Stand der Textverarbeitung in der Wirtschaft

"Patentrezepte gibt es nicht"

11.06.1976

HANNOVER - Sind Textverarbeitung und damit verbundene Tätigkeiten des Diktierens und Schreibens von solcher Bedeutung, daß sich - über den engeren Kreis der Fachleute hinaus - eine breitere Öffentlichkeit damit befassen sollte?

Diese Frage stellte das Geschäftsführende Präsidialmitglied des AWV - Ausschuß für wirtschaftliche Verwaltung in Wirtschaft und öffentlicher Hand e. V. -, Dr. Herbert Groeger, anläßlich einer Pressekonferenz auf der Hannover-Messe.

"Die Antwort", so Groeger, "ergibt sich aus den hohen Kosten der Textverarbeitung und aus der Möglichkeit, einen erheblichen Teil dieser Kosten im betriebs- und volkswirtschaftlichen Interesse einzusparen."

"Der Aufwand für die Korrespondenzabwicklung", fuhr Groeger fort, "beträgt jährlich etwa 150 Milliarden Mark, das heißt, für Textverarbeitung wird in der BRD fast ebensoviel Geld ausgegeben wie für den Bundeshaushalt. Allein im Bundeshaushalt (ohne DB, Post und die Körperschaften des öffentlichen Rechts) sind rund 20 000 Schreibkräfte ausgewiesen: Er ist demnach jährlich mit mindestens 600 Millionen Mark für Schreibarbeiten belastet."

Wie der Bundesrechnungshof durch Untersuchungen festgestellt habe, könnten 30 Prozent dieses Betrages, also 180 Millionen Mark pro Jahr, eingespart werden.

Zuviel Emotionen

Vor diesem Hintergrund machte sich Karlhans Mayer, Organisationsleiter in der Volkswagenwerk AG daran. den Stand der Textverarbeitung in der Wirtschaft zu analysieren: "Es gibt keinen einheitlichen Entwicklungsstand in der Organisation der Textverarbeitung in der Wirtschaft", nahm Mayer vorweg.

"Obwohl die Vorteile klar auf der Hand liegen, die Arbeitstechnik allgemein bekannt ist und die besten Arbeitsmittel bereitstehen. Letzteres beweist auch diese Messe in eindringlicher und überzeugender Deutlichkeit. Wo also liegt der Haken bei der sogenannten organisierten Textverarbeitung", fragte Mayer und wurde deutlich: "Ist eine vernünftige Arbeitsteilung etwas Unanständiges, ist Umdenken zu unbequem oder Rationalisierung gar böse?" So provozierend gefragt, erscheine schon der Kern des Problems: "Die Textverarbeitung ist maßlos emotionsbeladen - die Identifikation des Managements mit diese Rationalisierungsinstrument nur ungenügend entwickelt."

Mayer fuhr fort, daß man den Fortschritt unserer Industrieproduktivität dem Fortschritt in der Verwaltungsarbeit gegenüberstellen müsse - das verhalte sich wie 1600:40.

Mit dem mangelnden Rationalisierungswillen ohne Rationalisierungsnot sei der unterschiedliche Stand von der Sache her zu erklären: "Dazu gesellen sich die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen, denn es ist ein erheblicher Unterschied, ob ein Unternehmen Autos oder Texte produziert."

Und weiter: "Von der technischen Seite her wird - und das ist ein altes Phänomen - schließlich auch jenen auf die Sprünge geholfen, denen nach dem Motto: da könnte ja jeder kommen, oder das haben wir schon immer so gemacht - jede Rationalisierung suspekt erscheint."

Mangel an Methode und System

Für Mayer zeigte die Hannover-Messe deutlich das Phänomen: "Der brillante Entwicklungsstand der technischen Hilfsmittel für eine rationelle Textverarbeitung zwingt förmlich zu deren Anwendung. Sie zwingt auch den, der von der Sache her noch nicht überzeugt oder von der Not noch nicht gezwungen, sondern nur nach dem Motto: das möchte ich auch haben... zu seinem Glück kommt. Zu einem halben nur, denn hier mangelt es an Methode und System."

Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang die programmierte Textverarbeitung (PTV), die zum Teil heute noch mit den Pioniergeräten der mechanisierten Textverarbeitung - den Lochstreifenautomaten - hervorragende Leistungen erbringen", hob Mayer hervor. "Von der zentralen Textverarbeitung über die fachbezogene bis hin zur dezentralen Textverarbeitung finden wir viele Organisationsformen mit sehr unterschiedlicher Effizienz."

Rationalisierung plus Humanisierung

Vom Leistungsschreiben über die unterschiedlichsten Formen des Prämienschreibens gäbe es zwar eine große Palette von Anwendungen, eines jedoch nicht: "Das Patentrezept für sach- und fachgerechte Textverarbeitung. "

"Humanisierung", fuhr Mayer fort, "da dieses Schlagwort weiter Karriere macht und das Gegenteil der Textverarbeitung gern untergeschoben wird (manchmal sogar zu Recht), möchte ich deutlich machen, daß Rationalisierung und Humanisierung keine feindlichen Schwestern sein müssen. Es sei denn, man verwechselt Humanisierung mit Nichtstun und die Rationalisierung statt mit Vernunft mit Fron."