Plattformunabhaengige Software macht?s moeglich: IBM raus und DEC rein

Ostberliner Anwender verwirklicht seine Idee von freier Rechnerwahl

16.04.1993

Kostenbewusstsein steht dem Ostberliner Zweigwerk der Muenchner Knorr-Bremse AG gut an. Aufgrund der schleppenden Nachfrage - speziell aus dem osteuropaeischen Wirtschaftsraum - sieht die Auftragslage nicht eben rosig aus, die Belegschaft schrumpfte in den vergangenen drei Jahren auf ein Viertel ihrer ehemaligen Kopfzahl, zeitweilig ist dennoch Kurzarbeit angesagt.

Entsprechend unpraetentioes stellt sich der neue Unternehmensstandort dar: Mit seiner 16koepfigen Mannschaft arbeitet Leek in einem schmucklosen, ziegelrot gestrichenen Verwaltungsgebaeude mitten im von Grau und Braun dominierten Industrievorort Marzahn.

Um so farbiger wirkt der DV-Verantwortliche selbst: Mitte 30 und von untersetzter Gestalt, laesst er jedoch keinerlei Zweifel daran, dass er weder unerfahren noch gemuetlich ist. Immerhin zeichnet er bereits seit 14 Jahren fuer die Datenverarbeitung der Berliner Knorr-Bremse verantwortlich, und als es 1990 darum ging, seinen Arbeitsbereich neu zu gestalten, verstand er es, seine Ideen gegenueber der Muenchner Zentrale durchzusetzen. Die Knorr-Bremse Berlin betreibt sowohl kaufmaennische als auch produktionstechnische Datenverarbeitung. In der Verwaltung werden Anwendungsprogramme von Quantum gefahren - nicht zuletzt deshalb, weil das Dortmunder Software-Unternehmen partnerschaftliche Beziehungen zur Stuttgarter Straessle GmbH unterhaelt. Fuer den fertigungsnahen Softwarebereich hatte Leek naemlich bereits im Herbst 1990 das Straessle-Paket PSK 2000 ins Auge gefa Als Datenbank-Management-System kommt Oracle zum Einsatz, da PSK 2000 bis dato auf keinem anderen DBMS-Produkt lauffaehig ist.

Die Hardwarekonfiguration besteht aus sechs Unix-Rechnern - mittlerweile je zur Haelfte unter AIX und Ultrix - und 140 X- Terminals. PCs gibt es bei der Berliner Knorr-Bremse nicht. Leek zieht es vor, die von den Anwendern eingesetzten Applikationen unter Kontrolle zu haben.

Wie der DV-Leiter berichtet, wollte das bayerische Mutterunternehmen seiner Berliner Tochter urspruenglich eine Komplettloesung aus der Hand von IBM oder Digital Equiment verpassen. Nach einem fehlgeschlagenen Versuch mit einem Ultrix- basierten Anwendungssystem haetten sich sogar "konservative Stimmen" zu Wort gemeldet, die sich fuer eine AS/400-Loesung aussprachen. Auf der Grundlage des IBM-Midrange-Systems waere die Produktionsplanung und -steuerung das Unternehmen nach Leeks Berechnungen jedoch anderthalbmal so teuer gekommen wie auf Unix- Basis.

Mit der Entscheidung fuer eine RS/6000-basierte Loesung kam der Berliner DV-Verantwortliche der Muttergesellschaft zumindest bezueglich des Hardwareherstellers entgegen - und zwar nicht einmal ungern, da die IBM-Maschinen damals ein fuer ihn akzeptables Preis- Leistungs-Verhaeltnis aufwiesen.

Die Anschaffungskosten allein waren fuer Leek jedoch nicht das ausschlaggebende Argument. Vielmehr entschied er sich bewusst fuer Unix und eine plattformunabhaengige Datenbanksoftware. Die Chance des Neubeginns wollte er nutzen, um von Anfang an eine zukunftsorientierte DV-Umgebung zu schaffen. Ausserdem legte er durchaus Wert auf die Option, bei Bedarf die Rechnerplattform wechseln zu koennen.

