Oracle lüftet erste Fusion-Geheimnisse

21.12.2007
Mit Fusion Applications will der Hersteller zum Marktführer SAP aufschließen. Allerdings bleiben Fragen offen.

Oracle will im ersten Halbjahr 2008 mit ersten Softwaremodulen in sein Fusion-Applications-Zeitalter starten. Den Anfang machen mit "Sales Prospector", "Sales Campaigns" und "Sales Library" drei Tools für den Bereich Sales Force Automation (SFA). Den Anwendern, hier speziell den Vertriebsmitarbeitern, verspricht der Hersteller eine Service-basierende und flexibel zu handhabende Applikationslandschaft. Fusion soll auf einer Service-orientierten Architektur (SOA) sowie einem einheitlichen Datenmodell aufbauen und Oracle zufolge offene Standards unterstützen. Daher lasse sich die Software einfach mit anderen Anwendungen integrieren, sofern diese ebenfalls offenen Standards entsprechen.

Alles eine Frage der Qualität

Die Oracle-Verantwortlichen sind zuversichtlich, die mit der Fusion-Entwicklung und der Pflege der bestehenden Applikationen einhergehenden Aufwände stemmen zu können. Deutschland-Chef Jürgen Kunz verweist auf die rund 16 000 Entwickler und ein jährliches Research & Development-Budget (R&D) in Höhe von 2,4 Milliarden Dollar. Der Softwarekonzern hat in Sachen Qualität Fortschritte gemacht, bestätigt Debra Lilley, Oracle-Expertin von Fujitsu Services und Deputy Chairman der britischen Oracle User Group (OUG). Früher habe Oracle zwar immer seine Zeitpläne eingehalten, dafür aber teilweise nur halbfertige und fehlerbehaftete Produkte ausgeliefert. Heute habe sich die Softwarequalität deutlich verbessert. Auch deutsche Anwender äußerten sich im Sommer erstaunt und zufrieden über die Softwaregüte von Release 12. Damit habe man nach den früheren Versionen nicht rechnen können.

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welche Module Oracles Fusion-Zeitalter einläuten;

was Anwender von Fusion erwarten können;

wie Oracles Produktstrategie aussieht;

was den Umstieg für die Anwender erleichtern soll.

Zudem sollen Fusion Applications von Haus aus Business-Intelligence-Funktionen (BI) enthalten und auch in einem Software-as-a-Service-Modell (SaaS) eingesetzt werden können, erläutert Chris Leone, als Group Vice President verantwortlich für Oracles Applikationsstrategie.

Mit Hilfe eines flexiblen User Interface könnten die Anwender rollenbasierende Oberflächen zusammenstellen. Oracles Ziel sei es darüber hinaus, den Implementierungsaufwand möglichst gering zu halten. Auch spätere Upgrades sollen sich mit einer speziellen Stream-Technik ohne längere Systemabschaltungen (Downtime) zügig einspielen lassen. Die Kunden können Schritt für Schritt in die neue Softwarewelt wechseln, verspricht Leone. Außerdem werde kein Benutzer zum Umstieg gezwungen. Jeder Anwender entscheide selbst, wann er auf Fusion wechseln möchte.

Fragezeichen hinter Fusion

Ob Oracle diese Versprechen einlösen kann, bleibe allerdings abzuwarten, bis die ersten Bausteine auf den Markt gelangen und die Fusion-Roadmap ins Rollen kommt, mahnen Anwendervertreter. Bislang habe Oracle nur wenige Einblicke in die Entwicklung der Fusion-Applikationsfamilie gewährt, berichtete zuletzt die Deutsche Oracle Anwendergruppe (Doag). Fried Saacke, Geschäftsführer der Doag, wünscht sich eine stärkere Einbindung der Anwender. Nur so lasse sich gewährleisten, dass die Software auch wirklich für die einzelnen Märkte passt. Saacke spricht aus Erfahrung. Gerade in Deutschland hatte es in der Vergangenheit wiederholt Kritik wegen fehlender lokaler Anpassungen von Oracle-Produkten gegeben.

