Outlook lernt VoIP

18.11.2005
Von Helmut Linz 
Ein Mittelständler spart sich teure Investitionen in eine TK-Anlage und telefoniert direkt am PC-Arbeitsplatz per Voice over IP. Ein Landratsamt hält es ähnlich.

Als einer der weltweit führenden Hersteller in der Automatisierungs- und Handhabungstechnik nutzt die Zimmer GmbH in Rheinau-Freistetten mit über 350 Mitarbeitern in allen Bereichen modernste Technik. So auch bei der Telefonie. Seit einem Jahr telefoniert man dort nicht mehr mit einer teuren TK-Anlage, sondern über das vorhandene Datennetz (Voice over IP) direkt am PC. Als Software nutzt die Zimmer GmbH hierzu die Integrationslösung "Octopus Netphone" der Züricher Mediastreams AG (siehe Kasten "Microsoft und Mediastreams"). Die benötigten 130 Lizenzen bezog das Unternehmen über die T-Systems AG. Als Betriebssystem läuft auf den Rechnern Windows 2000, was sich nach Angaben des Mittelständlers in jeder Beziehung bestens bewährt hat.

COMPUTERWOCHE Serie Voice over IP

"Wie viel sparen wir denn durch VoIP?" Diese Frage ist immer wieder zu hören, wenn sich Unternehmen mit dem Thema Voice over IP beschäftigen. Neben der Hoffnung auf geringere Gesprächsgebühren und Servicekosten schwingt oft die Erwartung mit, dass die Anschaffung einer IP-TK-Lösung deutlich günstiger sei als eine klassische Telefonanlage. Die teuren Call-Server und IP-Telefone schrecken dann viele Unternehmen von einer Migration zu VoIP ab. Die computerwoche zeigt in vier Folgen alternative und kostengünstige Wege zur IP-Telefonie auf und wie diese neue Geschäftsmodelle ermöglichen.

Teil 1: VoIP als PC-gestütztes System.

Teil 2: Mit Software zur homogenen TK-Welt.

Teil 3: Neue Geschäftsfelder mit Hosted VoIP.

Teil 4: Virtualisierung - die sanfte Revolution auf dem Weg zu IP.

Den zweiten Teil lesen Sie in Ausgabe 48.

Hier lesen Sie …

• wie ein Mittelständler seine klassische TK-Anlage durch eine PC-gestützte VoIP-Lösung ersetzte;

• welche Erfahrungen die Benutzer mit der Integration der Telefonie in das Mail-System machten;

• wie das System ohne zentrale Server funk- tioniert;

• was eine solche Lösung kostet.

Die Kosten

Die Kosten für die Integrationslösung Octopus Netphone betragen pro Arbeitsplatz zwischen 400 Euro und 700 Euro, je nach Anzahl der Benutzer und dem Zustand der IT-Umgebung. Zur Lösung gehören die Integration in die vorhandene IT, Installation und Inbetriebnahme aller dezentralen und zentralen Komponenten sowie Schulung und Administration. Anhand eines Rechenbeispiels der fiktiven Firma Muster, die ihre herkömmliche TK-Anlage mit 70 Usern ersetzen muss, sollen die Kosten möglicher TK-Varianten aufgezeigt werden. Gerechnet wird mit einer IT-Lebensdauer von fünf Jahren.

Variante eins

Miete einer neuen herkömmlichen TK-Anlage für sieben Jahre.

Kosten: etwa 125000 Euro im Lauf von fünf Jahren. Diese setzen sich aus der TK-Anlage für etwa 75000 Euro sowie Installation und Betrieb (Support, Mutationskosten, Miete) für rund 50000 Euro zusammen. Das System muss manuell gewartet werden. Für Veränderungen der Anlage sind häufig externe Dienste notwendig. Die Technik beruht auf herstellereigenen Standards. Die Anlage ist in Miete vorhanden.

Variante zwei

Beschaffung (Kauf) einer neuen modernen VoIP-Lösung basierend auf der vorhandenen IT-Infrastruktur. Sie wird in das vorhandene E-Mail-Sytem integriert. Den Betrieb der Lösung übernimmt dann die interne IT-Abteilung.

Kosten: 75000 Euro im Lauf von fünf Jahren. Davon entfallen 50000 Euro auf die Octopus-Netphone-Integrationslösung. Installation und Betrieb (Störfallkosten, Anpassung der IT, Mutationskosten, Lizenz-Upgrades, Anbindung an CRM und Altsysteme, schrittweise Migration auf VoIP) schlagen mit 25 000 Euro zu Buche. Es fällt wenig technischer Support an, da das System sich selbst verwaltet. Das Know-how ist vorwiegend auf Kundenseite. Die Anlage wird von der IT-Abteilung wie jede andere Applikation gewartet. Die Technik beruht auf gängigen IT-Standards. Die Anlage gehört dem Kunden.

