Leserbriefe/

OS/2: Die Vergleiche mit Windows hinken

24.05.1996

Ich frage mich ernsthaft, wie die Mitarbeiter Ihrer Zeitschrift dazu kommen, immer wieder das Überleben von OS/2 in Frage zu stellen, und zwar häufig ohne Angabe von Fakten.

In dem genannten Beitrag finden wir gleich eine Meinungsmache zu Windows 95. Auch wenn in dem Artikel gegensätzliche Auffassungen zu OS/2 vertreten sind, haben doch die OS/2-Gegner ein rhetorisches Übergewicht oder werden von Ihnen so präsentiert.

Für die komplexen Aufgaben, die in Umfeldern wie dem geschilderten anfallen, ist und bleibt OS/2 die einzig sinnvolle Möglichkeit. Zumal es auch noch wesentlich kostengünstiger als alle Intel-kompatiblen Betriebssysteme ist (abgesehen von Linux, das ich jedem Microsoft-Produkt vorziehen würde). OS/2 kann weit mehr als Spracherkennung. Ich möchte Ihnen hier einmal kurz und knapp die Features von OS/2 Warp Connect nennen, die gegenüber dem Erzrivalen Windows NT dieses Betriebssystem nicht nur zur kostengünstigeren, sondern auch zur leistungsfähigeren Plattform machen:

- Rexx, die integrierte Batch-Programmierung unter OS/2. Es gibt kein Gegenstück dafür unter NT. Für die Automatisierung bestimmter Geschäftsprozesse ist es unumgänglich. Im Bereich TCP/ IP bietet OS/2 bis auf NFS alles, was man braucht, ohne daß man eine weitere Mark zahlen muß.

- Peer-to-peer-Service, der sogar ein Modem sharen kann! Sie wollen in Ihrem Unternehmen von einem Rechner aus faxen? Mit OS/2 ist das ohne Kostenaufwand möglich.

- Schablonen: Die Möglichkeit, von WPS-Objekten Schablonen zu erzeugen und diese individuell zu konfigurieren, erleichtert den Arbeitsalltag gerade in komplexen Netzen enorm. Sie möchten zum Beispiel eine Telnet-Session mit Ihrem Server in Hamburg aufbauen? Mit OS/2 und dem entsprechenden WPS-Objekt ein einfaches Doppelklicken. Mit Windows NT wird diese Aufgabe zum Problem, wenn man Zielnamen oder IP-Adresse vergessen hat.

Wenn Sie gezwungen sind, DOS und Windows-3.x-Applikationen zu benutzen und diese vielleicht auch noch per Modem größere Datenmengen transportieren sollen, dann ist OS/2 ebenfalls die bessere Alternative zu Windows NT, da es zum Beispiel nicht möglich ist, unter NT fehlerfrei und vor allem mit vernünftigen CPS-Raten Daten seriell aus einer DOS-Applikation zu versenden. Insgesamt ist gerade die Datenfernübertragung für Windows NT wohl mehr als ein Fremdwort, und die Gates-Company scheint dort wohl, wie mit 90 Prozent ihrer Produkte, gerade in der Testphase zu sein.

Und nun beschert IBM der OS/2-Gemeinde die Spracherkennung für Merlin. Wenn sie so leistungsfähig wie das auf der CeBIT vorgestellte Modell wird (vorausgesetzt, man kauft die Zusatzplatine), dürfte das die Akzeptanz des Betriebssystems beträchtlich steigern.

Das sind Fakten! Im direkten Vergleich der beiden Betriebssysteme gibt es kein einziges Argument für Windows NT. OS/2 hat nur ein Problem: "Die Ansprüche an die Hardware sind einfach zu hoch!" Ein billiger PC vom Discounter reicht dafür meist nicht aus. Ich kann mir aber den Luxus, MS-Produkte für bestimmte Problemstellungen einzusetzen, nicht erlauben, da ich aus der Erfahrung der vergangenen Jahre und insbesondere der Update-Politik der Gates-Company als gebranntes Kind hervorgegangen bin und kein Interesse habe, mir erneut die Finger zu verbrennen.

Daß die CW immer wieder OS/2 mit Windows 3.xyz oder Windows 95 vergleicht, spricht auch nicht für Ihren Kenntnisstand, was Betriebssysteme betrifft. Ihre Argumente klingen wie der Streit um die Vorzüge eines Trabbi gegenüber einem Porsche Targa. Warum vergleichen Sie Unix nicht mit DOS 3.x?

Ein weiterer Grund, Microsoft-Produkte strikt abzulehnen, besteht in der bereits angesprochenen Update-Politik. Im Gegensatz zu IBM hat es Microsoft nicht geschafft, ein einziges seiner Produkte so weiterzuentwickeln, daß man von wirklicher Kompatibilität sprechen kann. Außerdem dauern die Entwicklungszyklen bei Microsoft viel zu lang! In großen Unternehmen beklagt man sich heute über die im Client-Server-Umfeld anfallenden Kosten und kommt scheinbar nicht auf die Idee, daß Führungskräfte mit geringen PC- und Client-Server-Kenntnissen, beeinflußt von unqualifizierten Äußerungen diverser Medien, die falschen Entscheidungen getroffen haben. Was man insbesondere vor dem Hintergrund betrachten sollte, daß die Entwicklungszyklen gerade in großen Unternehmen meist erheblich länger sind als die Lebenserwartung der meisten MS-Produkte. Und genau das ist der springende Punkt bei der Entscheidung für oder gegen ein Betriebssystem. OS/2 ist von seiner gesamten Konzeption her ein hervorragend durchdachtes Produkt für das professionelle Umfeld, das mittlerweile einen Reifegrad erreicht hat, der seinen Einsatz mehr als rechtfertigt.

Zu meiner Person: Ich bin freiberufliches DV-Mädchen für alles einige meiner Projekte bestehen darin, in hochkomplexen heterogenen Systemen (zum Beispiel ein Unternehmen mit NT, DOS, Windows, IBM 3270, Novell xyz, Unix DEC OSF/1, den Datenbanken Oracle und MS-Access sowie SAP R/3) Geschäftsprozesse abzubilden und zu automatisieren.

Gerald Röhrbein (PCT), 40211 Düsseldorf-