IT-Dienstleister richtet sich in der zweiten Reihe ein

Paul Stodden räumt bei SBS auf

20.12.2002
MÜNCHEN (jha) - Seit einem Jahr ist Paul Stodden oberster Chef von Siemens Business Services (SBS). Seitdem regiert der Pragmatismus beim Münchner IT-Dienstleister. Die einstige Vision vom Full-Service-Provider mit Weltgeltung weicht dem Ziel, endlich marktgängige Renditen vorweisen zu können. Dafür werden Regionen und Branchen dem Wettbewerb überlassen.

Der Turnaround ist geschafft und damit das erste Ziel abgehakt. Nach Verlusten im Jahr 2001 in Höhe von knapp 260 Millionen Euro fuhr der Dienstleister in dem am 30. September beendeten Geschäftsjahr einen Gewinn vor Steuern und Zinsen (Ebit) von 101 Millionen Euro ein. Bei einem Umsatz von 5,77 Milliarden Euro erzielte SBS somit eine Ebit-Marge von 1,7 Prozent. "Das Ergebnis ist nicht befriedigend", räumte Stodden, Bereichsvorstand von SBS, ein. Das oberste Siemens-Management fordert eine Rendite von fünf bis sechs Prozent. Bis September 2004 hat Stodden Zeit, das Ziel zu erreichen.

Auf dem Weg dorthin gibt SBS einige Ansprüche der Vergangenheit auf. So räumt Stodden der Profitabilität einen höheren Stellenwert ein als dem Wachstum. Das schlägt sich bereits in den aktuellen Zahlen nieder: Der Umsatz fiel um vier Prozent (siehe Grafik). Auch im kommenden Jahr erwartet Stodden einen Rückgang der Einnahmen in gleicher Größenordnung.

Die neue Bescheidenheit hat dazu geführt, dass SBS die weltweite Konkurrenz ziehen lässt. Die Siemens-Tochter räumt die Märkte in Asien sowie Südamerika und konzentriert sich auf das Geschäft in Europa und den USA. Jenseits der Atlantiks besteht allerdings noch Handlungsbedarf, denn in Nordamerika erzielt SBS nur neun Prozent der Gesamteinnahmen. Ein tiefes Loch klafft jenseits des Atlantiks im Lösungsgeschäft. Das will Stodden mit verstärkten Vertriebsanstrengungen ankurbeln.

Die Strategie, sich in die Liste der weltweit fünf größten IT-Dienstleister notfalls auch mit Akquisitionen einzukaufen, ist passé. Nun will SBS dort, wo präsent, als Full-Service-Provider eine bedeutende Rolle spielen und nur noch organisch wachsen. Dabei konzentriert sich der Anbieter künftig auf Kunden aus der Industrie, dem Finanzdienstleistungssektor und der öffentlichen Verwaltung. Bis zu Stoddens Amtsantritt im Dezember 2001 gab es noch die ehrgeizige Strategie, in allen Branchen mitzuspielen.

Insbesondere bei den Großkunden will SBS seinen Umsatzanteil erhöhen. Hier gilt es, das Image aufzupolieren, denn der Dienstleister zählte in der Vergangenheit nicht immer zur ersten Wahl. Deutlicher Beleg dafür war etwa das Outsourcing-Vorhaben der Deutschen Bank, das komplett an SBS vorbeilief.

Wandel zum regionalen Full-Service-Provider

Dennoch ist Stodden optimistisch, hier wieder Fuß zu fassen. Darin, dass diese Klientel meistens global agiert, SBS aber soeben den Anspruch der weltweiten Präsenz aufgegeben hat, sieht er keinen Widerspruch: "Die großen Unternehmen sind überwiegend in Europa und den USA aktiv. Dort sind wir stark vertreten", erläutert der Manager. Sollte es in anderen Regionen Dienstleistungsbedarf geben, könne man im Einzelfall Partnerschaften eingehen.

Weil SBS sich nach wie vor als Vollsortimenter aufstellt, wird das Serviceportfolio kaum gekappt. Das Geschäft ruht auf den drei Säulen Solution Business (Beratung, Projekte), Operation Related Services (Betriebsdienste) sowie Product Related Services (Wartung). Sorge bereitet vor allem das Projektgeschäft, das für rund 32 Prozent des SBS-Umsatzes steht. "Mit dem Profit im Bereich Solution Business sind wir nicht zufrieden", gestand Stodden, dort schrieb SBS im abgelaufenen Geschäftsjahr Verluste. Seit dem vierten Quartal 2002, so der SBS-Chef, erzielt das Problemkind aber auch wieder schwarze Zahlen.

