PC-Benutzerservice: Reine Techniker haben ausgedient

21.02.1992

Die Informationsverarbeitung befindet sich im Wandel. Zunehmend wird die Effizienz des klassischen Rechenzentrums in Frage gestellt. Trends wie Downsizing und Client-Server-Architekturen bringen die Technik zum Anwender - eine Entwicklung, von der sich die Unternehmen offensichtlich mehr Produktivität versprechen. Diese Veränderungen bekommt auch der PC-Benutzerservice zu spüren. Die 90er Jahre erfordern Organisatoren, die - integriert in die zentrale DV-Abteilung - über den Rand der PC-Brille hinausblicken.

Vergleicht man die Informationsverarbeitung von heute mit der, wie sie in den 70er Jahren existierte, läßt sich ein dramatischer Wandel feststellen. Von Integration der DV in das Unternehmen war vor 20 Jahren nicht die Rede. Das ließ sich nicht realisieren, weil es die notwendige Technik nicht gab. Außerdem zwangen wirtschaftliche Gründe die Unternehmen, zentrale Rechenzentren zu installieren. Ob diese Form der Datenverarbeitung die Anwender jemals wirklich unterstützt hat, ist jedoch fraglich. "Den zentralen Abteilungen wurde in der Vergangenheit immer zum Vorwurf gemacht, daß sie die Individualität der einzelnen Fachabteilungen zu stark einschränken", erinnert sich Thomas Fischer, Leiter technische Systeme der Drägerwerke AG, Lübeck.

Deshalb kann es kaum verwundern, daß in den 80er Jahren die Unternehmen mit PCs überschwemmt wurden. Endanwender, die sich von der zentralen DV/Org.-Abteilung vernachlässigt fühlten, hofften, mit den Mikroprozessor-basierten Systemen ein Werkzeug in die Hand zu bekommen, das die Arbeit wirklich erleichtert. Woran offensichtlich zunächst kein User dachte, warf dann aber Probleme auf: die Technik. Von der zentralen DV konnten sich die Benutzer meist keine Hilfe erwarten. Die Großrechner-Spezialisten waren damit beschäftigt, das Rechenzentrum am laufen zu halten. Die wichtigen Anwendungen liefen auf dem Mainframe, den PC nahm man als vollwertigen Rechner nicht ernst.

Unabhängig von der zentralen DV-Abteilung legten sich viele Fachbereiche weitere Personal Computer zu. Zur technischen Unterstützung holte man sich PC-Freaks aus den eigenen Reihen. So entstand der PC-Benutzerservice. Seine Aufgabe bestand darin, die Anwender von der Technik fernzuhalten. "Der Benutzerservice mußte installieren, vielleicht einmal ein Makro schreiben oder einen defekten Monitor austauschen", beschreibt Gunnar Heinrich, Leiter Consulting bei der Pica Personalcomputerberatung, München, die Anforderungen an die PC-Betreuer. Die Techniker agierten jedoch meist eigenständig, ohne Verbindung zur bestehenden DV-Abteilung. Damit entwickelte sich neben dem Rechenzentrum eine zweite DV-Welt, die Schnittstellen- und Kompatibilitätsprobleme mit sich brachte.

Bereits Ende der 80er Jahre zeichnete sich jedoch ein neuer

Trend ab, der sich auch auf den PC-Benutzerservice auswirkte. Die zentralen DV-Abteilungen traten auf den Plan, um den PC-Wildwuchs einzudämmen. "Wir haben den Benutzerservice vor fünf Jahren aufgebaut, als die PCs ihre Daseinsberechtigung im Hinblick auf die Einbindung in die bestehende Informationstechnolgie bekamen", begründet Rudolf Nechutniss von der Voith J. M. GmbH. Wie der erfahrene DV-Leiter weiter berichtet, habe er damit in erster Linie das Ziel verfolgt, das Heidenheimer Maschinenbau-Unternehmen vor einem PC-Chaos zu bewahren. Nechutniss: "Wegen der Anbindung an den Host wollten wir von vornherein kein Risko eingehen."

Bei der Hamburger BAT Cigarettenfabrik GmbH sind PC- und Mainframe-Welt verbunden. "Wir betreuen sowohl PC-Anwendungen als auch Großrechner-Applikationen", äußert der Leiter des Anwenderservice Burkhard Lehre. "Die Konflikte, die es, wie man aus anderen Unternehmen hört, zwischen den beiden Welten gibt, treten bei uns nicht auf".

