Ostberliner Ingenieure setzen auf Elektronikschrott

03.12.1993

Der Abfallberg aus Elektronikschrott waechst jaehrlich um fuenf bis zehn Prozent. Fuer 1993 rechnen Insider bereits mit 1,5 Millionen Tonnen Elektromuell. Die von der Bundesregierung geplanten Massnahmen sollen im naechsten Jahr die Entsorgung regeln. So lange wollte ein Ostberliner Ingenieurteam nicht warten.

Die Idee kam Diplomingenieur Detlef Schulz, als er sah, wie in Ostdeutschland haufenweise Computer aus DDR-Produktion auf dem Muell landeten: Die intakten Geraete koennte man doch in die GUS exportieren und den Rest umweltfreundlich verwerten, dachte er. Nach Gespraechen mit Insidern der Branche zerplatzten zwar die Exporttraeume, aber der Recyclinggedanke nahm Gestalt an: Computermuell gab es in Fuelle, doch an effizienten, umweltgerechten Entsorgungsloesungen mangelte es. Mit herkoemmlichen Verfahren konnten bisher nur etwa 40 bis 60 Prozent des Materials aus elektronischen Alterzeugnissen zurueckgewonnen werden, noch dazu mit umweltschaedlichen Methoden wie Pyrolyse, Verbrennung oder Elektrolyse.

In Thomas Steiger, Geschaeftsfuehrer der Wemex Gruppe - eines Ostberliner Hard- und Softwarehauses - fand Schulz einen interessierten Zuhoerer und Partner fuer sein Vorhaben. Steiger setzte auf das Risiko. Wer Computer verkaufe, solle sich auch um deren Verschrottung sorgen, meinte er, investierte in das Projekt und gruendete die Wemex Ingenieurbuero mbH. Mit Schulz an der Spitze bastelte das neue Team an einem "voellig schadstoffreien Entsorgungsverfahren", das 98 Prozent des Elektronikabfalls fuer die stoffliche Wiederverwendung bereitstellt.

Zwei Jahre dauerten Entwicklung und Bau des Schrottfressers. Im Juni wurde die Pilotanlage in Berlin-Blankenburg feierlich eingeweiht. Das Interesse aus dem In- und Ausland ist gross. Als "revolutionierend" bezeichnet der Praesident des Deutschen Patentamtes, Fritz Haeuser, das Ergebnis - wohl zu Recht. Von der Erfassung der Altgeraete bis hin zur Trennung und Zerkleinerung der Materialien ist "alles voellig umweltvertraeglich", erklaert Schulz. Gearbeitet wird "durchgaengig trocken- mechanisch". Also keine Chance fuer das Entstehen schaedlicher Daempfe, Abgase oder Schlaemme? Schulz verneint: "Fuer die Umwandlung werden keinerlei Hilfsstoffe verwendet. Beim Zerkleinern faellt einzig und allein Staub an, der Schwermetalle enthalten kann." Diese belastete Luft wuerde jedoch als sogenannte Umluft mehrfach genutzt und durch Reinstluftfilter geschickt, so dass sie danach keine Gefahr fuer Natur und Menschen darstelle - mehr noch: Die gesetzlichen zulaessigen Staubemissionen wuerden sogar um das Hundertfache unterschritten, behauptet der geistige Vater des Verfahrens. Und die giftigen Schrottanteile? Auch daran wurde gedacht. Kondensatoren, Batterien, Akkus und Quecksilberrelais werden ausortiert und Spezialfirmen zur Behandlung uebergeben. Toxische Staeube, die bei der Reinigung des Bildschirmglases anfallen, wandern in die Sondermuellentsorgung.

Das neue Recyclingverfahren ist fuer Schulz nicht nur "umweltfreundlicher als ein Pkw mit Katalysator". Erstmals sei es moeglich, alle Kunststoffanteile - getrennt nach Thermo- und Duroplasten, Folien, Flocken und Fasern - so aufzubereiten, dass daraus sofort neue Erzeugnisse gefertigt werden koennten. Den Beweis bleibt Schulz nicht schuldig und zeigt meterlange Rohre fuer Erdkabel, die aus Thermoplastgranulat hergestellt wurden. Kuenftig will man noch weitere Fertigprodukte auf den Markt bringen. Kupfer und Aluminium kann das Unternehmen bereits heute als huettenfertige Konzentrate anbieten.

Nach ihrer Testphase in Berlin wird die Pilotanlage in Brandenburg stationiert. Von dort kamen auch die Mittel fuer die Finanzierung des gesamten Recyclingprojekts: 800 000 Mark fuer Forschung und 420 000 Mark an Investitionsgeldern. Ein finanzieller Anschub, der sich auszahlen wird, meinen die Entwickler und beteiligten Unternehmen aus Velten und Wiesenburg. Die Kosten der Maschine richten sich nach den Nutzerwuenschen. Fuer das komplette Recyclingpaket inklusive aller Module fuer die Plaste- und Metallaufbereitung muessen etwa 6,5 Millionen Mark auf den Tisch gelegt werden. Aber es gehe auch billiger, beruhigt Schulz.

Mit der neuen Recyclingloesung seiner Ingenieurbuero mbH will Steiger auch "auf Expansion setzen", schaut also in die oestlichen Nachbarlaender. Der Markt sei auf jeden Fall da, spaetestens dann, wenn im naechsten Jahr die Elektronikschrottverordnung fuer die Hersteller zur Pflicht wird. Neben der Tatsache, dass das Engagement des Ostberliner Unternehmens eine Anzahl neuer Arbeitsplaetze in den Regionen entstehen laesst, ist dann eine Abfallbeseitigung in Sicht, fuer die uns nicht nur unsere Umwelt danken wird.