Zwischenbilanz: Vier Jahre IT-Ausbildungsberufe

Pannen schrecken den Nachwuchs nicht

02.10.2001
Von Bettina Wirth
Die neuen IT-Berufsbilder erfreuen sich bei Schulabgängern wie Unternehmen großer Beliebtheit. Die Ausbildungszahlen zeigen, dass die meisten Unternehmen darauf setzen, ihren eigenen Nachwuchs heranzuziehen.

Gerade junge Startup-Unternehmen der IT-Branche entdecken die informationstechnischen Ausbildungsberufe als probates Mittel, um ihrem Bedarf an qualifiziertem Personal gerecht zu werden. Für die Ausbildungsrichtungen Fachinformatiker, Informations- und Telekommunikationssystemelektroniker, Informatikkaufmann und Informations- und Telekommunikationssystemkaufmann entschieden sich seit 1997 bereits rund 40 000 Schulabgänger.

Damit wurde schon im vergangenen Jahr die ursprünglich für das Jahr 2003 ins Auge gefasste Zielmarke erreicht. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) peilt nun bis 2003 sogar 60 000 Plätze an. Dass eine Softwareschmiede mit 201 Mitarbeitern 46 Auszubildende verkraftet, lässt jedoch aufhorchen. Obwohl der Kölner Anbieter von Web-Content-Management-Systemen Pironet NDH erst seit 1995 im Geschäft ist, begannen bereits 1997 drei angehende IT-Experten ihre Ausbildung.

Damit kam in mehrfacher Hinsicht Neues auf das Softwarehaus zu. Die selbst noch jungen Mitarbeiter von Pironet hatten nicht nur keine Erfahrung als Ausbilder, auch die Berufsbilder waren gerade erst aus der Taufe gehoben worden. Dies berichtete die Ausbildungsleiterin Kirsten Bort auf dem Kongress „Trends in der betrieblichen Ausbildung“ von Management Circle in Bad Homburg. Nicht jedes Unternehmen verfolgt eine derart konsequente Ausbildungs- und Personalstrategie wie Pironet, aber die Internet-Firma verkörpert einen Trend: Allen Unkenrufen über schlechte Berufsschullehrer und Prüfungspannen zum Trotz nimmt die Wirtschaft die vier neuen Berufsbilder gut an.

Die Zahl der neu abgeschlossenen IT-Ausbildungsverträge stieg allein von 1999 bis 2000 um 40 Prozent. Für den Beruf des Fachinformatikers entschieden sich 2000 sogar 54 Prozent mehr Auszubildende als im Vorjahr – eine Entwicklung, die anhält. Fast jeder Zweite von ihnen kann die Hochschulreife vorweisen. Der Trend ist auch den Konferenzteilnehmern in Bad Homburg klar: Die neuen IT-Ausbildungsberufe sind „Abiturientenberufe“.

Die Sorge, dass Abiturienten aufgrund der demografischen Entwicklung knapp werden, treibt zwar einige Personalentwickler um, dennoch stimmen viele Arbeitgeber ihre Angebote speziell auf die Bedürfnisse der ehemaligen Gymnasiasten ab. Sie locken mit einer Verkürzung der Lehrzeit von drei auf zweieinhalb und sogar zwei Jahre oder bieten an, Berufsausbildung und Studium zu verknüpfen.

Pironets Human-Resources-Mitarbeiterin Bort kann sich zurzeit jedenfalls nicht über einen Mangel an qualifizierten Bewerbern beklagen. Eher im Gegenteil: „Die Qualität der Ausbildungsanfragen wird immer besser.“ Auch andere Konferenzteilnehmer bestätigen, dass viele Schulabgänger bereits sehr gutes Fachwissen mitbringen, weil sie zum Beispiel in ihrer Freizeit ein Netzwerk für das Jugendzentrum konfiguriert haben. Schwierigkeiten haben junge Firmen eher dabei, ihren Part an der Ausbildung angemessen auszufüllen. So räumt Bort ein: „Unsere ersten Prüflinge haben im Frühjahr zwar alle bestanden, aber eine gute Ausbildung haben sie sicher nicht genossen.“

Die Selbstkritik scheint überzogen, schließlich beendete ein IT-Systemkaufmann von Pironet seine Ausbildung als IHK-Prüfungsbester. Dennoch birgt die Kombination „Startup-Unternehmen – IT-Azubi“ Schwierigkeiten. Die Probleme sind strukturbedingt. Junge IT-Firmen verfügen selten über gefestigte Unternehmensstrukturen, lang gediente Mitarbeiter mit Ausbildererfahrung fehlen.