Doch nach wie vor hüten die Oracle-Verantwortlichen viele Geheimnisse rund um Fusion. Der Hersteller wolle der Konkurrenz nicht zu früh zu viele Informationen preisgeben, hieß es in der Vergangenheit immer wieder. Wie der weitere Fahrplan aussehen wird, vermag Oracles Deutschland-Geschäftsführer Jürgen Kunz noch nicht zu sagen.

Bleibt Upgrade kostenlos?

Doch so viel scheint festzu-stehen: Anwender sollen im Rahmen ihres Wartungsvertrags kostenlos auf die neue Fusion-Generation wechseln können, hatten die Oracle-Verantwortlichen in den zurückliegenden Jahren wiederholt versprochen. Damit will der Konzern die Einstiegshürden bewusst niedrig halten. Allerdings dürfte sich das Upgrade-Versprechen lediglich auf bereits genutzte Funk-tionen beziehen. Wollen die Anwender zusätzliche Fusion-Funktionen implementieren, wer-den auch neue Lizenzgebühren fällig.

Damit tauchen jedoch weitere Fragezeichen auf. Es bleibt abzuwarten, wie Oracle seine Fusion-Anwendungen paketiert. Noch ist nicht absehbar, ob es bei einer modulartigen Auslieferung bleibt, wie es sich mit den ersten CRM-Werkzeugen aus der Fusion-Familie abzeichnet. Bleibt es dabei, dürfte es für die Anwender schwierig werden, den Durchblick durch den Lizenz- und Gebührendschungel zu behalten. Bislang hat sich der Hersteller noch nicht zu den Lizenzmetriken für Fusion geäußert.

Zeitplan ungewiss

Bis die Kunden auf Oracles neue Anwendungsgeneration wechseln, werden jedoch noch einige Jahre vergehen. Selbst die Verantwortlichen des Softwarekonzerns vermögen nicht einzuschätzen, wann diese Übergangsphase abgeschlossen sein soll. Um die Migration so reibungslos wie möglich zu gestalten, hat Oracle verschiedene Initiativen gestartet.

So will der Konzern beispielsweise im Rahmen des "Lifetime Supports" alle bestehenden Softwarelösungen, seien sie selbst entwickelt oder zugekauft, weiterhin mit Support unterstützen. Die Zusage gilt allerdings nur für die aktuellen Produkt-Releases, die zum Zeitpunkt der Ankündigung auf dem Markt sind, schränkt Karsten Roigk, Vice President für den Bereich Applications Strategy bei Oracle in der Region Emea, ein.

Parallel will Oracle die einzelnen Produktlinien auch weiter-entwickeln. Bislang hat der Konzern dieses Versprechen eingelöst: Im laufenden Jahr kamen mit der E-Business-Suite 12, Peoplesoft 9.0, Siebel 8.0, CRM on Demand Release 13 und 14, JD Edwards Enterprise One 8.12 und JD Edwards World A9.1 eine ganze Reihe neuer Anwendungsversionen auf den Markt. Die nächsten Releases sind bereits angekündigt. Im kommenden Jahr sollen die E-Business Suite 12.1, Peoplesoft 9.1, Siebel 8.1, CRM on Demand 15 sowie JD Edwards Enterprise One 9.0 und JD Edwards World A9.1.2 folgen. Außerdem will Oracle aktualisierte Releases der zugekauften Softwareprodukte von Demantra, G-Log, Agile, Retek und Portal herausbringen.

Auch alte Software bringt Geld

Ganz uneigennützig sind Oracles Zusagen allerdings nicht. Schließlich verdient der Konzern auch mit den älteren Softwareversionen gutes Geld. Allein der Support von JD Edwards World bringt rund 200 Millionen Dollar jährlich, verlautete von Seiten Oracles.

