SW-Anbieter fürchten Einfrieren des Betriebssystemgeschäfts:

OS/2-Strategie der IBM stößt auf herbe Kritik

22.05.1987

FRAMINGHAM (CWN) - Front gegen IBM machen letzt mehrere amerikanische Software-Anbieter. Der Vorwurf gegen den Branchenführer: unfaire Handelspraktiken gegenüber Drittanbietern bei der Vermarktung des Betriebsystems OS/2. Einer der Hauptkritiker ist die Applied Data Research Inc. (ADR).

In dem neuen Operating-System von Big Blue sind vom Konzept her ein relationales Datenbank-Management-System und der Communication Manager mit eingebunden. Eine solche Strategie geht nach Auslegung von ADR-Vizepräsident Martin Goetz zu Lasten der unabhängigen Softwareanbieter, die auf diese Weise vom Wettbewerb ausgeschlossen würden.

Mit dieser Anschuldigung wandte sich Goetz inzwischen an die amerikanische Hersteller- und Anbietervereinigung "Adapso". Sein Ziel ist es, nicht nur IBM-Chairman John Akers mit diesem Vorwurf zu konfrontieren, sondern auch Behörden wie das Justiz- und Handelsministerium in Washington auf die Situation aufmerksam zu machen.

Die Hauptkritik des ADR-Strategen konzentriert sich auf die sogenannte "Extended Edition" des neuen Betriebssystems: Im Rahmen des OS/2-Announcements vom 2. April dieses Jahres hatte IBM unter anderem angekündigt, daß die "Extended Edition" über ein eingebautes relationales Datenbank-Management-System sowie einen Kommunikations-Manager verfügen werde. "Ich habe mich über dieses Thema eingehend mit IBM-Technikern unterhalten. Alle waren sich einig, daß es für diesen Ansatz keine technische Notwendigkeit gibt. Die ganze Sache sei eine Frage des Marketing gewesen", kommentierte Goetz anläßlich der ADR-Benutzerkonferenz "Cadre" in Amsterdam.

Der Communication Manager und das Datenbank-Management-System von OS/2 stellen nach Meinung von Goetz ein Duplikat bestehender Produkte von Drittanbietern dar. So monierte er denn auch in seinem Brief vom 15. April an Adapso-Präsident Jay Goldberg: "Die Strategie, diese Komponenten in das Betriebssystem einzubinden, wird viele Third-Party-Anbieter aus dem Wettbewerb auf der PC-Ebene ausschließen."

Die beiden Produkte in das Betriebssystem einzubetten, so der ADR-Vize in seinem Schreiben, gebe IBM einen eindeutigen Wettbewerbsvorteil; denn beim Kunden entstehe der Eindruck, daß Big Blue bessere Fähigkeiten für verteilte Verarbeitung und Vernetzung biete als die Konkurrenz. Gleichzeitig könnten andere Anbieter nicht die "enge Integration" bereitstellen, die für eine "maximale Performance" benötigt werde, da ihre Produkte oberhalb des Betriebssystems aufsetzten.

IBM hatte zwar am 2. April das Betriebssystem angekündigt, jedoch noch keinen genauen Freigabetermin genannt. Wie ein Unternehmenssprecher mitteilte, soll das Produkt im vierten Quartal dieses Jahres verfügbar sein. Goetz wirft dem Branchenprimus deshalb vor, eine Politik der "Vorankündigung" zu verfolgen: "Bis zur Auslieferung der avisierten Systeme gehen oft 12 bis 18 Monate ins Land; für diesen Zeitraum kommt es zum Einfrieren des Marktes für PC-Betriebssysteme."

ADR bietet gegenwärtig kein Datenbank-Management-System für PCs an. Ein Produkt, das eine Sprache der vierten Generation und ein DBMS in sich vereinen soll, befindet sich jedoch dem Vernehmen nach in der Entwicklung.

Goetz plädiert dafür, daß IBM das für OS/2 konzipierte Datenbank-Management-System als unabhängiges Produkt in Konkurrenz mit den Mitbewerbern verkaufen solle. Als Beispiel zitiert er das für Mainframes ausgelegte System DB2. Durch die Vermarktungspolitik der Extended Edition könne leicht ein Präzedenzfall geschaffen werden, der Big Blue unter Umständen ermutige, eine ähnliche Strategie auch im Mainframe-Bereich ins Auge zu fassen. Eine Reaktion der IBM auf diese Beschwerden liegt bislang nicht vor.

Auch andere namhafte SW-Anbieter stehen offensichtlich der OS/2-Politik des Branchenführers negativ gegenüber. Stuart Miller, Präsident der Software AG of North America, spricht sich beispielsweise entschieden dagegen aus, Komponenten wie ein DBMS-Produkt oder den Communication Manager in das Betriebssystem zu integrieren, denn dies bedeute von vorneherein eine Bündelung von Software-Produkten.

Noch einen Schritt weiter ging inzwischen Ashton-Tate. Der im Mikro-Bereich aktive Anbieter konsultierte einen Anwalt, um die Politik des "Software Bundeling" unter juristischen Aspekten analysieren zu lassen. Dazu Vizepräsident Roy Folk: "IBM bietet eine Grundversion des Betriebssystems für 395 Dollar an während die Extended Edition 795 Dollar kostet. Im einen Fall wird die Software dem Kunden in ungebündelter Form in Rechnung gestellt und zusammen mit der Hardware ausgeliefert. Im anderen Fall dürfte es schwer sein, einen Preis für die gebündelte Software anzugeben."