Bestellwesen und Fakturierung: Geschäftsprozesse auf dem Großrechner

Otto findet das Entwickeln eigener Anwendungen gut

20.08.1999
MÜNCHEN (uo) - Am 17. August dieses Jahres wird die Otto-Handelsgruppe 50. Der Schuhversand, der im 1950er Katalog 28 Paare anbot, hat sich längst zu einem global agierender Konzern mit 63000 Beschäftigten gemausert. Die Software, die den wandlungsfähigen Versandhändler unterstützt, besteht hauptsächlich aus Host-Anwendungen Marke Eigenbau.

Mehr als 450 Millionen Mark wird der Otto Versand in diesem Jahr durch seine Online-Aktivitäten und die CD-ROM einnehmen - rund sieben Prozent des Gesamtumsatzes. Dreistellige Zuwachsraten im Internet-Verkauf von rund 100000 Artikeln sorgen dafür, daß dieses Bestellmedium Fax und Telefon in absehbarer Zeit überflügeln wird. Immerhin hat das Versandhaus allein 24 Call-Center in Betrieb, bei denen in Spitzenzeiten täglich mehr als 200000 Anrufe eingehen. Hinzu kommen noch die Einrichtungen der Otto-Tochterunternehmen zum Beispiel je vier von Schwab und Bon Prix. Bestellungen per Post haben sich auf einem Niveau von 15 Prozent eingependelt.

"Doch die Bestellvorgänge unterscheiden sich lediglich in den Oberflächen", sagt Gerd Krummacker, beim Otto Versand zuständig für Verkaufs- und Kreditsysteme. Darunter laufe dieselbe Verarbeitungslogik. Sie wurde von der hauseigenen Entwicklungsmannschaft in Assembler codiert und läuft auf Unisys-Großrechnern. Die Anwendung ist seit Mitte 1997 in der Hamburger Zentrale im Einsatz. Mittlerweile arbeiten auch die Konzerntöchtern Schwab, Heine, Bon Prix und Baur mit dem Programm. Otto beschäftigt derzeit 120 Entwickler sowie 40 IT-Experten in den deutschen Tochterunternehmen.

Die Oberflächen des Bestellverfahrens sind in C++, PL SQL und Java programmiert. In den Call-Centern befinden sich Windows-3.11-Clients und Novell-Server im Einsatz. Die Mitarbeiter berechnen online verschiedene Ratenmodalitäten und prüfen zum Beispiel die Bonität des Kunden und ob die Adresse existiert. Auf Wunsch kann eine gesonderte Lieferaderesse vereinbart werden.

Außerdem läßt sich ungefähr ermitteln, zu welcher Tageszeit ein Produkt vom konzerneigenen Zustelldienst, dem Hermes Versand, ausgeliefert werden kann. Das hängt davon ab, welches der 64 Hermes-Depots für die jeweilige Zustellung zuständig ist und aus welchem der sieben Lager der Artikel stammt. Deshalb verfügt die Bestellanwendung auch über aktuelle Informationen zu den Artikelbeständen. Die Lager sind via Standleitung mit der Hamburger Zentrale verbunden.

Um die Kundenberatung zu verbessern, arbeiten die Otto-Programmierer daran, neben den Produktinformationen aus den Katalogen weitergehende Informationen in das Bestellwesen zu integrieren: zum Beispiel Auskünfte über umweltschonende Produktionsweisen und Pflegetips.

Die Internet-Bestellung bietet annähernd denselben Service. Allerdings setzt die Oberfläche auf eine stärkere Führung des Kunden. Die Anwendung läuft auf Servern von Sun und Hewlett-Packard (HP) und basiert auf dem Datenbank-Management-System von Oracle.

Wird ein Auftrag erteilt, werden die Bestelldaten in ein Großrechner-Log-File geschrieben, wo sie hauptsächlich nachts sequentiell abgearbeitet werden. Seit rund zehn Jahren gibt es neben der nächtlichen Fakturierung eine sogenannte "Mittagskette". Hier werden die Bestellungen, die am nächsten Tag rausmüssen, berechnet.

Um häufiger fakturieren zu können, programmieren die Otto-Entwickler derzeit die Applikation neu - in C. Im Frühjahr des kommenden Jahres soll die neue Anwendung das sequentielle Altsystem ablösen. Gleichzeitig will Otto das bisherige Unisys-Datenhaltungssystem durch ein relationales Datenbank-Management-System von Unisys ersetzen.

Für die neue Applikation lassen sich weder das Datenmodell des Vorgängers noch Teile der Logik verwenden. Trotzdem sei Standardsoftware für die Bestellabwicklung nie eine Alternative gewesen, betont das DV-Team. So gebe es nur wenige Anwendungspakete im Haus, etwa das R/3-Modul "Lohn und Gehalt" von der SAP AG. Im Kerngeschäft jedoch setzte Otto auf genau zugeschnittenen Anwenderservice, den Produkte von der Stange kaum liefern könnten. Selbst Browser-Oberflächen für die Call-Center-Mitarbeiter lehnt Krummacker ab. Sie irritierten den Benutzer beispielsweise durch applikationsfremde Buttons.

Auch die neue Rechnungsstellung soll mehr umfassen als die Addition der einzelnen Posten. Otto-intern sprechen die Mitarbeiter von einer "Laufverkettung". Neben der Rechnung, die die Kunden bisher per Überweisung zahlen, entsteht ein "Pickzettel". Dieser Aufkleber für Lager und Lieferung enthält Kunden- und Artikeldaten sowie Lagerinformationen, die den Ablauf der Kommissionierung bestimmen. So weisen sie jeweils den Regalplatz in den sogenannten chaotischen Lagern aus und bestimmen durch eine gruppenweise Zusammenstellung eine optimierte Wegführung der Mitarbeiter, die die Warensendungen zusammenstellen.

