DEC übernimmt Vertrieb des Retix Openserver 400

Open Systems Interconnection: "Ein Marathonlauf, kein Sprint"

28.06.1991

WASHINGTON D.C. (gh) - Anhaltende Zuversicht an der OSI-Front: Bei einem dreitägigen Forum des OSI-Software-Anbieters Retix zeigten sich Hersteller und Anwender weiterhin überzeugt von der Zukunft offener Systeme. Euphorie und Glaubenskriege früherer Jahre sind allerdings einem Pragmatismus gewichen - deutlich wurde dies vor allem in der Frage: OSI oder TCP/IP?

"Bringing OSI to the Enduser" war das Motto des Retix International OSI Forum 1991, zu dem Steve Frankel, President, CEO und Director von Retix, rund 500 Teilnehmer begrüßen konnte. Während im Vorjahr vor allen Dingen die rund 180 OEM-Partner angesprochen wurden, waren die Kalifornier bei ihrer zweiten Veranstaltung dieser Art bemüht, mehr die Anwenderinteressen in den Mittelpunkt zu stellen. Nachdem in den Standardisierungsgremien und auf der OEM-Partnerschiene der OSI-Zug ins Rollen gekommen ist, gilt es nun - das machten Vetreter von Retix ohne Umschweife deutlich - den größer werdenden Endkundenmarkt im Auge zu behalten.

Frankel, dessen Company im Geschäftsjahr 1990 mit 50 Millionen Dollar Umsatz zum OSI-Marktführer avancierte stellte bei seinen Ausführungen das Open Networking auf der Basis von OSI-Standards in den Kontext einer dreigeteilten Welt der offenen Systeme. Neben dem offenen Betriebssystem Unix und Plattformen wie X.86 und RISC sei, so Frankel, die Implementierung von OSI-Standards der dritte wichtige Baustein. Immer komplexer werdende Netztopologien erforderten offene Netzwerk-Management-Systeme, daher sei es nur eine Frage der Zeit, bis die OSI-Standards CMIP/CMIS der Pentagon-Entwicklung TCP/IP den Rang als De-facto-Übertragungsprotokoll ablaufen werden. Erwartet wird dieser Umschwung von den Retix-Experten bis spätestens Mitte der neunziger Jahre.

Bis dahin jedenfalls, so der überwiegende Tenor der meisten Forum-Veranstaltungen, werden sowohl TCP/IP als auch OSI Realität in der Networking-Szene bleiben (müssen). Zurückhaltend äußerten sich dabei die Protagonisten beider Lager zu der Grundsatzfrage: Koexistenz oder Migration? Die großen LAN-Anbieter wie Banyan und Novell versahen ihre jeweiligen OSI-Commitments ausdrücklich mit einer weiteren Berücksichtigung von TCP/IP. Auch im Unix-Sektor behielten Koexistenzstrategien bei den in Washington versammelten Experten die Oberhand. Mark Mahowald, Managing Director Software Technologies beim US-amerikanischen Unix-Anbieter Interactive Systems Corp., brachte dies auf die Formel, die Entwicklung hin zu OSI sei "ein Marathon, kein Sprint".

Koexistenz aIs Teil von Migrationsstrategien

Trotz des zweifellos erkennbaren Trends zu OSI befinde sich der Markt, so der Manager, erst im Anfangsstudium. Allenfalls in drei bis fünf Jahren könne ein mit TCP/IP vergleichbares Installationsvolumen erreicht werden. Bis dahin und darüber hinaus stelle die Koexistenz beider Welten die beste Lösung dar, weil sie dem User den Übergang erleichtere und weitere Funktionalität gewährleiste.

Rainer Janssen, Berater bei Open Systems Consulting, bezog in seinem Beitrag eine noch pragmatischere Position, indem er die Koexistenz als unverzichtbaren Bestandteil jeglicher Migrationsstrategie bezeichnete. Für ihn stellt sich die Grundsatzfrage daher bei der Organisation der Koexistenz beider Welten. Nach Auffassung des Frankfurter DV-Experten - dem einzigen bundesdeutschen Forumsprecher - liegt der Ansatzpunkt mehr bei den jeweiligen Application Services, da OSI für sich allein letztlich nicht die Übertragung von System zu System, sondern nur die Anbindung innerhalb einer Rechnerstruktur gewährleiste.

Vertriebsvereinbarung mit Digital Equipment

Als weiteren Erfolg in der Zusammenarbeit mit nahmhaften Herstellern gab Retix eine Vertriebsvereinbarung mit Digital Equipment bekannt. Danach soll der Retix Openserver 400 ab sofort in einer DOS-Version und mit einem MHS-Gateway für X.400 von DEC ausgeliefert werden. Zudem wollen beide Firmen weitere Openserver-Gateways für alle populären LAN-basierten E-Mail-Systeme entwickeln und in absehbarer Zeit anbieten.

Von diesem Announcement abgesehen, hielt sich der Informationsgehalt des Retix-Forums in Grenzen. Interessant aus Anwendersicht war allenfalls noch die Tatsache, daß zumindest bei Ausschreibungen in den USA die Einhaltung des Gosip-Mandats nunmehr in der Regel zwingende Voraussetzung ist. Ansonsten war unter der Hand viel Unzufriedenheit zu registrieren. Teilnehmer beklagten vor allem fehlende, miteinander konkurrierende Lösungsvorschläge und Ausstellungsbeiträge von Herstellern, die nicht ausschließlich ihre Zufriedenheit mit Retix-Produkten betonen. So gesehen wird es sich auch im nächsten Jahr für bundesdeutsche Anwender kaum lohnen, die Koffer für San Jose zu packen, wo das dritte Retix International OSI Forum 1992 stattfinden soll.