Microsoft kauft Mediastreams

Die Zukunft der hier vorgestellten VoIP-Lösung von Mediastreams ist ungewiss. Das Schweizer Unternehmen wurde nämlich kürzlich überraschend von Microsoft gekauft. Der Konzern schließt damit eine empfindliche Lücke in seinem Portfolio, denn bislang konnten die Redmonder im Business-Segment keine eigene VoIP-Lösung vorweisen.

Mit der Übernahme ist Microsoft nun erstmals in der Lage, auch eigene VoIP-Angebote im Enterprise-Segment zu unterbreiten. Mit dem Know-how der Schweizer will Microsoft seine Vision einer "Unified Communication" verwirklichen, bei der sämtliche Kom- munikationsmittel wie E-Mail, Instant Messaging, SMS, Telefonie sowie Audio-, Video- und Web-Konferenzen zusammengeführt werden.

Nach den derzeitigen Plänen könnte die Mediastreams-Technik in die Entwicklung des "Office Live Communications Server" einfließen und würde damit ein Bestandteil der "Office-Real-Time-Collaboration"-Plattform. Zumindest organisatorisch wird das Züricher Unternehmen, das als hundertprozentige Microsoft-Tochter weiter an seinem Stammsitz agiert, ein Teil von Microsofts Real Time Collaboration Group.

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Die vom Züricher Unternehmen Mediastreams AG unter dem Namen "ePhone" entwickelte und hierzulande unter anderem auch von der Telekom als "Octopus Netphone" vertriebene VoIP-Lösung verzichtet komplett auf eine IP-PBX, wie sie bei anderen Lösungen in Form von Call-Servern existiert.

Die Technik

Bei dieser verteilten Lösung telefonieren zwei Clients innerhalb eines IP-Netzes direkt über eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung miteinander. Weitere Komponenten für das Zusammenschalten der Gesprächspartner sind nicht erforderlich. Leistungsmerkmale wie Konferenzschaltung, Wartemusik oder Gesprächsaufzeichnung, die normalerweise eine TK-Anlage bereitstellt, werden lokal auf dem Arbeitsplatz-PC ausgeführt. Für diese Funktionen muss auf den Rechnern der "ePhone Client" installiert sein. Er erweitert das E-Mail-Programm, unterstützt werden Outlook und Notes, um die Sprachtelefonie. Auf diese Weise erledigt der Client auf dem Desktop das Gros der Telefonieaufgaben, so dass nur wenige zentrale Komponenten in Form von Windows-Diensten benötigt werden.

Eine davon ist der "Phone Registrierungsdienst", der einer Nebenstelle eine Telefonnummer zuordnet, damit sich zwei Telefon-Clients finden können. Diese Informationen können entweder im Active Directory hinterlegt werden oder in einer Lotus-Domino-Datenbank. Der zweite erforderliche Server-Dienst ist "Phone Abwesenheit". Da der ePhone-Client ja als eine Art TK-Anlage auf dem PC betrachtet werden kann, steht keine Telefoniefunktion zur Verfügung, wenn der Rechner des Benutzers ausgeschaltet ist. Hier kommt der Abwesenheitsdienst ins Spiel: Er leitet ankommende Gespräche auf eine andere Nummer weiter oder nimmt eine Sprachnachricht auf. Dafür benötigt der Service ein eigenes Benutzerpostfach auf einem Mail-Server.

Bleibt die Telekommunikation auf das unternehmenseigene IP-Netz beschränkt, so reichen diese drei Komponenten zur Realisierung einer VoIP-Lösung. Soll dagegen noch eine Verbindung ins öffentliche Telefonnetz erfolgen, ist zusätzlich ein "Phone Gatewaydienst" erforderlich.

"Das Wachstum unseres Unternehmens und mehrere Neubauten erforderten eine neue, flexible und kostengünstige Ablösung der Telefonanlage in unseren Gebäuden", schildert Geschäftsführer Günther Zimmer die Ausgangssituation. Zudem wollte der Mittelständler für Sprache und Daten künftig nur noch ein gemeinsames Netz nutzen, um gleichzeitig Kostenvorteile zu erzielen und die Geschäftsprozesse zu verbessern. "Mit unseren Tochtergesellschaften und Niederlassungen telefonieren wir über unser Datennetz beziehungsweise über das Internet zum Nulltarif", zeigt sich Zimmer mit der Netphone-Lösung zufrieden.

