Vor der Entscheidung über die IT-Ausstattung des Parlaments verhärten sich die Fronten

Open Source im Bundestag gerät zum Streitthema

11.01.2002
MÜNCHEN (CW) - Die Diskussion um einen breiten Einsatz von Open-Source-Software im Deutschen Bundestag gewinnt an Schärfe. Während die Linux-Protagonisten ihren Standpunkt offensiv vertreten, intensiviert Microsoft die Lobbyarbeit. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat das Parlament beschlossen, quelloffene Software in der Bundesverwaltung zu fördern.

"Microsoft wird von manchen Teilnehmern der Debatte über die zukünftige IT-Ausstattung des Deutschen Bundestages in unverantwortlicher Weise wie ein terroristisches Netzwerk behandelt." Dieser Satz stammt nicht etwa aus der PR-Abteilung des Herstellers, sondern vom SPD-Bundestagsabgeordneten Ulrich Kelber. Die IT-Systeme des Parlaments sollten ausschließlich nach funktionellen Anforderungen und Sicherheitsaspekten ausgewählt werden, fordert der Diplominformatiker in einer Pressemitteilung. "Emotionale und ideologische Debatten" dürften dabei keine Rolle spielen.

Daniel Riek, Vorstand des Linux-Verbands Live, hält in einem offenen Brief dagegen: "Die Erfüllung der funktionellen Anforderungen und der Sicherheitsaspekte sind eine Selbstverständlichkeit." Da-rüber hinaus seien jedoch ordnungs- und wirtschaftspolitische Gesichtspunkte zu beachten. Hier stehe der Deutsche Bundestag in einer besonderen Verantwortung. Unter wettbewerbspolitischen Aspekten dürfe man nicht außer Acht lassen, "dass es sich bei Microsoft (...) um einen Monopolisten handelt, der in den USA wegen Machtmissbrauchs bereits verurteilt wurde".

Hintergrund der Diskussion ist die im Februar anstehende Entscheidung des Ältestenrats über die künftige IT-Ausstattung der Bundestagsverwaltung. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss hatte sich Ende Oktober dafür ausgesprochen, "den Bundestag zur Microsoft-freien Zone zu erklären".

Einen Schritt weiter geht Georg Greve, Präsident der Free Software Foundation (FSF) Europe. Bei der Diskussion werde vernachlässigt, "dass freie Software (...) auch gerade die Grundrechte auf Meinungs- und Informationsfreiheit wahrt".

Greve verweist zudem auf einen Beschluss des Deutschen Bundestags vom 9. November 2001, in dem es unter anderem heißt: "Der Deutsche Bundestag begrüßt die Förderung von Open-Source-Produkten und fordert die Einführung von unter Open-Source-Lizenz erstellten Produkten in der Bundesverwaltung, vor allem in sicherheitsrelevanten Bereichen."

Microsoft reagiert auf die Offensive der Open-Source-Szene mit einer zumindest hierzulande nie dagewesenen Lobbyarbeit. Mit Hilfe der Frankfurter PR-Agentur Hunzinger lädt der Hersteller Abgeordnete und Behördenvertreter zu Workshops und Einzelgesprächen. Deutschland-Chef Kurt Sibold kümmert sich ab Januar persönlich um die Information einflussreicher Parlamentarier.

Den jüngsten Diskussionsbeitrag liefert der Vorstandsvorsitzende des Verbands der Softwareindustrie Deutschlands e.V. (VSI), Rudolf Gallist. In einem offenen Brief kritisiert er die Ausführung Rieks. Dessen ordnungspolitische Betrachtung lasse entscheidungsrelevante Fragen unbeantwortet, beispielsweise nach der Zukunftssicherheit von IT-Investitionen oder der Gewährleistung von Open-Source-Produkten.

Dass Gallist mehrere Jahre Geschäftsführer von Microsoft Deutschland war und erst Ende 2000 ausschied, ist dem Schreiben nicht zu entnehmen. Gleichwohl verdeutlicht der Ex-Manager seine Gesinnung mit einem Generalangriff auf die Open-Source-Gemeinde. Freie Software stelle "das seit Jahren erfolgreiche Geschäftsmodell des Großteils der Softwareunternehmen in Deutschland in Frage". (wh)