Ausbildungsverantwortliche Bort zum Beispiel ist mit ihren 25 Jahren ungefähr genauso alt wie die Azubis, um die sie sich kümmert. Auch die Ausbilder in den Fachabteilungen sind kaum älter und verfügen meist über keinerlei Führungserfahrung. Sie müssen erst einmal selbst Schulungen in Sozialkompetenz absolvieren, um den Umgang mit Auszubildenden zu lernen. Manchmal treten Konflikte aus ganz banalen Gründen auf, stellte Bort fest: „Wie gehe ich beispielsweise als Ausbilder damit um, dass mein Azubi Ärger mit der Freundin hat?“ Abhilfe schaffen will hier die Ausbildereignungsprüfung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) in Bonn.

Die Teilnahme an den mehrmonatigen Schulungen der Kammern wirft allerdings organisatorische Probleme auf: Das Projektgeschäft, nach dem die meisten Unternehmen ihre Arbeit organisieren, verhindert die Teilnahme an mehrmonatigen Schulungen. „Ein größeres Angebot an Kompaktschulungen würde uns sehr weiterhelfen“, schildert Bort ihre Erfahrungen. Doch nicht nur die außerfachlichen Qualitäten der Ausbilder müssen verbessert werden. Auch strukturelle Defizite in den kleinen IT-Firmen erschweren manchmal die Wissensvermittlung.

Helfen könnten hier Netzwerke zwischen ausbildenden Unternehmen. Sie zu schaffen braucht aber Zeit. Unternehmen der Old Economy kooperieren meist seit Jahren mit anderen Ausbildungsbetrieben, betreiben gemeinsam Lehrwerkstätten und tauschen Azubis aus, die so Einblick in die Arbeitsweise verschiedener Organisationen erhalten. Junge IT-Unternehmen gleichen den Mangel an externer Unterstützung durch Engagement, Ideenreichtum und Mut aus. Bei Startups bereiten sich die Auszubildenden nicht lange und behutsam in fiktiven Modellprojekten auf die Realität vor, sondern arbeiten von Anfang an in den Geschäftsprojekten mit. „Es ist sogar schon vorgekommen, dass wir ohne Wissen des Auftraggebers einen Azubi aus dem zweiten oder dritten Lehrjahr als Projektleiter eingesetzt haben“, berichtet Bort ungeniert und nicht ohne Stolz.

Die Deutschen Telefonwerke (Detewe) improvisieren da seltener. Die Berliner Kommunikationstechniker existieren seit 110 Jahren und mussten für ihre Ausbildung in den neuen IT-Berufen das Rad nicht neu erfinden. Schon lange bildet das Unternehmen beispielsweise Industriekaufleute und Elektroniker aus.

Seit 1994 kann der TK-Technikanbieter sogar mit einer Juniorfirma aufwarten. Bei „YoungStars“ arbeiten die IT-Azubis genauso mit wie die Auszubildenden herkömmlicher Berufe auch. Dabei überschreiten die jungen Leute die Grenze zwischen Ausbildungsprojekt und echtem Geschäftsleben. „Entsprechend groß ist die Motivation“, weiß der angehende IT-Systemelektroniker Patrick Felgenträger zu berichten. Immerhin hat die Juniorfirma seit Bestehen 1,5 Millionen Mark mit dem Verkauf von hauseigenen TK-Produkten an Mitarbeiter erwirtschaftet. Felgenträger, der 1999 seine Ausbildung bei Detewe begann, hatte nach dem Abitur die Wahl, bei einem kleinen IT-Unternehmen in die Lehre zu gehen oder den gefestigten Strukturen in einem Traditionsunternehmen den Vorzug zu erteilen.

