Objektorientierte Funktionen für RDBMS

Oracle: "Datenbanktechnologie wird sich grundlegend wandeln"

17.04.1992

CANNES (sc) - Objektorientierten Datenbanken gehört laut Oracle-Boß Larry Ellison die Zukunft. Sein Unternehmen steht damit vor einer großen Herausforderung. Zum einen haben die Anwender ein Anrecht auf die neue Technologie, zum anderen sind Kunden-Investitionen zu schützen. Ellisons Konzept: "Oracle RDBMS" wird ab Version 7 mit objektorientierten Attributen aufgepeppt.

Eine neue Strategie verkündete Oracles Top-Manager auf der diesjährigen Konferenz der European Oracle User Group in Cannes. Künftige Versionen des relationalen Datenbank-Management-Systems (RDBMS) von Oracle sollen mit objektorientierten Fähigkeiten ausgestattet werden. So versprach Ellison daß bereits die von den Anwendern sehnsüchtig erwartete Version 7 einen Vorgeschmack auf objektorientierte Datenbanken liefern werde. Beta-Releases seien bereits fertiggestellt.

Der Unternehmens-Mitbegründer erwähnte in diesem Zusammenhang, daß Oracles Version 7 "Binary Large Objects" (Blobs) verarbeiten sowie einige "Encapsulation" -Möglichkeiten integrieren wird. Vereinfacht ausgedrückt, bedeutet Encapsulation, daß in Objekten abgespeicherte Informationen nur über definierte Schnittstellen zugänglich sind. Außerdem, so Ellison, seien Speicherprozeduren verfügbar, die sich wie Objekt-"Nachrichten" verhalten.

Bei RDBMS 8.0 soll die objektorientierte Arbeitsweise laut Oracle soweit fortgeschritten sein, daß sich die Objekte intern hierarchisch aufbauen und in verschiedene Klassen einteilen lassen. Bis dahin habe man dann auch ein separates Objectlevel-Schema sowie das Object-SQL-API realisiert.

Obwohl das objektorientierte Datenbankmodell noch in den Kinderschuhen steckt, hält es Ellison für geboten, frühzeitig auf die neue Technologie zu setzen. Der Oracle-Chairman, President und CEO, sieht ein neues DV-Zeitalter anbrechen: "Der Wandel vollzieht sich nicht nur bei Architekturen, grafischen Benutzeroberflächen oder Netzen, sondern die Datenbank-Technologie selbst ändert sich fundamental."

Er erinnerte an das Schicksal der Softwarefirma Cullinet, die es Anfang der 80er Jahre, als die relationalen Datenbanken aufkamen, versäumt habe, rechtzeitig auf diesen Zug aufzuspringen. Cullinet behauptete sich mit "IDMS" lange Zeit als Marktführer bei IBM-/370-kompatiblen Datenbanken. Für Ellison stellt das Unternehmen offensichtlich ein warnendes Beispiel dar. "Es wäre ein Fehler, Objektorientierung nicht zu ernst zu nehmen", erklärte er.

Grundstein für neue Technologie

Immerhin erzielt die Oracle Corp. mit Sitz in Redwood Shores, Kalifornien, nach eigenen Angaben etwa 80 Prozent des Umsatzes mit ihrer relationalen Datenbank. Soll sich die Geschichte von Cullinet nicht wiederholen, bleibt Ellison aus Sicht von Branchenkennern gar nichts anders übrig, als rechtzeitig den Grundstein für die neue Technologie zu legen.

Anders als vor etwa zehn Jahren, als Oracle ohne Rücksicht auf vorhandene Kunden mit einer relationalen Datenbank startete, trägt Ellison heute die Verantwortung für eine installierte Basis. Diese Tatsache ist dem Manager durchaus bewußt: "Unsere Aufgabe ist es, die neue Technologie dem Anwender zu bringen, dabei jedoch seine Investitionen zu schützen. Es muß die Möglichkeit geboten werden, zur Objektorientierung überzugehen, ohne daß die Kunden eine einzige Zeile Code ändern müssen." Ellison sieht sich jedoch in keiner schlechten Position gegenüber jenen Unternehmen, die ohne Altlasten mit objektorientierten Produkten auf den Markt gehen können: "Ich sehe es als Vorteil ,eine installierte Basis zu haben."

Den Einwand, daß Oracle aber im Gegensatz zu den Newcomern auf einer möglicherweise obsoleten Technologie aufsetze, schmetterte Ellison ab. Es gebe vieles am relationalen Modell, das wertvoll sei, so etwa nicht-prozedurale Sprachen oder Datenbankunabhängigkeit, argumentiert er.

Als Ziel nannte Ellison eine Datenbank mit gemeinsamen Transaktions-Management- und Sicherheitsfunktionen, in der die Daten mittels der objektorientierten Erweiterungen von SQL sowohl relational als auch in objekt-orientierter Form verfügbar seien. Dies lasse sich ohne weiteres realisieren, behauptete Ellison vor der Presse: "90 Prozent des relationalen und objektorientierten Codes ist gleich, und auch die Anforderungen an das Disk-Management und das Netz sind sehr ähnlich."

Wiederholt sich Geschichte?

Oracle-Boß Larry Ellison meint: Nein - jedenfalls nicht bei Oracle in bezug auf das Softwarehaus Cullinet, dessen Schicksal er als warnendes Beispiel für ein Unternehmen anführte, das es versäumt habe, rechtzeitig auf neue Technologien zu setzen. Ellison mag Recht haben. Parallelen gibt es dennoch: Auch bei Oracle kommt der größte Umsatzanteil von einem einzigen Produkt. Zudem sind die Kalifornier Marktführer. Doch bereits hier hinkt der Vergleich.

John Cullinane agierte mit Cullinet in einem Markt, der von Big Blue beherrscht wurde. Der "Softwarepionier" profitierte davon, daß er mit "IDMS" eine Alternative zur IBM-Datenbank "IMS" bot. Auf große Innovationssprünge mußte sich der Cullinet-Eigner mehr als ein Jahrzehnt lang nicht einstellen. Cullinanes Fehleinschätzung, daß die relationalen Datenbanken diese eingefahrenen Strukturen nicht ändern wurden, begründete indirekt auch den Erfolg von Oracle. Die kalifornischen Newcomer boten den Anwendern eine Möglichkeit, die alten Datenbankstrukturen aufzubrechen. Durch die Flexibilität des DBMS-Produkts, das auf vielen Plattformen lief, schuf sich Oracle zudem einen Wettbewerbsvorteil.

Jetzt kündigt sich erneut ein Technologiewandel an. Die relationale Datenbank mit objektorientierten Attributen zu schmucken - dies allein bedeutet aber nicht, daß damit die Schäfchen schon im trockenen sind. Wenn offene Systeme Realität sind, fällt zum Beispiel Oracles Flexibilitätsvorsprung weg. Hinzu kommt, daß Oracle - wie derzeit viele Hersteller - in der Zwickmühle steckt. Die Kunden wollen einerseits ihre Investitionen geschützt wissen, andererseits ist aber eine neue Technologie einzuführen. Oracle startete vor rund zehn Jahren ohne Altlasten. Ellisons eigentliches Problem wird sein, in einem neuen DV-Zeitalter die eigene Geschichte zu wiederholen. sc