firma bei FGM unter. Ebenfalls im Frühling dieses Jahres traf der Rotstift der schwedischen CMA deren deutsche Niederlassung: Das Münchner Büro machte dicht, die Handelsaktivitäten wurden in Stockholm zentralisiert. Fazit: Anbieter unter einer Minimalgröße können es kaum noch allein schaffen. Wo die kritische Größe liegt, das wird gegenwärtig am Markt austariert. {SYMBOL 168 \f "Symbol"}

Reformation

Die Angelegenheit hat ohne Zweifel einen religiösen Touch: Mühselig und beladen kommen die DV-Leasingkunden zur IBM, auf daß diese sie erquicke. Im festen Glauben akzeptieren sie strenge Gebote, allen voran jenes, daß sie keine anderen Lieferanten neben der IBM haben sollen. Dafür hören sie dann die frohe Botschaft: Beim größten DV-Hersteller und Finanzierungsdienstleister der Weit, lieber Kunde, bist du in sicherer Obhut.

In acht nehmen, so das Gebot, möge sich die Anwendergemeinde hingegen vor Verlockungen des Bösen, das mit billigen Preisen - zum Beispiel für Speicheraufrüstungen - die wahre Lehre untergrabe. Das ganz, ganz Böse aber komme im Gewand des Guten, der IBM, daher, sagt diese. Firmen nämlich, die aus gebrauchten IBM-Memories neue mit größerer Kapazität herstellen und dem gläubigen Kunden durch gefälschte Markenzeichen und Seriennummern einen blaßblauen Bären aufbinden. Das zumindest behauptet die IBM,- der Beweis indessen steht aus.

Es ist auch zweifelhaft, ob er jemals angetreten wird, ob das überhaupt das Ziel von IBMs Kampagne ist, die sie seit geraumer Zeit vor den Gerichten dieser Welt betreibt. Willkommen ist sicherlich ein prompt eingetretener (Neben-) Effekt: Viele Anwender, auch solche, die bereits den wahren Weg verlassen hatten und Fremdspeicher einsetzten, fürchten den Bannstrahl aus Armonk. Sie kehren zwar nicht reumütig, aber gezwungenermaßen in den Schoß der IBM zurück und kaufen wieder deren Speicherkarten. Die werden dadurch teurer. Prima.

Auch prima, aber nicht für die IBM: Sektierer, Fremdhersteller von Speicherkarten also, desgleichen Drittwartungsunternehmen und PCMer haben plötzlich vermehrten Zulauf - von denen, die nicht willig, sind und deren Budget zu schwach oder zu empfindlich ist, für funktional Gleiches deutlich mehr zu zahlen, nur um dazu. zugehören. Nicht nur die Amtskirche muß also die Erfahrung machen: Je strenger die Lehre, desto mehr Schälchen werden abtrünnig und wechseln die Herde.

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