Kritiker fürchten Nachteile für kleinere Softwarehäuser

Patentstreit erhitzt die Gemüter

12.09.2003
MÜNCHEN (wh) - Die Entscheidung über europaweit einheitliche Softwarepatente ist auf den 23. September verschoben. Nun geht die Diskussion zwischen Gegnern und Befüwortern in eine neue Runde. Umstritten ist besonders die Frage nach den Folgen für kleinere Softwarehersteller.

Das Berliner Softwarehaus Magix gehört zu den schärfsten Kritikern der geplanten EU-Richtlinie. In einem neunseitigen Schreiben an Europaparlamentarier verweist das mittelständische Unternehmen auf "die unverhohlene Interessenpolitik von Patentanwälten und anderen Vertretern des Patentwesens". Sollte der Vorschlag Gesetz werden, drohe "Gefahr für die europäische Softwareindustrie und den gesamten europäischen Wirtschaftsraum".

Insbesondere grundlegende Patente könnten die Entwicklung ganzer Produktserien behindern, argumentieren die Berliner. Die Folgen einer allzu großzügigen Vergabe seien in den USA bereits erkennbar: Dort würden Patente vor allem von Großunternehmen als zusätzliches Wettbewerbsmittel genutzt, ohne innovationsfördernd zu wirken.

Teure Patentanwälte

Daniel Riek vom Linux-Verband Live teilt diese Bedenken. Er verweist zudem auf den hohen finanziellen Aufwand für Patentrecherchen, den gerade kleine und mittlere Unternehmen nicht tragen könnten. "Schon die Sorgfaltspflicht erfordert es künftig, jeden Algorithmus in einem Programm auf mögliche Patentverletzungen zu prüfen". Dazu aber bedürfe es der Hilfe teurer Patentanwälte, denn das "Juristendeutsch" in den einschlägigen Patentdatenbanken sei für Laien kaum verständlich.

Mangels Ressourcen oder schlicht aus Unkenntnis scheint das Thema in etlichen Kleinunternehmen noch kaum eine Rolle zu spielen. "Man entwickelt halt und schaut dann mal was passiert", beschreibt Thorsten Lemke, Gründer und Besitzer der Lemke Software GmbH, die verbreitete Vorgehensweise. "Einen Patentanwalt kann ich mir gar nicht leisten." Passiert ist dem Programmierer aus Peine allerdings schon einmal etwas. Vor acht Jahren erhielt er ein Schreiben vom US-Hersteller Unisys. Der forderte Lizenzgebühren für das von Lemke in eigenen Programmen verwendete LZW-Komprimierungsverfahren. Lemke bezahlte.

Für Joachim Wuermeling, Europaabgeordneter und Patentbefürworter, geht der aktuelle Streit am Kern vorbei. "Die Diskussion wird überlagert von der traditionellen Auseinandersetzung zwischen großen und kleinen Unternehmen". Nach seiner Ansicht unterliegen die Patentgegner der "Fehlvorstellung", ein Patent wirke ebenso wie das Urheberrecht. Während letzteres jeden einzelnen Bestandteil eines Programms schütze, solle das Patentrecht lediglich die Nachahmung der Erfindung verhindern. "Deshalb ist es nicht notwendig, dass ein kleines Unternehmen alle 30000 erteilten Patente prüft. Diese Befürchtungen sind nicht berechtigt."

Was soll patentiert werden?

Patente seien nicht für jede Art von Software vorgesehen, sondern nur für computergestützte Erfindungen, die einen technischen Beitrag leisten, argumentiert der CSU-Politiker aus Oberfranken. Software an sich soll - entgegen der Praxis in den USA - nicht patentierbar sein, ebensowenig wie Geschäftsmethoden. Diesem Ziel widerspricht allerdings die bisherige Vergabepraxis des Europäischen Patentamts (EPA). Erst kürzlich hat die Behörde dem Online-Anbieter Amazon.com ein Patent auf den Direktversand von Geschenken erteilt - für Kritiker ein klassisches Beispiel für wettbewerbsbehindernde "Trivialpatente". Der gelernte Jurist Wuermeling räumt denn auch ein: "Da gab es schon das eine oder andere Patent, das auf den ersten Blick als reine Software anzusehen ist." Das Amazon-Patent etwa gehe seiner Meinung nach zu weit. Gerade deshalb aber sei eine klare Richtlinie nötig, andernfalls würde diese Praxis "ohne jede Einschränkung so weiter gehen".

Die Patentgegner befürchten genau das. Denn mit der vorliegenden Richtlinie würde die rechtswidrige Vergabepraxis des EPA nur im Nachhinein legalisiert. Wie aberwitzig sich eine laxe Handhabung auswirken könne, habe ein Wettbewerb in der Open-Source-Gemeinde gezeigt, berichtet Riek. Dabei ging es um die Frage, wer "die beste Patentverletzung" programmiert. Sieger wurde der Entwickler eines Fortschrittsbalkens, wie er etwa zur Installation von Software verwendet wird. Riek: "Zehn Zeilen Code verstoßen gegen 18 Patente".

Parteien bessern nach

Wuermeling fühlt sich von der Linux-Gemeinde ungerecht behandelt. Um die Patentflut einzudämmen und amerikanische Verhältnisse zu verhindern, habe man die strittige Richtlinie bereits nachgebessert. So stehe in dem ergänzten Artikel 4a ausdrücklich, dass Geschäftsmethoden nicht patentierbar seien.

Allem Anschein nach waren die heftigen Proteste der Patentgegner nicht vergebens. Nach der Verschiebung der eigentlich für den 1. September geplanten Parlamentsentscheidung werde die Richtlinie in den EU-Parteifraktionen noch einmal beraten, berichtet Wuermeling, der als Mitglied im EU-Aussschuss für Recht und Binnenmarkt an dem Gesetzesvorschlag mitgearbeitet hat. "Da ist durchaus noch Bewegung drin." Auch innerhalb der christdemokratischen Europäischen Volkspartei arbeite man daran, "zusätzliche Sicherungen" einzubauen. Ob sie ausreichen, die Kritiker bis zum neuen Abstimmungstermin zu besänftigen, ist offen.