Obwohl im vergangenen Jahr bereits 2600 Stellen abgebaut wurden, hat SBS nach wie vor zu viele Mitarbeiter. Auf 2500 Mannjahre bezifferte Stodden die Überkapazität, die es noch im Lauf des Geschäftsjahres aufzulösen gilt. Das soll unter anderem mittels natürlicher Fluktuation, Teilzeitarbeit und Überstundenstopp geschehen. Betriebsbedingte Kündigungen wird es laut Stodden nicht geben.

Besondere Beachtung schenkt der SBS-Lenker der Befindlichkeit der Mitarbeiter. Motivation will er durch Aufbruchstimmung erzeugen. Das klingt nach der Quadratur des Kreises, denn im Zuge der neuen Geschäftsstrategie muss er seinen Mitarbeitern erklären, dass sich SBS von den hohen Ansprüchen der Vergangenheit verabschiedet hat und sich erst einmal in der zweiten Reihe des IT-Dienstleistungsmarktes einrichten wird. Das ist weder Aufbruch noch Abstieg, sondern eine realistische Einschätzung des eigenen Vermögens. In der ersten Liga der internationalen Service-Provider hat SBS nämlich noch nie gespielt.

Großkunde Siemens

Der Mutterkonzern ist für SBS gleichzeitig der größte Kunde. Im abgelaufenen Geschäftsjahr überwies Siemens der eigenen Tochter rund 1,6 Milliarden Euro für IT-Leistungen, Tendenz fallend. Aktuell brandet zudem wieder die Diskussion darüber auf, ob der Elektrokonzern seiner eigenen Tochter ganz den Rücken zukehren wird. Auslöser ist die Ausschreibung für den Betrieb der europäischen Rechenzentren und IT-Netze außerhalb Deutschlands. Das ist nichts Ungewöhnliches, denn SBS handelt wie ein Outsourcer für Siemens. Laufen Verträge aus, wird neu verhandelt. Eine pikante Note erhält der aktuelle Vorgang durch eine Information, die dem Beratungshaus Strategy Partners International vorliegt: Auf einer Speed-Veranstaltung im Februar 2002 (Speed ist das SBS-interne Rentabilitätsprogramm) soll das SBS-Management seine leitenden Angestellten auf schwierige Zeiten vorbereitet haben. Unter anderem fiel die Äußerung, dass Kostensenkungen erreicht werden müssten, um auch künftig Aufträge von Siemens erhalten zu können. Nach internen Untersuchungen der Siemens AG lägen die Preise von SBS um bis zu zehn Prozent über dem marktüblichen Niveau. Über entsprechende Unterlagen verfügt eigenen Angaben zufolge Herbert Kunisch, Industrie-Berater bei Strategy Partners.

Kunisch vermutet, dass die angekündigte Ausschreibung nicht wie sonst üblich zum Benchmarking der eigenen IT-Tochter genutzt wird, sondern die CIO-Organisation ernsthaft den Wechsel des IT-Lieferanten in Erwägung zieht. Das könnte wiederum der Auftakt zur langsamen Abnabelung des Siemens-Konzerns von SBS sein und in einen Teil- oder vollständigen Verkauf der Tochter münden.

Klar ist, dass SBS in einigen Punkten nicht dem Siemens-Anspruch genügt. Konzernstrategie ist etwa, in den einzelnen Märkten die Nummer eins oder zwei der Welt zu zählen - das wird SBS kaum schaffen können. Siemens hat in der Vergangenheit sämtliche IT-Aktivitäten abgestoßen (Infineon, Teile von Nixdorf, Epcos) - SBS ist ein reiner IT-Dienstleister. Sollte SBS tatsächlich zehn Prozent teurer als der Marktdurchschnitt sein, wäre das eine Quersubventionierung, die dem Ziel widerspräche, alle Konzernteile eigenverantwortlich zu betreiben.

Schließlich hat SBS als IT-Lieferant mit dem regionalen Schwerpunkt auf Europa und den USA Schwierigkeiten, die Expansion des Konzerns in Asien und China nachzuvollziehen.

Abb: Siemens Business Services

Die Geschäftszahlen zeigen, dass der Turnaround geschafft ist. Quelle: Siemens