Heute fühlt er sich in seiner Entscheidung für Detewe vollauf bestätigt. Der Azubi und YoungStars-Bereichsleiter Materialwirtschaft ist bei seiner Tätigkeit für die Juniorfirma gleichermaßen technisch wie kaufmännisch gefordert. Er weiß es zu schätzen, „in einem echten kleinen Unternehmen Verantwortung zu übernehmen und kundenorientiert zu handeln“. Alle Mitarbeiter sind Azubis, erst auf Geschäftsleitungsebene mischt sich Ausbildungsleiter Andreas Krause ein.

Trotz sehr guter struktureller Bedingungen berichtet aber auch Krause über Probleme mit der IT-Ausbildung: „Die neuen Berufsbilder verlangen mehr thematische Breite und Tiefe als die traditionellen. Außerdem wollen wir auch soziale Fähigkeiten und Methodenkompetenz in Projektarbeit vermitteln. Damit wird die Ausbildung so komplex, dass wir uns eine Verkürzung der Lehrzeit nicht vorstellen können.“ Eine projektorientierte Ausbildung sei deutlich zeitaufwändiger als die herkömmliche. „Die Projektarbeit ist schwierig zu organisieren, und der Erfolg dieser Methodenkompetenz ist erst langfristig sichtbar. Da muss man als Ausbilder eine hohe Eigenmotivation mitbringen“, so Krauses Zwischenbilanz.

Egal, ob Old oder New Economy: Einig sind sich die Ausbildungsverantwortlichen, dass der Lehrermangel an den Berufsschulen schleunigst behoben werden muss und die Lehrinhalte besser auf die kurzen Innovationszyklen der IT abzustimmen sind. Als sinnvoll bewertet Detewe-Ausbilder Krause, dass die Unternehmen in Absprache mit den Industrie- und Handelskammern eigene Ausbildungsschwerpunkte setzen dürfen. Der Haken an der Sache sei allerdings, dass in den IHK-Abschlussprüfungen doch wieder der ganze Lehrkanon abgefragt wird. Außerdem sei die Frage, ob und wie sich Projektkompetenz überhaupt prüfen lasse.

Ein Weg aus der Misere führt sicher über die Mitwirkung der Wirtschaftsvertreter am Prüfungswesen: „Setzen Sie sich in die Ausschüsse, um zu sehen, was von den Azubis verlangt wird“, so Krauses Appell an die Ausbilder. Diesem Aufruf kann sich der IT-Medienbildungsbeauftragte des DIHK nur anschließen. Gregor Berghausen gesteht beim „leidigen Thema Prüfungen“ Handlungsbedarf ein. Die ersten Abschlussprüfungen im Mai 2000 mussten wiederholt werden, weil die Lösungen unmittelbar neben den Aufgaben standen.

Im Sommer 2001 stellte dann ein cleverer Prüfling Aufgaben, die ihm vorab in die Hände gefallen waren, ins Internet. Berghausen zerknirscht: „Der Prüfungsvorgang im Sommer 2000 war handwerklich miserabel.“ Die Panne schiebt er auf den großen Andrang: „Normalerweise haben wir bei neuen Berufen 200 bis 300 Prüflinge. Da können Sie Korrekturen auf Prüfungsbögen fast per Hand vornehmen. Bei den IT-Berufen hatten wir aber 6000 Kandidaten im ersten Prüfungsjahrgang.“ Dass die betriebliche Ausbildung von IT-Experten trotz aller Hürden ein erfolgreiches Instrument der Personalfindung und –bindung ist, dessen ist sich zumindest Bort von Pironet sicher: „Wir haben auch über die Green Card versucht, an Spezialisten zu kommen. Unsere Erfahrungen mit der Ausbildung sind aber besser.“ Der eigene Nachwuchs spricht deutsch, kennt das Unternehmen genauer, kann deshalb leichter in andere Abteilungen wechseln und ist schlichtweg billiger.