Überproportionaler Wachstumsmarkt für PCs

Ostdeutschland: No-Names haben die größten Chancen

19.10.1990

BERLIN - Die erste Marktanalyse über den PC-Markt in Ostdeutschland liegt vor. Die im Juli/August 1990 von der Arbeitsgemeinschaft Akademie der Wissenschaften/Köhler-Frost & Partner, Berlin-Ost und -West, durchgeführte empirische Untersuchung zeigte, daß in Ostdeutschland No-Names gute Chancen haben.

Eine schriftliche Befragung von PC-Anwendern und -Anbietern, die bis 1989 geführte offizielle Statistik und zahlreiche Interviews mit Anwendern und Herstellern waren die Informationsbasis der Untersuchung. Analysiert wurden das Niveau der bodenständigen PC-Technik, die PC-Einsatzdichte, das Nachfrageverhalten der Anwender sowie die sich neu bildenden Anbieterstrukturen.

Im Ostteil des jetzt vereinten Deutschlands begann die Produktion von PCs Anfang der 80er Jahre an den traditionsreichen sächsischen Standorten, an denen früher einmal die deutsche Büromaschinenindustrie zu Hause war. Der eigentliche Start wurde mit der auf dem X. Parteitag der SED verkündeten "ökonomischen Strategie" für die 80er Jahre gesetzt. Inhalt dieses Programmes war die Schaffung einer DDR-eigenen Mikroelektronik-Industrie, die autark die gesamte Breite der Technologiekomponenten aus eigenen Kräften abdecken sollte - von der Eigenentwicklung von Schaltkreisen bis hin zu eigenständigen Mikroelektronik-Applikationen.

Mit enormen Anstrengungen, die - wie man heute weiß - auch zum Ruin der Volkswirtschaft mit beigetragen haben, wuchs Robotron zu einem der mächtigsten PC-Hersteller im RWG. Immerhin wurden bis Ende 1989 rund 212 000 Büro- und Personal Computer produziert. Davon kamen 100 000 in der DDR zum Einsatz, den Rest exportierte man vor allem in die Sowjetunion. Bei den PCs handelte es sich bis Mitte der 80er Jahre um 8- und 16-Bit-Rechner (zweimal 8-Bit-kaskadiert und PDP 11-kompatibel).

Trotz Konzentration aller Kräfte gelang es nicht, den Abstand zur westlichen Technologie aufzuholen. Auch die Entwicklung des 32-Bit-Prozessors, der im August letzten Jahres vorgestellt wurde, änderte nichts an dieser Situation; der von Robotron im Frühjahr 1990 präsentierte EC 1835 Turbo mit einem 386-Prozessor kam zu spät. Auch die Sonderentwicklungen der Elektro-Apparate-Werke Berlin-Treptow, vom VEB-Elektroprojekt und Anlagenbau Berlin sowie der Mikroelektronik Mühlhausen waren angesichts der politischen Wende nicht erfolgreich.

Wie die Analyse der PC-Situation in Ostdeutschland ergab, gehörten Sachsen und Berlin bei der Verteilung der installierten PCs Ende 1989 zu den bevorzugten Standorten. Thüringen und Berlin wiederum sind die Standorte mit der relativ stärksten PC-Durchdringung in Abhängigkeit von der Anzahl der Beschäftigten. Rund 50 Prozent der installierten PCs waren zu jenem Zeitpunkt 16-Bit-Rechner. Bezogen auf die Branchen, waren der Maschinenbau und die Elektrotechnik beim PC-Einsatz führend.

Ein tiefes Mißtrauen kennzeichnete Anfang 1990 das Verhalten der DDR-Bevölkerung gegen die im eigenen Land erstellten Produkte. Ein Grund: Zum ersten Mal hatte sie die Möglichkeit, sich Klarheit über die Produkte des Weltmarktes zu verschaffen. Bis zum Juni 1990 wirkte sich dies indes nur wenig auf die Struktur der eingesetzten PCs aus: 87,3 Prozent der installierten Geräte stammten aus DDR-Produktion, davon entfielen 40,8 Prozent auf 8-Bit-PCs, 46,5 Prozent auf 16-Bit-Rechner. Von den importierten PCs (12,7 Prozent) entfielen 1,5 Prozent auf 32-Bit-Rechner und 11,2 Prozent auf 16-Bit-Pcs.

Nahezu alle in Ostdeutschland installierten PCs sind Einplatz-Systeme. Von den eingesetzten West-Rechnern belegten im Juni die sogenannten "No-Name"-Produkte den ersten Platz, mit großem Abstand folgten Amstrad, Siemens und Schneider. Der Anteil der übrigen Hersteller ist marginal, obwohl beispielweise die IBM als einer der ersten Anbieter eine funktionierende Vertriebspartnerstruktur aufgebaut hat.

Alle großen PC-Produzenten aus dem Westen haben mittlerweile ihre Vertriebsorganisation in Ostdeutschland eingerichtet - als Geschäftsstellen, über Vertriebspartner oder VARs. Vielen dient Berlin-West als Brückenkopf für den ostdeutschen Markt. Für die Zukunft ist ein interessanter Markt mit überproportionalen Wachstumsraten zu erwarten. Dabei werden aber aufgrund der derzeitigen Wirtschaftslage die No-Names mit Sicherheit weiterhin die größten Chancen im ostdeutschen PC-Geschehen haben. Anders stellt sich die Situation für die Netzwerk-Anbieter dar. Sie erwartet eine nahezu grüne Wiese. Die Studie ist bei IDC Deutschland, Kronberg/Taunus, erhältlich.

Wilfried Köhler-Frost ist Leiter des Berliner Büros der IDC Deutschland GmbH, Kronberg, und Gründer des Beratungsunternehmens Köhler-Frost & Partner.