Datenbank-Server als Flaschenhals

Dieser Bedarf stellte sich im Herbst 1992 ein. Die Tatsache, dass mittlerweile mehr als 100 Anwender auf das ohnehin speicherintensive Oracle zugreifen wollten, stellte die fuer diese Aufgabe vorgesehene RS/6000- Maschine des Typs 930 vor Probleme: Es gab einen Performance- Engpass.

Als Leek den Datenbank-Server als Bottleneck lokalisiert hatte, fragte er bei seinem IBM-Verkaeufer an, was ihn ein Upgrade auf das Modell 970 kosten wuerde - und erlebte sein blaues Wunder: Nachdem die vorhandene Hardware bereits mit 400 000 Mark zu Buche geschlagen hatte, wollte der Hersteller fuer den Austausch des Motherboards noch einmal mehr als 50 000 Mark in Rechnung stellen. Doch dabei spielte Leek nicht mit.

Tatsaechlich musste der gewitzte Berliner nur 20 000 Mark investieren, um eine fuer seine Zwecke ausreichende Maschine zu beschaffen: Kurzerhand verkaufte er sein Alteisen fuer 130 000 Mark, legte 20 000 Mark drauf und bekam dafuer einen Rechner des Typs Decsystem 5000 Modell 240 von Digital Equipment.

Nicht laenger als ein Wochenende brauchte Leeks Mannschaft, um die IBM-Plattform durch den DEC-Rechner zu ersetzen. An einem Freitagabend wurden zunaechst alle Daten des IBM-Systems per "Export" gesichert, daraufhin die neue Hardware mit der Ultrix- Ausfuehrung von Oracle in Betrieb genommen und zuletzt die Daten per "Import" wieder geladen. Am Montagmorgen liefen laut Leek 80 Prozent der Anwendungen anstandslos.

Dass die Straessle-Software derzeit nur IBM- und HP-Rechner unterstuetzt, hatte dabei keinerlei Bedeutung. Die Applikationen liegen auf den Client-Systemen und blieben, so Leek, vollkommen unangetastet. Nichtsdestoweniger hat die DV-Mannschaft der Berliner Knorr-Bremse mittlerweile die PSK-Version 2.2 eigenhaendig auf Ultrix portiert. Schmunzelt der DV-Chef: "Wenn man ein Hardwarehaus wie die IBM veraergert, muss man auf alles vorbereitet sein."

Noch vor der Wende wiedervereint

Die auf die Fertigung von Bremssystemen spezialisierte Knorr- Bremse wurde vor rund 100 Jahren in Berlin gegruendet. Die Muenchner Niederlassung firmierte anfangs unter der Bezeichnung Suedbremse.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde zum einen der Stammsitz des Unternehmens in die bayerische Landeshauptstadt verlegt, zum anderen das Ostberliner Werk in einen Volkseigenen Betrieb umgewandelt. Der VEB Berliner Bremsenwerk produzierte vor allem Bremssysteme fuer die osteuropaeischen Eisenbahngesellschaften - als Lizenznehmer der Knorr-Bremse AG, Muenchen.

Im Februar 1990, also noch vor der endgueltigen Aufloesung der DDR, uebernahmen die Bayern zunaechst 65 Prozent an dem Ostberliner Partnerunternehmen, ein Jahr spaeter verleibten sie sich auch den Rest ein. Heute stellt die Berliner Knorr-Bremse-Niederlassung ueberwiegend druckluftsteuernde Aggregate fuer Schienenbremssysteme her.

Von den ehemals 2000 Mitarbeitern gehoeren nur noch 500 dem Unternehmen an, nachdem zum einen die Fertigung der "IFA"- Nutzfahrzeuge gestoppt und damit das Produktionsvolumen um mehr als die Haelfte verringert wurde und zum anderen die Nachfrage aus Osteuropa ausblieb. Zum AG-Umsatz von 765 Millionen Mark trug das Berliner Werk 1992 rund 100 Millionen Mark bei.