Für die DV-Manager ist vor allem wichtig, daß eine zentrale Stelle einheitliche Standards definiert. Die Aufgabe des Benutzerservice besteht darin, darüber zu wachen, daß diese eingehalten werden. Als Informatik-Aufpasser für das Unternehmen zu fungieren, diese Funktion läßt sich nicht immer ohne Konflikte mit den Usern wahrnehmen, wie Fischer festgestellt hat: "Der Anwender verfolgt unter Kosten-Gesichtspunkten ein anderes Ziel als wir. Sein Anwendungsumfeld ist eingeschränkt, daher versucht er natürlich, das beste für sich herauszuholen. Die Zentralabteilung ist dagegen verpflichtet, eine unternehmensweite Strategie zu verfolgen - das kann sich natürlich schon einmal beißen." Daß Reibungspunkte zwischen dem zentralen PC-Benutzerservice und den Anwendern auftreten können, bestätigt auch Peter Truels von der M. Brinkmann AG. Der Bremer DV-Leiter: "Der User-Support hat bei uns oft Probleme mit den dezentralen Bereichs-Managern. Wenn alles die Zentrale erledigt, müssen in bezug auf die Anwender Prioritäten gesetzt werden, das mißfällt natürlich dem, der eine geringe Priorität zugewiesen bekommt."

Die Integration des PC-Benutzerservice in die zentrale IV-Abteilung hat jedoch weniger negative Auswirkungen für die Endanwender als befürchtet. Branchenkenner beurteilen diese Organisationsform eher so, daß sich die DV-Organisation der 70er Jahre endlich ihrer neuen Rolle als Dienstleistungsbetrieb bewußt wird. Unaufhaltsam setzt sich offenbar die Erkenntnis durch, daß heute aufgrund der Technik DV-Kapazität gezielter einsetzbar ist, als es die Mainframe-Architektur bisher ermöglicht hat. Diese Entwicklung beobachtet auch Pica-Berater Heinrich. Für den PC-Profi haben die Trends zum Downsizing, zu Client-Server-Architekturen sowie zu unternehmensweiten Automations- und Groupware-Konzepten in bezug auf den PC-Benutzerservice "maßgeblich dazu beigetragen, eine Bewegung auszulösen, die eigentlich schon viel früher notwendig gewesen wäre".

Aufgrund der Dezentralisierung von Rechnerleistung als strategischem Ziel der Datenverarbeitung verändert sich der Stellenwert, den der PC-Benutzerservice im Unternehmen einnimmt. "Die Funktion bekommt immer mehr Gewicht", äußert Heinrich. Dies stellt auch Paul Demmer, Gruppenleiter Bürokommunikation/Benutzerservice bei der Münchner Tela Versicherung, fest: "In der Groß-DV wird bemerkt, daß die Tendenz immer mehr in Richtung kleinerer und mittlerer Systeme geht." Deshalb ist es nicht mehr möglich, diesen Bereich als von der zentralen DV/Org.-Abteilung losgelöst zu betrachten. Je stärker die Vernetzung von PCs und die Anbindung an den Host fortschreiten, um so weniger lassen sich die beiden Aufgabengebiete trennen.

Wie der Münchner PC-Berater Heinrich beobachtet hat, ist die neue Positionierung des PC-Benutzerservice für die Unternehmen ein wichtiges Thema. "Man versucht derzeit herauszufinden, wo diese Funktion hierarchisch aufgehängt werden soll und wie wichtig sie ist. Eine Tendenz hat sich heute aber bereits herauskristallisiert: Reine "Schraubenzieher" sind beim PC-Benutzerservice der Zukunft nicht mehr gefragt. Die klassischen Aufgaben der PC-Betreuer rücken zunehmend in den Hintergrund. Ein Grund dafür ist, daß die Endanwender mittlerweile mehr PC-Know-how besitzen, als es noch in den 80er Jahren der Fall war. So hält Truels die heutigen User für wesentlich sachkundiger als noch vor etwa drei Jahren.

Der DV-Manager erwartet vom PC-Benutzerservice zwar immer noch, daß die Anwender beim Umgang mit dem PC, den Tools und den Applikationen unterstützt werden. Dies sei aber nur ein Teil der Aufgaben, die die Support-Truppe zu bewältigen habe.

