Exodus in der Führungsspitze geht weiter

Oracle nimmt zweiten Anlauf bei schlanken Servern

24.11.2000
MÜNCHEN (CW) - Stur hält Larry Ellison, Oracles Chief Executive Officer, am schlanken Rechnerkonzept als Alternative zu den "fetten" PCs und Servern à la Microsoft fest. Nach diversen Fehlversuchen soll nun das vorkonfigurierte Software- und Hardwarepaket "9i Application Server Appliance" das Blatt wenden. Derweil hat nach Ray Lane nun auch Vice President Gary Bloom genug vom Führungsstil seines Bosses.

Ab Dezember 2000 werden Oracle und Compaq sowie ausgewählte Partner das Hard- und Software-Bundle "Oracle 9i Application Server Appliance" vertreiben. Es umfasst den Zwei-Wege-Server "Proliant DL360" von Compaq und die Java-Software "Oracle 9i Application Server"; das Modell ist also auch mit Oracles Performance-steigernden "Caching-Services"-Technologie ausgestattet. Irritierend bei der Namensgebung ist die Ähnlichkeit zum "Oracle 9i Server", der Applikations-Server und Datenbank vereint, aber kein Appliance ist. Als Betriebssystem-Kernel kommt ein aus Solaris und Linux zusammengestückeltes "Noname-OS" zum Einsatz. Auf Wunsch können Kunden einen Online-Service für automatische Updates und Patches in Anspruch nehmen. Zielgruppe sind vor allem professionelle Betreiber von Websites.

Das vorkonfigurierte System kann nicht beliebig erweitert werden, die beiden Anbieter sind in diesem Punkt restriktiv: Die Performance-Garantie und den Support gibt es nur bei einer Beschränkung auf einen fest umrissenen Kreis von Hard- und Softwarekomponenten, beispielsweise Speichersysteme von EMC. Der Grund laut Ellison: "Zahllose unterschiedliche Systeme können weder wir noch sonst eine Firma testen, tunen und supporten." Für professionelle Web-Anwendungen sei eine chaotische Zusammenstellung von Maschinen und Anwendungen, wie man sie aus der PC-Welt kennt, nicht zu akzeptieren, so der Oracle-Chef. Nicht nur viele Millionen PCs weltweit seien unterschiedlich konfiguriert, sondern üblicherweise auch alle Server. Ellison: "Das macht mich krank." Für das Chaos sei vor allem Microsoft verantwortlich. Denn dort habe man gedankenlos die Wildwuchsentwicklung eines Systems betrieben. Deshalb müsse sich heute jeder Anwender sein individuelles System zusammenbasteln, immer in der Hoffnung, dass das Ganze auch irgendwie funktioniere. Oft werde er dabei enttäuscht.

Allerdings unterschlägt Ellison, dass Microsoft mit dem Server "Windows 2000 Datacenter" ein vergleichbares, vorkonfiguriertes Produkt anbietet. Auch haben sich Ellisons Eifer für schlanke Rechner und seine Anti-Microsoft-Propaganda bisher nicht ausgezahlt. So ist das 1996 vorgestellte Konzept eines Network Computers (NC) zwar viel beachtet worden, konnte aber nie sonderlich reüssieren. Das lag zum einen daran, dass die konkurrierenden PC-Hersteller ihre "dicken" PCs erheblich preiswerter anboten. Zum anderen verfolgten Intel und Microsoft mit Gegenkonzepten wie etwa der "Zero Administration Initiative" (ZAI) eine erfolgreiche Verwirrungsstrategie bei vielen Anwendern. Ob sich mit dem von Oracle im Juli vorgstellten Konzept eines "New Internet Computers" (NIC) da-ran etwas ändert, wird von Marktkennern bezweifelt.

Wenig zufriedenstellend verlief bisher auch das Geschäft mit dem schlanken, Windows-freien Server Raw Iron. Das mittlerweile auf "Oracle 8i Appliance" getaufte wartungsfreie Datenbank-Komplettsystem nutzt eine Intel-Prozessor-Architektur und ist mit einem für "Oracle 8i" optimierten 64-Bit-Betriebssystem-Kernel von Sun Solaris ausgestattet. Insbesondere kleinere Unternehmen sollen - vergleichbar der Microsoft-Strategie - durch geringen Wartungsaufwand, einfache Bedienbarkeit und niedrige Preise gewonnen werden. Der Hersteller räumt jedoch ein, dass bisher nur wenige hundert Rechner verkauft wurden. Marktbeobachter sehen daher im nun vorgestellten 9i Application Server Appliance in erster Linie einen zweiten Anlauf Oracles, Raw Iron besser zu positionieren. Durch die Möglichkeit, die Datenbank mit einen Application-Server und dessen Caching-Technik zu koppeln, entsteht ein Angebot, das auch für mittlere und größere Unternehmen attraktiv sein könnte.

Unabhängig von der mehr oder weniger erfolgreichen Produktstrategie geht bei Oracle der Exodus hochrangiger Manager weiter. Nach der früheren Nummer zwei, Ray Lane, nimmt nun Executive Vice President Gary Bloom seinen Hut. Er wechselt als Chief Executive Officer (CEO) und President zu Veritas Software, einem Oracle-Partner und Spezialisten für Storage-Management-Lösungen. Kenner hatten Bloom bisher zum kleinen und erlauchten Kreis möglicher Nachfolger des schlillernden Oracle-Chefs gezählt. Blooms bisherige Verantwortungsbereiche - unter anderem das Datenbank- und "Applications"-Geschäft sowie das Marketing - will Oracle nach Aussagen von Finanzchef Jeff Henley unter den verbliebenen Vorständen aufteilen.

Ellison freut sich nach eigenen Aussagen auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit mit Bloom in dessen neuer Position. Die Börse fand die Nachricht hingegen weniger erfreulich, der Oracle-Kurs fiel bei Bekanntwerden der Personalie nach einem Schlusskurs von 28,81 Dollar nachbörslich auf knapp unter 25 Dollar. Damit entfernt sich das Papier zunehmend von den rund 80 Dollar, mit denen es vor Lanes Abgang notierte. Erst vor einige Wochen hatten Falschmeldungen den Kurs gedrückt, in denen von einer Kündigung Henleys und sogar vom Tod Larry Ellisons die Rede gewesen war.