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PC-Markt Deutschland: "Die Situation ist grauenerregend"

09.08.1996

Blanke Angst herrscht in der PC-Branche. "Die Situation in Deutschland ist grauenerregend" - Steven Brazier, Marktanalyst bei Dataquest, sagt offen, was in den Fluren der meisten PC-Anbieter nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen wird. Barbara Wollny, Pressesprecherin der Hewlett-Packard-Niederlassung in Böblingen, klagt: "Wir gehen weltweit schweren Zeiten entgegen." Und auch Compaq-Deutschland-Statthalter Kurt Dobitsch spricht vom "Katastrophenjahr 1996".

Dieser Pessimismus ist symptomatisch für die Stimmung unter den PC-Anbietern in Deutschland. Ob Vobis, SNI, Compaq, Hewlett-Packard, Peacock, AST, Apple oder IBM: Statt der sonst üblichen Häme nimmt man Anteil am Niedergang des einstigen Konkurrenten Escom - und das sind keine Krokodilstränen. "Die Zeiten, in denen 50prozentige Zuwachsraten auch gröbste Fehlentscheidungen ausgleichen konnten, sind vorbei", hakte Vobis-Vorstandsvorsitzender Theo Lieven "das stürmische Wachstum vergangener Jahre" via Pressemitteilung ab und trat seinen Urlaub an.

Lieven: Das stürmische Wachstum ist passé

Kein Wunder: Eine bittere Bilanz-Pille mußte der PC-Anbieter aus Würselen schon im ersten Quartal 1996 schlucken. Lieven verkaufte in dieser Zeit 28,9 Prozent weniger PCs als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Relativ klägliche 50 Millionen Mark Gewinn vor Steuern erwirtschaftete Europas größte Computerkette im vergangenen Jahr bei einem Umsatz von drei Milliarden Mark. Das entspricht einer Gewinnmarge von 1,6 Prozent.

Auch bei der Peacock AG, Wünneberg-Haaren, ist die Stimmung im Keller. Wie Vorstand und Inhaber Hartmut Hellweg kürzlich mitteilte, werde man im Geschäftsjahr 1995/96 die Unternehmensziele "wegen der anhaltenden Krise in der Computerbranche" nicht erreichen. Bei einem Umsatz von zirka 1,6 Milliarden Mark rechnet der Peacock-Chef mit einem Verlust von bis zu 20 Millionen Mark. Erhebliche Defizite bei den Tochtergesellschaften in Frankreich und England sowie eine SAP-Umstellung hätten unter anderem zu dieser Situation geführt. Finanzielle Ausgleiche für Überstunden und Urlaubsgelder wurden kurzerhand gestrichen, 50 der 850 Mitarbeiter entlassen. Unwesentlich besser ergeht es renommierten Herstellern wie Hewlett-Packard und DEC: Beide besannen sich nach kurzen Auftritten auf dem PC-Billigmarkt wieder aufs Kerngeschäft.

So mußte etwa der als grundsolide bekannte Hersteller HP knapp drei Monate nach dem Debüt des im französischen Grenoble gefertigten Home-PCs "Pavilion" die Consumer-Serie kurzfristig wieder einstellen. Das trockene Fazit von HP-PR-Frau Wollny: "Der Absatz war zu gering." Ähnlich schmerzhafte Erfahrungen machte DEC: Das vierte Quartal des Geschäftsjahres 1995/96 werde deutlich hinter den bisherigen Erwartungen zurückbleiben, erklärte Firmenchef Robert Palmer erst kürzlich. Konkret mußte DEC im PC-Geschäft im abgelaufenen Quartal Verluste von 80 bis 90 Millionen Dollar hinnehmen. Der PC-Anbieter werde 7000 der rund 60000 Arbeitsplätze abbauen (siehe CW Nr. 28 vom 12. Juli 1996, Seite 1). AST wiederum sah sich gezwungen, seine deutsche Niederlassung in Düsseldorf zu schließen.

Besonders hart trifft die Flaute im PC-Business diejenigen, so die einhellige Meinung von Herstellervertretern und Analysten, die sich ausschließlich auf das Consumer-Geschäft konzentriert hatten. Der Absatz im Privatkundengeschäft ging um 8,9 Prozent zurück. Den Großen der Branche tat diese Einbuße nicht so weh, weil nur etwa zehn Prozent ihres Umsatzes von Privatkunden abhängen. Den dicksten Brocken bringt noch immer das Geschäft mit den Unternehmen ein. Und dieser Geschäftszweig verzeichnete einen Zuwachs von 8,9 Prozent.

Daß Vobis nicht dasselbe Schicksal wie Escom erleiden mußte und mittlerweile ein Halbjahresplus von rund fünf Prozent des Umsatzes schreiben kann, liegt Branchenbeobachtern zufolge am flugs eingefädelten Krisen-Management. Erste Maßnahme: Eine Beteiligung am Distributor Maxdata, der vornehmlich Kunden im gewerblichen Bereich beliefert. Ebenso trage das Built-to-Customer-Verfahren erste Früchte. Dabei handelt es sich um ein Konzept, bei dem PCs individuell nach Kundenwünschen gefertigt werden. Ein Programm, das verhindern soll, daß Tausende PCs in den Läden auf Halde liegen bleiben.