Er stellt zusätzliche Anforderungen, die über die rein technische Betreuung hinausgehen. "Dieser Bereich muß sich zudem mit Vernetzung und Connectivity beschäftigen sowie Hardware- und Softwareplattformen auswählen. Ferner sind mit dem Benutzer Return-on-Investment-Rechnungen aufzustellen".

Diese Anforderungen resultieren daraus, daß von dem Benutzerservice-Mann der Zukunft organisatorische Entscheidungen verlangt werden. Der Einsatz von PCs ist nicht mehr als technische Spielwiese für abtrünnige Fachabteilungen zu betrachten, sondern gilt heute als strategischer Bereich einer unternehmensweiten verteilten Datenverarbeitung. Vom Benutzerservice wird folglich verlangt, Projekte in ihrer Auswirkung auf die gesamte DV zu überblicken. "Unsere Aufgabe ist zum Beispiel zu kanalisieren, was günstiger ist, ein Tool, das auf dem Großrechner läuft, oder eine PC-Utility". "Dies erfordert eine andere Qualität von Leuten", behauptet Heinrich. Es sei heute immer wichtiger, daß der User-Support fundierte Entscheidungsgrundlagen für das Management liefere.

Neben dem zentralen PC-Benutzerservice entwickelt sich jedoch ein Anwender-Support, der direkt in den jeweiligen Fachabteilungen installiert ist. Diese PC-Betreuer bezeichnet Fischer als verlängerten Arm des zentralen Servicezentrums, "wenn es darum geht, bestimmte Dinge in den Fachabteilungen in die Praxis umzusetzen". Dabei handelt es sich Fischer zufolge um Mitarbeiter der Fachabteilungen, die speziell für diese Betreuungsaufgabe ausgebildet werden, die sie neben ihrer normalen Tätigkeit ausüben. Der Lübecker PC-Verantwortliche: "Es gibt damit eine Kooperation zwischen der zentralen, strategischen Abteilung und den Anwendern. Wir unterhalten uns in diesem Fall aber nicht direkt mit dem Endbenutzer vor Ort. Die Standards werden mit den jeweiligen PC-Betreuern der Fachabteilungen festgelegt, die ihre Anforderungen definieren. Wir bringen dann den zentralen Aspekt hinein."

Den Weg der dezentralisierten Direkthilfe will man auch bei der Tela Versicherung gehen. Die Alltagsfragen eines Anwenders von Standardsoftware könne ruhig ein DV-Koordinator in der Fachabteilung beantworten, der in der Fachabteilung sitzt, so Demmer. Diese Lösung hält auch Truels für vernünftig. Auch er plant, Teile des IS-Bereichs in die Fachbereiche zu verlagern - darunter auch eine Vor-Ort-Anwenderbetreuung. Truels: "Es wird aber weiterhin eine koordinierende Beratung geben. Wir werden Operation-Units bilden, die dann eigenverantwortlich entscheiden müssen - natürlich im Rahmen der Company-Standards."

Der Wandel des PC-Benutzer-service von der technischen zur strategischen Abteilung wirkt sich aber auch auf die zentrale Datenverarbeitung aus. Begriffe wie Client-Server-Konzepte, Vernetzung, verteilte Datenbanken, OLTP und Mission-Critical-Applications stehen für eine neue Anforderung an die Datenverarbeitung, die sich mit einer Zentral-DV früheren Zuschnitts nicht mehr bewältigen lassen. Für Truels liegt die Zukunft der zentralen DV-Abteilung darin, stärker betriebswirtschaftlich zu rechnen. "Wir werden uns wesentlich mehr mit den BWL-Funktionen beschäftigen müssen. Wer immer noch im DV-Elfenbeinturm sitzt, hat dann mit Sicherheit verloren.

Man muß den Company-Blick behalten. Wir sind als Dienstleister dazu da, die operationalen Dinge der Fachbereiche zu unterstützen. Das ist vielen noch nicht klar".

Daß es nicht einfach wird, veraltete DV-Strukturen aufzubrechen, ist dem fortschrittlichen DV-Manager klar. "Die ganzen Strategien, die wir jetzt entwickeln, gehen gegen unseren herkömmlichen zentralen IS-Bereich", sagt Truels. PC-Berater Heinrich bringt es auf den Punkt: "Heute ist es weniger ein technisches, sondern mehr ein organisatorisches Problem, DV-Landschaften produktiv und effizient einzusetzen. Ziel ist die Fokussierung auf die Anwenderbedürfnisse."