Einfach zu erweitern

Zudem können im Prinzip an jedem PC mit Netzzugang zusätzliche Telefonarbeitsplätze ohne großen Aufwand jederzeit neu eingerichtet werden - egal ob das im 50 Kilometer entfernten Ettlingen geschieht oder im Home Office eines Vertriebsmitarbeiters in Hamburg. Dabei ist egal, ob als Netz WLAN, GPRS, UMTS oder DSL verwendet wird, der neuen Telefonie ist jede Verbindung ins Datennetz recht. Wechselt ein Mitarbeiter seinen Standort - etwa von der Zentrale ins Home Office oder auch nur in eine andere Etage - , bleibt er unter der gleichen Nummer erreichbar, auch im Ausland. Bei ausgeschaltetem PC oder in Abwesenheit kann der Benutzer nach Belieben per Mausklick seine Nummer auf Mobiltelefone oder Kollegen umleiten.

Kommen neue Mitarbeiter hinzu, benötigt Zimmer nur weitere Lizenzen. Als Hardware reicht ein Headset oder ein Handapparat, der einfach über die USB-Schnittstelle mit dem PC verbunden wird. Display und Tastatur, wie sie heute übliche Bürotelefone besitzen, sind überflüssig. Alle VoIP-Funktionen werden nämlich über das Mail-Programm Outlook am Computer des Users bedient. Telefoniert der Anwender mit einem Teilnehmer außerhalb des Datennetzes, dann stellt der Netz-Server die Verbindung zur Außenwelt automatisch über ein angeschlossenes "Netphone Gateway" her. Die Qualität der Sprachverbindung ist in jedem Fall einwandfrei, bestätigen Mitarbeiter.

Zentrale Datenpflege

Über den Server in der Firmenzentrale greifen alle User auf einen identischen Datenpool an Adressen und Telefonnummern zurück. Deren Pflege und Aktualisierung übernimmt der Administrator statt jeder Mitarbeiter am eigenen Telefon. "Die Mitarbeiter akzeptieren die neue Lösung gut", freut sich Frank Zimmer als verantwortlicher Systemadministrator. Für ihn und sein Team brachte VoIP zudem eine Arbeitserleichterung, denn er muss jetzt nur noch das "multifunktionale" Datennetz des Unternehmens betreuen und keine zusätzliche Telefonanlage mehr.

Auf Anwenderseite lernte man schnell die leistungsfähigen Funktionen wie Umleitung, Weiterleitung, Anrufbeantworter, Teilnehmerdaten etc. schätzen. Zumal sie für den Benutzer leicht zu bedienen sind: Er kann die Funktionen direkt in Outlook leicht handhaben und verwalten. Nachrichten vom Anrufbeantworter können beispiels- weise wie Dokumente im Mail-Anhang an beliebig viele Teilnehmer als Sound-Datei weitergeleitet werden. Eingehende, ausgehende oder unbeantwortete Telefonate werden wie E-Mails in Ordnern bearbeitet, archiviert und verwaltet.

Unter dem Strich ist auch Rainer Thallner, Controller bei der Zimmer GmbH, zufrieden: "Durch den Wegfall der Telefongebühren bei Gesprächen mit den bundesweit verteilten Kollegen und durch die entfallenden Kosten für Anschaffung und Administration einer normalen TK-Anlage sparen wir im Jahr einen größeren Betrag. Gleichzeitig profitieren wir von der höheren Leistungsfähigkeit der neuen Lösung."

Ein Sparpotenzial, das auch Behörden mit ihren knappen Kassen erkennen. So hat beispielsweise das Landratsamt Biberach zwei neue Außenstellen für insgesamt 110 Mitarbeiter mit der IP-Softphone-Lösung ausgestattet. Investitionen in den Aufbau und Betrieb eines herkömmlichen Telefonnetzes wurden dadurch überflüssig.

"Nachdem die neue Telefonie im Einsatz war, stellte sich schnell heraus, dass ihre Funktionen einer herkömmlichen Anlage deutlich überlegen waren", erzählt Wolfgang Winter, stellvertretender Leiter der IuK-Zentrale des Landratsamtes. Vor allem die einfache Verwaltung aller ein- und ausgehenden Gespräche sowie das Handling von Weiterleitungen und Umlei- tungen in Microsoft Outlook haben laut Winter die Anwender nach der üblichen ersten Skepsis begeistert. "Die Octopus- Netphone-Integrationslösung wurde in die vorhandene Microsoft-Umgebung implementiert und war schon nach vier Wochen einsatzbereit", ergänzt Pablo Hofer, Geschäftsführer der Schweizer Mediastreams AG in Deutschland, die das System entwickelt hat. Vorausetzung dafür, dass die Implementierung so reibungslos verläuft, ist allerdings, dass die IT-Infrastruktur wie beim Landratsamt Biberach auf dem aktuellen Stand der Technik ist. "Dann ist der Aufwand kaum höher als für die Installation einer neuen Software", so Hofer.

Mit dem Service und der Unterstützung durch die T-Systems sind die Biberacher sehr zufrieden. Überzeugt von den positiven Erfahrungen in den Außenstellen plant, man 2006 das ganze Landratsamt mit rund 1000 Plätzen auf eine IP-Softphone-Lösung umzustellen. (hi)