Eine ähnliche Strategie befürwortet Karola Bode, Geschäftsführerin der Gateway 2000 Computer GmbH aus Frankfurt. Unverzichtbar für die erforderliche Flexibilität sei eine Neugestaltung der Vertriebsformen im Einzelhandel. Sie setzt auf das PC-Versandgeschäft, bei dem Kunden per Telefon ordern und das Gerät zugestellt bekommen. Diese Vertriebsstrategie reduziere die Lagerhaltung. Entscheidende Erfolgskriterien seien die eigene Logistik, Organisation sowie Einkaufsmacht: "Wer hier Fehler macht, verringert seine Überlebenschancen. Escom wird nicht das einzige Unternehmen sein, das auf der Strecke bleibt."

Die Gründe für den Einbruch des PC-Geschäfts sind unterschiedlich: "Die wirtschaftliche Unsicherheit hat sich vor allem im Privatbereich ausgewirkt", so HP-Sprecherin Wollny. Die Kunden sparten auch bei Kleidung und Urlaub. Ähnliches hat Ullrich Esser, verantwortlich für die Unternehmenskommunikation bei Compaq in Dornach, beobachtet: "Privatleute haben Angst um ihre Arbeitsplätze und halten sich deshalb beim Einkaufen zurück", begründet er die Flaute.

Für Heinz Unland, Analyst beim Marktforscher IDC, steht fest: "Die verwöhnte Branche hat über Jahre mit Wachstumsraten von 20 Prozent gelebt." Der reißende Absatz früherer Tage habe auch schwerste Management-Fehler kompensiert, haut Unland in dieselbe Kerbe wie Vobis-Chef Lieven. Die Fehler, die in dieser Zeit gemacht wurden, rächen sich heute.

Auch für die Zukunft sieht der Branchenkenner schwarz - zumindest für den Consumer-Markt: "Die negative Tendenz setzt sich dieses und auch nächstes Jahr fort." IDC erwarte für das laufende Jahr ein Wachstum von lediglich zehn Prozent, die das PC-Geschäft außerdem fast ausschließlich dem Business-Segment verdanke. Im Home-Bereich gestalte sich die Situation nach wie vor wesentlich schwieriger. "Der Consumer-Markt ist gesättigt", glaubt der Marktforscher. Bereits heute stehe "in nahezu jedem dritten Haushalt ein PC. Einige Leute wie Schmitt und Lieven haben gesagt, der PC wird im Jahre 2000 so verbreitet sein wie ein Telefon oder ein Fernseher, sprich 98 Prozent - und so lange boomt das Geschäft", kritisiert Unland die Ignoranz der Niedrigpreis-Hersteller. "Sie haben sich auf den Lorbeeren ausgeruht und die Zeichen der Zeit nicht erkannt."

Bessere Prognosen erteilt der Marktforscher Herstellern im Geschäft mit professionellen Kunden. Dort stünden nach wie vor etliche Migrationen an. Eine Tatsache, die dem PC-Geschäft zugute kommt. Der Business-Markt werde sich in diesem Jahr auf ein Wachstum von rund 13 Prozent einpendeln. Doch: "Unternehmen, die von dünnen Margen und hohen Stückzahlen gelebt und sich kein zweites Standbein zugelegt haben, geht es an den Kragen."

Anwender suchen Qualität und Service

Unland hält wie Gateway-2000-Chefin Bode in naher Zukunft ein Umdenken bezüglich der Vertriebsstrategie für erforderlich. Der Trend gehe weg vom Direktvertrieb ê la Vobis und Escom und hin zum Distributionsgeschäft. Ferner trügen eklatante Qualitäts- und Kompetenzprobleme der Billiganbieter zu deren wirtschaftlichen Schwierigkeiten bei. "Bis Ende des nächsten Jahres wird es zu einer Marktbereinigung kommen", so Unlands Fazit.

Qualität und Service sind die Faktoren, die Anwender interessieren. "Wir suchen uns auf keinen Fall den billigsten Anbieter", begründet Günter Kierberg, DV-Leiter der Kölner Toyota GmbH, weshalb man beim Kölner Autohaus dem Shake-out im PC-Geschäft eher gelassen entgegensieht. Der Automobilkonzern habe ohnehin bislang Compaq und IBM sein Vertrauen geschenkt: "Ich glaube, es wird im PC-Geschäft noch weiter nach unten gehen", so Kierberg. Der Service spiele im Einkaufsverhalten eine entscheidende Rolle. Eher gleichgültig betrachtet Dirk Weber, DV-Leiter der Offenbacher Polaroid GmbH, die Situation: "Wir ordern sowieso nur bei Anbietern, die auch Service mitliefern." Dennoch verfolgt der IT-Manager wie alle seine Kollegen die wirtschaftliche Situation im PC-Markt mit Argusaugen: "Wenn ich sehe, daß jemand an der Klippe steht, kaufe ich bei dem nichts mehr."