Open University: Arbeiten und Lernen verbinden

18.06.2002
Von Helga Ballauf
Das Interesse an der britischen "Open University" wächst auch in Deutschland. Immer mehr Techniker mit Management-Aufgaben schätzen die berufsbegleitenden Kurse.

Zwei Beobachtungen führten Alexander Huber zum Fernstudium. Erstens: Wer aufsteigen möchte, braucht mindestens zwei Abschlüsse. Zweitens: Wer beruflich dranbleiben will, darf sich fürs Lernen keine Auszeit nehmen. Deshalb wählte der Projekt-Manager, der bei Texas Instruments arbeitet, den berufsbegleitenden Studiengang Master of Business Administration (MBA) an der Open University.

Der Elektrotechnik-Ingenieur betreut am deutschen Firmensitz des US-Halbleiterherstellers den Entwicklungsprozess neuer Produkte. "Von Marketing und internationalem Business hatte ich in meinem typisch deutschen Technikstudium nichts erfahren. Ich musste mich selbständig in diese Fragen einarbeiten. Das MBA-Studium half, meine Kenntnisse und Erfahrungen abzurunden."

Viele der deutschen Business-Studenten der Open University haben ein technisches Fach studiert, Biologie oder Elektrotechnik, Maschinenbau oder Informatik. Erste Leitungs-, Management- und Marketing-Aufgaben im Beruf meisterten sie nach dem Prinzip "Versuch und Irrtum". Bis dieser Weg zu unsicher und zu mühsam wurde und der Wunsch nach Grundlagenwissen sowie fundierter Reflexion der Alltagsarbeit entstand.

Biologe Bernhard Wimmer beispielsweise verglich in einer solchen Situation die Angebote verschiedener Fernlehrinstitute und entschied sich für die Open University: "Wichtig waren mir die Praxisorientierung des Studiums und die Tatsache, dass der MBA international anerkannt ist."

Abitur nicht Voraussetzung

Die Open University entstand 1969 als "second chance university". Die damalige britische Labour-Regierung wollte abhängig Beschäftigten ohne Hochschulzugangsberechtigung die Chance eröffnen, von jedem Ort im Königreich aus berufsbegleitend einen akademischen Abschluss zu erwerben. Inzwischen bietet die Fernuni mehr als 360 Grund- und Aufbaustudiengänge an - Kunst und Sprachen, Mathematik und Computerwissenschaft, Wirtschaft und Recht, Gesundheit und Erziehung.

Mehr als 200 000 Teilnehmer pro Jahr bilden sich weltweit mit den englischsprachigen Materialien weiter; gut zwei Millionen Studenten waren es seit 1969. Längst ist die Fernuni keine reine Einrichtung des zweiten Bildungswegs mehr. Auf eines wird jedoch nach wie vor großer Wert gelegt: Jeder Lernwillige kann sich für ein Grundstudium (undergraduate qualifications) einschreiben - auch ohne Hochschulreife. Dies gilt für die Open University Business School ebenso. Wer hier ohne Abitur den MBA machen will, braucht vier Jahre.

1983 gegründet, ist die Open University Business School jener Zweig der britischen Fernuniversität, der von vornherein um ein internationales Publikum warb. Eigenen Angaben zufolge studieren dort inzwischen pro Jahr 25 000 Manager aus 44 Staaten. Das Angebot an berufsbegleitenden Kursen reicht vom Bachelor of Laws über das Professional Certificate in Accounting bis zum MBA. Die Berufstätigen, die ihr volks- und betriebswirtschaftliches Wissen hier vertiefen, profitieren von der internationalen Zusammensetzung der Studentenschaft. Englisch ist ohnehin Geschäftssprache in den weltweiten Handelsbeziehungen.

"Wer ein Studium in dieser Sprache abschließt, hat bei Bewerbungen sofort einen Bonus", erfuhr Huber. Trotzdem nimmt sich der deutsche Anteil an den Open-University-Studenten noch bescheiden aus: Zwischen 500 und 600 Teilnehmer pro Jahr belegen einen der Business-Kurse, Tendenz steigend. Ähnlich viele schreiben sich für andere Studienangebote ein, wie etwa "Computing in commerce and industry". Für den dreijährigen MBA-Studiengang fallen gut 10 000 Pfund an Lehrgangsgebühren an. Der Jahreskurs "Certificate in Management" für Quereinsteiger kostet etwa 2500 Pfund, und für das Web-basierende Grundlagenangebot "You, Your Computer and the Net" sind 640 Pfund zu berappen. Darin sind jeweils auch die Kosten enthalten, die bei obligatorischen mehrtägigen Seminaren und für die Leistungstests entstehen. In Deutschland examinieren externe Prüfer die Kandidaten inzwischen in fünf Städten: Frankfurt, Stuttgart, München, Hamburg und Düsseldorf.

