Parallele Rechner für den Markt von morgen

13.07.1990

Mit Professor Jerome Feldman und Dr. Wolfgang Ettel aus der Leitung des "International Computer Science Institute" (ICSI) sprach COMPUTERWOCHE-Mitarbeiter Wolf-Dietrich Lorenz*.

*Wolf-Dietrich Lorenz leitet CSE Conferences, Seminars, Education, die Kongreßabteilung der IDG Communications Verlag AG in München.

CW: Welche Meilensteine der Informations- und Kommunikationstechnologie erwarten Sie im nächsten Jahrzehnt auf dem Markt?

Feldman: Ich bin zwar kein Markforscher, glaube aber, daß parallele Systeme, künstliche Intelligenz und Hochgeschwindigkeits-Netze eine wichtige Rolle spielen werden.

CW: Wo beeinflussen dabei die Grundlagenforschungen des ICSI Entwicklungen und einen Strukturwandel?

Feldman: Das ICSI betreibt Spitzenforschung in ausgewählten Forschungsbereichen, die umfangreiche Netzwerke, Komplexitätstheorie, künstliche Intelligenz und massive Parallelität umfassen. Ich denke, wir werden die genannten Bereiche durch unsere Forschung bereichern, vor allem dort, wo inhaltliche Überschneidungen auftreten, wie bei massiv parallelen - konnektionistischen - Systemen künstlicher Intelligenz.

CW: Welche Ergebnisse haben Sie bislang erzielt?

Feldman: Das ICSI besteht seit ungefähr zwei Jahren und hat bereits ein breites Spektrum an Ergebnissen vorzuweisen, die in rund hundert Abhandlungen und Forschungsberichten dokumentiert sind. Zu den Ergebnissen gehören etwa ein Spezialcomputer für mehrschichtige neuronale Netze, eine neue Programmiersprache, ein konnektionistischer Simulator, Echtzeit-Netzwerkprotokolle und eine verbesserte Theorie für Pseudozufallszahlen.

CW: Sind die Mitglieder des "Vereins zur Förderung der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Informatik und ihrer Anwendungen" damit zufrieden?

Ettel: Die Ergebnisse der Arbeit des ICSI aus den beiden ersten Jahren seines Bestehens sind unserer Meinung nach exzellent. Ein beträchtlicher Teil führender internationaler Wissenschaftler auf dem Gebiet der theoretischen Informatik hat schon einen Forschungsaufenthalt am ICSI verbracht. Bereits vergangenes Jahr konnte konnektionistische Hardware, die "RAP-Machine", als Prototyp vorgestellt werden.

Zudem verlief der direkte Transfer über die beim ICSI erzielten Ergebnisse sehr erfolgreich. Er wurde vor allem durch intensiven transatlantischen Austausch einer ganzen Reihe von Wissenschaftlern - im Rahmen von Exchange-Programs - ermöglicht sowie durch längere Besuche zahlreicher deutscher Experten beim ICSI. Unmittelbare Beziehungen zur Spitzenforschung in den Vereinigten Staaten konnten so weiter ausgebaut werden

CW: Welche Erwartungen hegt der Förderverein?

Ettel: Die Erwartungen der Mitgliedsfirmen konzentrieren sich auf drei Bereiche. Zum einen auf den Informationstransfer über "Köpfe", also auf die Kooperationsmöglichkeit von Mitarbeitern in Gemeinschaftsprojekten mit amerikanischen Spitzenforschern. Intensiven direkten Informations- und Technologietransfer möchte ich als zweiten Punkt anführen, und die Erlangung eigener, unmittelbarer und kostenloser Rechte zur Verwertung aller Forschungsergebnisse gemäß dem zwischen dem ICSI und dem Förderverein geschlossenen Vertrag ist der dritte Punkt.

CW: Bislang gehören dem Förderverein acht Mitglieder aus den drei Ländern USA, Schweiz und BRD an: Wollen Sie ein exklusiver Verein bleiben?

Ettel: "Exklusiv" ist in diesem Zusammenhang keine zutreffende Bezeichnung für die Haltung des Fördervereins. Seit Januar 1990 ist eine Schweizer Fördergesellschaft an der Finanzierung beteiligt, und im Laufe dieses Jahres wird Italien dem Kreis der Sponsoren beitreten. Allerdings sind sich alle an dem Joint-venture Beteiligten - also das ICSI selbst, das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT), die industriellen und ausländischen Partner - darin einig daß das Institut nicht unbeschränkt weiterwachsen soll. Es wird eine optimale Größe von insgesamt etwa 60 wissenschaftlichen Mitarbeitern angestrebt, die bald erreicht sein dürfte.

CW: Der Rückstand in der Schlüsseltechnologie Mikroelektronik, besonders der BRD gegenüber Japan, scheint sich zumindest nicht zu verringern. Trägt eine deutsch-amerikanische Allianz wie das ICSI zu einem Punktgewinn bei?

