Web

Oracle setzt Berliner Großprojekt in den Sand

24.08.2000
Sozialämter warten vergeblich auf neue Software

CW-Bericht von Ulrike Ostler

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Nun müssen die Berliner Sozialämter etwa dreimal so lange auf ihre Software warten wie geplant. “Basis 3000", das der Berliner Senat bei dem Konsortium Oracle-PSI für rund 15 Millionen Mark in Auftrag gegeben hatte, muss grunderneuert werden, obwohl das Produkt niemals fertig war. Schuld sind ein unfähiges Projekt-Management und Designfehler.

“Wir raten dem Senat, Regressansprüche in Form von Konventionalstrafen geltend zu machen", sagt Ulrich Manske (CDU), Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und stellvertretender Vorsitzender des Unterausschusses Kommunikations- und Informationstechnik. Als der Ausschuss 1998 das Geld für die Softwareentwicklung bewilligte, war Manske noch Ausschussvorsitzender und überzeugt von dem Netz-Computer-Konzept, das Oracle als technische Grundlage vorstellte: Oracle-Datenbanken und -Application-Server, Corba-Middleware und Java-Tools sollten für schlanke Clients sorgen und schon im Sommer 1999 die unzureichende DOS-Lösung vom Prosoz-Institut, Herten, ablösen. Design, Programmierung und Projektleitung liegen seither in den Händen der Oracle Deutschland GmbH, München. Den Part der Spezifikation, des Tests und der Einführung in den Sozialämtern der 23 Bezirke hat die PSI AG, Berlin, übernommen. Rund 2700 Berliner Sozialamtsmitarbeiter sollen mit Basis 3000 arbeiten, das größte Sozialamt Deutschlands in Neukölln der Pilotanwender sein.

Dass sich ein Projekt dieser Größenordnung verzögert, ist durchaus üblich, ein komplettes Redesign aber nicht. Dabei hatten die Kunden noch bis zum Oktober 1999 den Eindruck eines normalen Projektverlaufs. Als dann der Pilot eigentlich starten sollte, kam die Nachricht vom Aufschub. Nun sollte es in Neukölln am 5. Januar 2000 losgehen. Daraus wurde jedoch auch nichts. Ende Dezember zogen die Verantwortlichen die Notbremse. Der Senat beauftragte Bernd Mahr, Professor für theoretische Informatik und verteilte Systeme an der TU Berlin, mit der Problemanalyse. Etwa zeitgleich setzte die PSI einen eigenen Projektleiter ein. Derweil hatte der Konsortialführer Oracle schon zwei Teamchefs verschlissen.

Die Anwender sowie Arya Roick, Leiterin der bezirksübergreifenden Servicestelle für die Software der Sozial- und Jugendämter Berlins, haben immer nur Teile von Basis 3000 gesehen. In den einzelnen Modulen mag es zwar pfiffige Lösungen geben, doch passen die Komponenten der Software nicht zusammen. Performance-Probleme beim Datenzugriff zeugen von erheblichen Designfehlern, dass etwa veraltete Tool-Versionen benutzt wurden, von Schwächen im Projekt-Management. Laut Ortwin Wohlrab, im Zeitraum 1997/98 Basis-Projektleiter seitens der PSI, kann bei einer Neuauflage des Projekts von der bisherigen Entwicklung nur der System-Client komplett übernommen werden. Der Senat entschloss sich dennoch, dem Konsortium eine zweite Chance zu gewähren. Im Juni wurde ein neuer, wiederum sehr ehrgeiziger Projektplan vorgelegt. Demnach soll es im Oktober 2002 eine erste Testinstallation von Basis 3000 geben, und bis zum Ende des Jahres 2003 soll das System in allen Berliner Sozialämtern laufen.

“Das klappt nie!", prophezeit Uwe Januszewski, Mitglied des Hauptpersonalrats für die Behörden in Berlin. Er rechnet damit, dass die Einführung frühestens Ende 2004 abgeschlossen ist. Bis dahin muss das Konsortium auf eigene Kosten arbeiten, da Basis zum Festpreis geordert wurde.

Doch die lange Wartezeit richtet auch erheblichen Schaden bei den Sozialämtern an. Dort kämpfen Systembetreuer und Sachbearbeiter mit den technischen und funktionalen Mängeln ihrer bisherigen DOS-Software, Prosoz, die 1993 ohnehin nur “vorübergehend" eingesetzt werden sollte. Beobachter wie Roick schildern die Zustände als “dramatisch" und sind “schockiert", dass die Basis-3000-Entwicklung “so in die Hosen gegangen ist".

Nach Kenntnis des Hauptpersonalrats laufen zudem die Prosoz-Lizenzen zum 1. Januar 2001 aus. Der Senat muss also entweder eine Windows-Version von Prosoz beschaffen, die Kosten dafür beliefen sich auf etwa 2,3 bis 2,5 Millionen Mark, exklusive Schulung, oder ein DOS-Update kaufen, das der Hertener Hersteller aber nicht mehr pflegen will. Diese Variante käme deshalb noch teurer als ein Windows-Update, das wiederum ­ zumindest teilweise ­ neue Desktop-Rechner erfordern würde. Darüber hinaus verstößt die DOS-Version längst gegen geltende EU-Vorschriften zur Software-Ergonomie. Am 1. Januar 2001 tritt in Berlin allerdings ein neues Zuständigkeitsgesetz in Kraft, so dass nicht mehr der Senat Softwarelizenzen erwirbt, sondern direkt die Bezirke. Ob diese dann angesichts der Frustration noch gewillt sind, auf Basis 3000 zu warten und Prosoz zu benutzen, darf in Frage gestellt werden. Oracle bestätigte gegenüber der CW lediglich einen neuen Liefertermin. Weitere Auskünfte waren nicht zu bekommen.