Um seinen Kunden eine Integration der einzelnen Produktlinien zu bieten, hat Oracle die Application Integration Architecture (AIA) aufgesetzt. Die Verzahnung funktioniert mit Hilfe einer Metaschicht, erläutert Roigk. Dort sind applikationsübergreifend Business-Objekte (Beispiel: Auftrag) sowie Dienste (Beispiel: Anlegen eines Kunden) definiert, die mit diesen Objekten arbeiten. Angesichts der großen Zahl von Objekten und Diensten sei jedoch eine Strukturierung erforderlich, erklärt der Oracle-Manager weiter. Anhand eines Verzeichnisses könnten Anwender Informationen zu einzelnen Versionen sowie über Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Release-Ständen der Objekte und Dienste erhalten. Darüber hinaus arbeitet Oracle an Referenzmodellen aus miteinander gekoppelten Objekten und Diensten, die horizontal generische Prozesse und vertikal bestimmte Branchenabläufe abdecken sollen.

Roigk zufolge arbeitet Oracle außerdem mit Hochdruck daran, die Probleme rund um Anpassungen und Lokalisierungen seiner Produkte in den Griff zu bekommen. Dazu beitragen soll ein klar getrenntes Schichtenmodell der Applikationen. Rund um einen Kern mit Standardfunktionen sind in einer zweiten und dritten Schicht regionale (Beispiel: Europa) und länderspezifische (Beispiel: Deutschland) Spezifika definiert. Darüber hinaus gebe es Anpassungen aus dem eigenen Consulting-Bereich sowie von Partnern und Kunden.

Ordnung für Anpassungen

Der Konzern will diese Erweiterungen für seine Kunden künftig besser strukturieren und allgemein verfügbar machen. Bislang habe es für viele Anpassungen keinen geregelten Support gegeben, räumt Roigk ein. Außerdem seien vereinzelt Probleme bei der Migration auf aktuellere Release-Stände aufgetreten. Eine klarere Struktur komme auch Oracle entgegen, erläutert der Manager. Allein für das Financials-Segment gab es 700 Anpassungen aus dem Consulting-Bereich. Es koste jährlich einen sechsstelligen Betrag, diese zu warten. Nach einer Konsolidierung gebe es in der E-Business-Suite 12 nun nur noch 300 standardisierte Erweiterungen. Diese sollen allen Anwendern über das Online-Support-Portal Metalink nach und nach zugänglich gemacht werden. Hier sollen die Kunden auch länderspezifische Listen mit den entsprechenden Anpassungen für die von ihnen eingesetzte Software finden.

Allerdings kann Oracle nicht alle Anpassungen unter seine Kontrolle bringen, räumt der Manager ein. Gerade im Umfeld von JD Edwards gebe es weniger Consulting-Anpassungen, sondern vielmehr Partnererweiterungen. Da diese die Geschäftsgrundlage der Softwarepartner bildeten, könne Oracle die Erweiterungen nicht ohne weiteres für sein Supportportal vereinnahmen.

Druck auf Anwender

Ob der Umstieg auf Fusion so zwanglos funktioniert, wie Oracle dies verspricht, bleibt abzuwarten. Mit dem Lifetime Support könnten die Anwender längst nicht alle Probleme lösen, warnt beispielsweise Debra Lilley, Oracle-Expertin von Fujitsu Services und Deputy Chairman der britischen Oracle User Group (OUG). Anwenderunternehmen müssten auf Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Versionen achten. Beispielsweise könnte es in Einzelfällen nicht möglich sein, nur bestimmte Produkte auf einen neueren Stand zu bringen und andere Softwareversionen auf einem älteren Release-Stand zu halten.

Zudem könnte Oracle mit der Verfügbarkeit von bestimmten Funktionen sanften Druck auf die Anwender ausüben, auf die aktuellsten Versionen zu wechseln. Demnach wird beispielsweise die Unterstützung für Single Euro Payments Area (Sepa) erst mit Version 12.1 oder 12.2 der E-Business-Suite folgen. Eine Implementierung in Release 11 sei dagegen nicht vorgesehen.

Für die Kunden wird die Entscheidung wohl nicht einfacher, prognostiziert Anwendervertreterin Lilley. Sie haben die Wahl, ihre bestehende Software weiterzubetreiben oder auf Fusion zu wechseln. Die Herausforderung bestehe darin, selbst zu über-legen, welcher Weg der richtige ist. Es reiche nicht, Oracle zu fragen. Der Tipp des Herstellers, das zu wählen, was das Beste für den Kunden ist, helfe nicht weiter vor allem wenn die Kunden die optimale Lösung selbst noch nicht kennten.