Ettel: Um unsere Stellung auf dem Weltmarkt der Mikroelektronik weiter verbessern zu können - darüber sind sich die Mitglieder des Fördervereins einig -, ist für eine erfolgreiche Forschung und Entwicklung im Bereich der Informatik auch eine internationale Einrichtung notwendig. Von ihr läßt sich eine ebenso vorteilhafte Wirkung erwarten wie sie früher durch internationale Zusammenarbeit im Bereich der Physik erzielt wurde. So erarbeiten jetzt am ICSI weltweit anerkannte Spitzenkräfte innovative Lösungen in den Bereichen der hochgradigen Parallelität und der sehr verzweigten Hochleistungs-Netze, die auch in Japan auf der Forschungs- und Entwicklungs-Prioritätenliste ganz oben stehen.

CW: Das ICSI will unterschiedliche Disziplinen wie Informatik und Naturwissenschaften vernetzen. Welche Impulse ergeben sich aus diesem Brückenschlag für die Anwendungsnähe von Informatikforschung?

Feldman: Wir sehen deutlich die Vorteile, die eine Zusammenarbeit zwischen den Fachbereichen Informatik und Natur- und Biowissenschaften bringen kann. Die Ergebnisse unserer Arbeiten zur Entwicklung einer Komplexitätstheorie für numerische Verarbeitung sind auch für den wissenschaftlichen Computereinsatz in anderen Bereichen von Nutzen. Die Wechselbeziehungen zwischen konnektionistischer Forschung und neuronaler Modellierung haben sich als sehr fruchtbar erwiesen. Interdisziplinär zu agieren bringt den Vorteil, daß ein Problem, das aus einer bestimmten Perspektive heraus nicht gelöst werden kann, von einer anderen Disziplin angegangen werden kann. Ein Großteil des wissenschaftlich-technischen Fortschritts ist ja das Ergebnis interdisziplinärer Zusammenarbeit.

CW: Grundlagenforschung und Anwendung von Forschungsergebnissen, so lauten Interessen des "Vereins ". Geben seine Mitglieder auch Produkte in Auftrag?

Ettel: Das ICSI entwickelt keine definierten Produkte im Auftrag seiner Förderer, sondern es betreibt anwendungsorientierte vorwettbewerbliche Grundlagenforschung.

Die Grundlagen der Informatik werden also stets auch im Hinblick auf bestimmte Anwendungsmöglichkeiten untersucht sowie, erweitert. Dabei ist es den Mitgliedsfirmen des Fördervereins klar, daß kein schneller "Pay-off" oder direkter "Return of Investment" erwartet werden kann. Vielmehr bietet sich hier für die Industrie eine Chance, von Beginn an einen direkten Draht zur Forschung und Entwicklung eines ganz neuen Gebietes der Informationstechnik mit breiten Anwendungsmöglichkeiten zu haben, ein "technologisches Fenster" als "Frühwarnsystem". Ergebnisse, die das ICSI dabei erzielt, sind prototypisch und können uneingeschränkt von den Firmen für die Entwicklung eigener Produkte übernommen werden, die sich an der Finanzierung der Institutsarbeiten beteiligen.

CW: Wie gewichten Sie die Forschungsvorhaben, und welche Rolle spielt dabei, für das ICSI als "Non-Profit-Organization" die jährliche Unterstützung? Sind Sie damit zufrieden?

Feldman: Die wissenschaftlichen Zielsetzungen des Instituts legen die leitenden Wissenschaftler fest. Im Board of Directors des ICSI sind die Förderer vertreten, deren Zustimmung für den jährlichen Forschungsplan erforderlich ist.

CW: Sie geben auch Geld für "Informationsaustausch über Köpfe" aus. Mit einem "Postdoctoral and Visiting Scientists Program" wollen Sie für Spitzenwissenschaftler und handverlesenen Führungsnachwuchs sorgen. Wer hat mit welchen Qualifikationen hier Zugang?

Feldman: Die Postdoktoranden wählt ein Komitee aus, das aus deutschen und amerikanischen Wissenschaftlern besteht. Dazu kommen zahlreiche Forschungsaufenthalte unterschiedlicher Dauer von deutschen Professoren und anderen erfahrenen Wissenschaftlern. Die Anforderungen an die Bewerber sind wohl allgemein üblich: Sie müssen fachlich qualifiziert sein und in den Forschungsrahmen des Instituts passen.

CW: Sollten sich Forscher auch mit der Frage beschäftigen, welche Auswirkungen neue Technologien auf die Menschen haben?

Feldman: Ein Großteil der Forschung im Informatikbereich ist eng mit der Frage verbunden, wie Anwender Computer benutzen. Deshalb bezieht das ICSI die Folgen seiner Forschungsarbeiten für die Allgemeinheit und die technischen Entwicklungsmöglichkeiten, die sich daraus ergeben, in seine Arbeiten und Überlegungen mit ein.