Bei 60 Prozent der von Otto versandten Produkte handelt es sich um Bekleidung und Schuhe. Der Rest besteht aus Hartware, vom Klodeckelüberzug bis Spielzeug und Waschmaschine. Für die Retouren sind in Hanau und Hamburg eigene Prüfstellen eingerichtet. Dort werden Ware und Verpackung geprüft, eventuell neu verpackt, die Artikel verbucht, und der Kunde erhält eine Gutschrift. Die Rückgabegründe werden ebenfalls erfaßt. Je nach Artikelart können die Retouren zweistellige Prozentzahlen ausmachen. Der Hauptgrund für die Rückgabe: Die Bekleidung paßt nicht.

Auch die Daten über Kunden, Artikel und Lieferanten werden analysiert. Die dafür notwendigen Datenbanken haben Otto-Entwickler gestaltet, so daß die Auswertung von Statistiken über das Berichtswesen bis hin zu Online-Analytical Processing (Olap) laut Krummacker nichts zu wünschen übrig lasse.

Der Lieferstamm des Otto Versands umfaßt derzeit rund 2000 Lieferanten, die im Schnitt pro Jahr für mehr als eine Million Mark Ware beziehungsweise 25000 Teile liefern. Bei Otto arbeiten etwa 100 Einkäufer, zum Teil in den 35 Importbüros und Agenturen. Die Importe werden zu 55 Prozent aus Asien, zu 35 Prozent aus der EU und zu acht Prozent aus dem übrigen Europa bezogen. Zwei Prozent des Sortiments stammt aus Übersee und Afrika.

Aktuell beruht der Datenaustausch hauptsächlich auf Edifact. Das soll sich jedoch ändern. Otto baut zur Zeit ein Extranet zu 500 Lieferanten auf. Die angeschlossenen Lieferanten sollen auf der Basis des Internet, X400 und Punkt-zu-Punkt-Kommunikation direkt auf die für sie relevanten Daten zugreifen können, zum Beispiel auf die eingehenden Bestellungen und den Lagerbestand. Die Zulieferer könnten damit flexibler planen und die Durchlaufzeiten verringern. Technische Vorbehalte von den Lieferanten könnten das Projekt nicht stoppen. Auch früher hat Otto seinen Partnern aus pragmatischen Gründen die Technik zur Logistik mitgeliefert: "Vor zehn Jahren waren es Terminals mit Matrix-Drucker", erinnern sich Ottos DV-Manager.

Otto

Der weltweite Umsatz des Otto-Konzerns stieg gegenüber dem Vorjahr um 10,2 Prozent auf rund 32,9 Milliarden Mark. Dabei liegt der Auslandsanteil derzeit bei 49 Prozent. Das Unternehmen setzt sich aus der Schwab- und der Heine-Gruppe, Baur, Fegro/Selgros, der 3-Suisse-, der Grattan- sowie der Otto-Sumisho-Gruppe zusammen. In den Bereich Spezialversand gehören die Marken Alba Moda, Bon Prix, Eddi Bauer, Heine, Sport Scheck und Witt.

Die jüngste Akquisition ist das britische Versandhaus Freeman Plc., London, die mit Wirkung zum 1. April 1999 eingegliedert wurde. Mit dem spanischen Textil-Einzelhandelsunternehmen Inditex S.A., La Coruna, hat Otto das Joint-venture Zara Deutschland GmbH, Hamburg, gegründet. Das Unternehmen wird im ersten Schritt in deutschen Großstädten fünf Geschäfte eröffnen.

Auch als Computerdistributor ist die Otto-Gruppe aktiv. Die Actebis Holding GmbH, die mittlerweile ganz zur Otto-Gruppe gehört, hatte erst im Frühjahr dieses Jahres die Peacock AG, Wünneberg, übernommen. Nach Unternehmensangaben arbeitet Actebis profitabel.

Außer der eigenen Website www.otto.de betreibt Otto zusammen mit 17 Unternehmen unter www.shopping24.de ein Einkaufszentrum. Neben 4,5 Millionen Produkten und Dienstleistungen findet sich hier auch eine Jobbörse.

Hermes Service

Zum Otto Versand gehört seit 1972 auch das Logistik-System Hermes. Dieses Know-how will der Konzern nun für weitere Geschäftsfelder nutzen - zum Beispiel mit dem Ausbau der Koffer- und Reisegepäckzustellung von Haus zu Haus. Für Lebensmittel und Artikel des täglichen Bedarfs hat der Konzern in Berlin einen Home-Delivery-Service eingerichtet. In Kooperation mit der Otto Reichelt AG liefert Hermes im Stadtgebiet dreimal täglich die Güter ins Haus. Außerdem hob der Konzern zum 1. April dieses Jahres die Hermes General Service GmbH aus der Taufe. Dieses Unternehmen wird das Handels- und Dienstleistungs-Know-how der Otto-Gruppe vermarkten, von der Adreßbeschaffung bis zu Zahlungs- und Debitorensystemen. Als Partner benennt Otto den Lufthansa Sky Shop, Sportvereine wie den HSV und Hertha BSC für das Merchandising der Fan-Artikel und den Wäscheanbieter Palmers, für den der Otto Versand die Abwicklung und Zustellung erledigt.