Optische Speicherplatte - Was und wer rotiert mehr?

16.09.1988

Helga Steinberger, WID Wirtschafts-Informations-Dienst GmbH, Eppstein

Revolutionäre Marktankündigungen von Optischen Informationssystemen, gleich ob Laserkarten, Mikrografie oder Speicherplatten, reißen die potentiellen Anwender zur Zeit in keiner Weise mehr "vom Hocker". Der Grund: vorzeitige, vorschnelle und euphorische Prognosen zugunsten der Medien CD-ROM & Co. als "intergalaktisches Allheilmittel" gegen Papierfluten haben Anwender, Anbieter und Hersteller (wie die Mikrofilm-, Elektronik- und DV-Industrie) zum Rotieren gebracht.

Die Anwender sind verunsichert, weil sie zwischenzeitlich festgestellt haben, daß die überall (besonders auf Messen and Kongressen) bekanntgegebenen Markteiführungstermine der Produkte teilweise nur visionäre (um nicht zu sagen illusionäre) Termine sind. Die Realität ist, daß genau die angekündigten neuen Produkte - wenn überhaupt - meist erst mit einer Terminverschiebung von Monaten wirklich verfügbar sind.

Hinzu kommt noch, daß bei Einsatz von Mehrplatz-(Multi-

user-)Systemen erhebliche organisatorische Aufräumarbeiten in den Unternehmen in der Vorinstallationsphase zu leisten sind. Bei präzisen Marktbeobachtungen stellt man fest, daß eine Unmenge unterschiedlichster Plattenlaufwerke (CD-A, CD-I, CD-ROM, DOD, DOR, WORM und andere mehr) und Datenträger (nur lesbar, beschreibbar, ergänzbar, löschbar - mit Pits = Löchern, mit Bubbles = Blasen oder chemischen Veränderungsprozessen) angeboten werden. Jeder will hier "Mitrotieren".

Hinter den Kulissen zeigt es sich, daß dos realistische Produktangebot auf wenige Hersteller beschränkt ist. Hier schmücken sich, wie in der Funk- und Fernsehindustrie, viele Anbieter mit fremden Federn und kleben häufig einfach nur ihr eigenes Firmenschild auf die OEM-Ware. Ein zusätzlicher neuer Aspekt, der in der PC-Welt bereits seit längerer Zeit üblich ist, kommt hinzu: Laufwerke werden über Handel, Verlage, Softwarehäuser oder Dienstleister angeboten (3?, 5?, 12") und sind angeblich mit fast jedem PC kompatibel (integrier- oder anschließbar). Bei Prüfung dieser Aussage stellt sich jedoch heraus (eigentlich ganz logisch), daß die Lauffähigkeit der Platteneinheiten ausschließlich von der Software abhängig ist und diese häufig nicht den Anwenderbedürfnissen entspricht. Sofort taucht dann die Frage auf: "Wer löst das Problem - der Händler, der Anbieter, der Hersteller oder am besten der Anwender selbst? - So entsteht ein Perpetuum mobile oder, in neuem Techno-Deutsch, eine Dauerrotation im Verhalten der Anwender und Anbieter. In der Mikrografie- und Laserkarten-Industrie stellt sich das Bild nicht wesentlich anders dar.

Eines ist absolut klar für alle: Um unser heutiges Wirtschaftssystem überhaupt aufrecht erhalten zu können, müssen von uns Informationen empfangen (erfaßt), be- und verarbeitet (verwaltet), festgehalten (dokumentiert/gespeichert) und weitergeleitet (übermittelt/verteilt) werden. Die daraus resultierende Logik ist: Alle Informationen, die nicht direkt, das heißt von "Angesicht zu Angesicht" beziehungsweise von "Ohr zu Ohr" übermittelbar sind, müssen in irgendeiner Form dokumentiert werden.

Wir müssen beim Systemeinsatz von vornherein zwei Informationsformen bewältigen, und zwar optische Informationen, die unser Auge aufnimmt (visuell, bildhaft - wie zum Beispiel die natürliche Wahrnehmung der Umgebung, Bewegt- und Standbilder, Dokumente) und akustische Informationen, die unser Ohr aufnimmt (audio - wie zum Beispiel Töne in Form von Sprache, Musik und Geräuschen). Ergänzend ist bei der Systemeinsatzentscheidung noch zu berücksichtigen, wie lange die Information gespeichert sein muß, wie schnell sie dem Empfänger zur Verfügung stehen muß, wieviel und wie häufig diese(r) Empfänger darauf zurückgreif(t)en und ob die Information verändert werden muß.

Ganz lax formuliert: Wenn jetzt ein Laie dem Systemanbieter diese primitiven Grundinformationen gibt und ihn ganz präzise fragt, ob und wie sein Produkt diese Anforderungen erfüllt, so kann er schon eine Vorauswahl treffen.

Für alle Systeme gilt, sobald Netzwerke (LAN und ISDN) mit der erforderlichen, ausgereiften Software verfügbar sind, gibt es weitere enorme Zuwachsraten.

Alles in allem wird es weiterhin ein mehr oder weniger friedliches Mit- und Nebeneinander dieser Technologien geben. Eine totale Ablösung des einen Mediums zugunsten eines anderen ist nur realistisch.

Die Systeme werden bei zielgerichtetem Einsatz, entsprechend des Informationszwecks und der damit verbundenen Notwendigkeiten, ihren Stellenwert einnehmen.

Wenn wir das Sprichwort "Was Du schwarz auf weiß besitzt, das kannst Du beruhigt nach Hause tragen" bei Produktankündigungen und Lieferterminen nicht mehr so tierisch ernst nehmen, kommen wir weiter. Verzögerungen bei der Markteinführung neuer Technologien sind derzeit die Regel und nicht die Ausnahme. "Meine Erfahrung ist, daß zwischen Wünschen, Wille und Wirklichkeit Welten liegen. Eine Verringerung der Distanzen ist nur durch eine engere Verzahnung zwischen Theorie und Praxis, das heißt nur durch eine bessere Zusammenarbeit zwischen Fachpresse, Messe- und Kongreßveranstaltern, Herstellern, Software-Entwicklern, Beratern und Anwendern erzielbar. Mit dem heutigen Stand der Systementwicklungen ist im Prinzip alles machbar. Das große Rätsel, wie die theoretisch vorgeschlagenen Einsatzmöglichkeiten in die praktische Anwendbarkeit umgesetzt werden können, gilt es, in gemeinsamer Arbeit zu lösen. Dann könnten sich die Datenträger in Ruhe weiterdrehen und die unnötige Rotiererei hätte ein Ende.

(Die Autorin hält zum Thema "Optische Informationssysteme - neue Informationsstrukturen beim Empfangen, Speichern, Verarbeiten und Weiterleiten" ein Referat auf dem 4. Europäischen Kongreß über Informations-Management und Büro-Systeme. Die Veranstaltung der COMPUTERWOCHE CSE-Gruppe findet am 27. und 28. 9. 1988 in München statt).