Medienmix als Markenzeichen

Das didaktische Konzept der Open University heißt "supported distance learning", unterstütztes Fernstudium. Damit ist zweierlei gemeint: Das Lernen ist keine Einbahnstraße. Jeder Student erhält so viel persönliche Betreuung wie nötig. Außerdem wird bei der Kurserstellung genau überlegt, welcher Studieninhalt sich auf welche Weise am besten begreifen lässt: Mit den Augen? Mit den Ohren? Als Experiment? In einer Debatte? Der Medienmix ist zum Markenzeichen der Open University geworden: Bücher und Modelle, Tonkassetten und Videos, CD-ROMs und Online-Materialien, Mailinglisten und elektronische Konferenzsysteme ergänzen einander in ihrer Wirkungsweise.

Lernen über das Internet Die E-technischen Möglichkeiten spielen im Konzept der Fernuni eine wichtige Rolle. Der Aufbaukurs "Managing Knowledge" beispielsweise läuft fast ausschließlich übers Internet. Ein eigenes Institut auf dem Campus der Open University in Milton Keynes entwickelt bereits heute Hard- und Software für Kommunikationsformen und Wege des Wissenstransfers, die weit verzweigte Hochgeschwindigkeitsnetze voraussetzen - die also voraussichtlich in fünf bis zehn Jahren aktuell werden.

Die 30-jährige Erfahrung mit der Fernlehre bewahrt die Institution allerdings davor, E-Learning als den modernen Nürnberger Trichter zu feiern, durch den sich das Individuum quasi automatisch mit Wissen abfüllen kann. "Wer die Lernwilligen vor dem Computer mit CD-ROM-Scheiben und Online-Seiten allein lässt, vernachlässigt sie und blendet den sozialen Anteil des Lernvorgangs aus", bemängelt Open-University-Experte Dominic Newbould. Er hält wenig davon, Bildung als pure Holschuld zu verstehen nach dem Motto: "Jeder kann jederzeit und von jedem Ort alle erforderlichen Informationen im Netz finden."

Die Kursentwickler der Open University verstehen unter Bildung mehr als reine Informationsanhäufung. E-Learning entfaltet demzufolge seine Stärken im Prozess des Wissenserwerbs nur dort, wo es gezielt und im Verbund mit anderen Formen der geistigen Auseinandersetzung eingesetzt wird. Die Vordenker in Milton Keynes gehen noch einen Schritt weiter: Jeder lernt anders, heißt die Grundüberlegung. Für die einen erschließt sich die Welt zuerst visuell, für die anderen akustisch. Dem einen fällt der theoretische Zugang zu einem Thema leichter, dem anderen der praktische. Nun gelte es, die Möglichkeiten, die in den Informations- und Kommunikationstechnologien stecken, in den Dienst der individuellen und aktiven Wissensaneignung zu stellen - Zukunftsmusik, in der intensive persönliche Lernberatung und -begleitung die erste Geige spielen wird.

So hoch der hohe didaktisch-methodische Aufwand bei der Aufbereitung der Studieninhalte sowie für die individuelle Betreuung durch Tutoren auch ist und so teuer das Ganze auch kommt, für die Teilnehmer müssen die Gebühren erschwinglich bleiben. Zum Wachstum verdammt Die Lösung beschreibt John Daniel, langjähriger Vizekanzler der Open University: "Wir fertigen die Materialien in einer Größenordnung, die industriellem Maßstab entspricht. Größe ist wichtig für uns. Nur mit offenen Zugangsmöglichkeiten erreichen wir viele Teilnehmer und können so Kosten und Qualität im Lot halten."

Auf seine Nachfolgerin, die Südafrikanerin Brenda Gourley, kommt nun die Aufgabe zu, Kooperationen mit Hochschulen aufzubauen, mit denen die Open University eigentlich in einem Konkurrenzverhältnis steht. Denn es ist so kostenintensiv, die lerntechnischen Möglichkeiten der elektronischen Medien voll auszureizen, dass an der internationalen Zusammenarbeit kein Weg vorbeiführt.