Open Source erobert das Data Center

22.02.2005
Mit Highend-Eigenschaften stößt das quelloffene Betriebssystem Linux in höhere Leistungssegmente der Unternehmens-IT vor. Dieser Trend zeichnete sich auf der Messe Linuxworld in Boston ab.

Linux ist reif für den Einsatz in unternehmenskritischen Bereichen. Vorbei die Zeiten, in denen das Betriebssystem mit dem Bastler-Image lediglich File-, Print- oder Web-Dienste verrichten durfte. Mit solchen Botschaften versuchten die Protagonisten der Open-Source-Szene, die Messebesucher von den Vorzügen Linux-basierender IT-Infrastrukturen zu überzeugen.

Seit der Übernahme von Suse gehört Novell-Chef Jack Messman zu den prominentesten Fürsprechern. Die Vorbehalte gegen den professionellen Einsatz von Open-Source-Software sind passé, proklamierte er in seiner Keynote. Nun gehe es darum, wie sich Linux-Systeme in die Unternehmens-IT integrieren lassen. Der typische Linux-Kunde sorge sich nicht mehr um einen bestimmten Treiber oder ein Stück Hardware. Sein Interesse gelte vielmehr einem integrierten Softwarestack, der auf einer Open-Source-Plattform läuft.

Die Basis dafür bilden Linux-Distributionen, die auf die Belange großer und mittlerer Organisationen zugeschnitten sind. Novells Open Enterprise Server (OES) und Red Hat Enterprise Linux 4 (RHEL 4) zählten deshalb zu den wichtigsten Neuvorstellungen in Boston. Mit seiner vierten Enterprise-Linux-Version bewegt sich Red Hat konsequent in Richtung Rechenzentrum und geschäftskritische Anwendungen. So bringt RHEL 4 vor allem Verbesserungen in Sachen Performance, Sicherheit sowie Nutzbarkeit auf Desktop-Systemen. Das Betriebssystem unterstützt bis zu 32 CPUs in einer Maschine, die File-Systeme können jetzt 8 TB groß sein.

Konkurrent Novell vereint im Open Enterprise Server das hauseigene Netz-Betriebssystem Netware 7 mit dem Suse Linux Enterprise Server. Dabei setzen die Netware-Services auf die Kerne beider Betriebsysteme auf, lassen sich also wahlweise unter Linux oder Netware nutzen. Interessant für Unternehmen mit heterogenen IT-Strukturen auch: OES integriert nicht nur die File-Services von Netware und Linux, sondern auch die von Windows und Unix (ausführliche Berichte zu OES und RHEL 4 auf Seite 20).

Um seine Ambitionen im Highend zu unterstreichen, kündigte Novell zudem eine Data-Center-Strategie an: Sie soll das Produktportfolio rund um das Kern-Betriebssystem erweitern, beispielsweise in den Bereichen Speicher-Management, Virtualisierung, System-Management oder Sicherheit. Dazu werde in den kommenden Monaten eine Reihe neuer Produkte vorgestellt, erklärten Novell-Vertreter.

Die Netware-Company kündigte ferner das von ihr initiierte Open-Source-Projekt Hula an. Dessen Ziel ist es, einen quelloffenen Collaboration-Server zu entwickeln. Novell steuert dazu Codeteile seiner "Netmail"-Software bei. Dabei handelt es sich um ein Web-basierendes E-Mail-, Adress- und Kalender-Tool.

Insbesondere das Thema Virtualisierung, lange Zeit eine Domäne der Großrechner- und Highend-Unix-Server, gewann in Boston an Bedeutung. So kündigte die US-amerikanische Firma Xensource Inc. eine Kooperation mit dem Prozessorhersteller AMD an.

Sie sieht vor, die quelloffene Virtualisierungstechnik Xen auf AMDs 64-Bit-Prozessortechnik ("AMD64") zu portieren. Xen erlaubt es, Server in logische Partitionen aufzuteilen, womit sich unter anderem Auslastung und Workload-Management verbessern lassen. Mehrere Betriebssystem-Instanzen können dabei in sicheren, voneinander isolierten Bereichen laufen. Insofern steht Xen in Konkurrenz zum etablierten "ESX Server" von VMWare, aber auch zu Microsofts "Virtual Server".

Wie selbstbewusst die Linux-Distributoren mittlerweile gegenüber den etablierten IT-Schwergewichten auftreten, demonstrierte Red Hats Marketing-Chef für Europa, Paul Salazar. RHEL 4 werde "Solaris verdrängen", zeigte sich der Manager überzeugt. Für Anwender gebe es keinen Grund mehr, weiter mit dem Sun-Betriebssystem zu arbeiten.

Die Argumente für einen Wechsel auf Open Source sind die gleichen geblieben, erläuterte Novell-Chef Messman unter Verweis auf diverse Studien: Unternehmen versprächen sich davon niedrigere Implementierungs- und Betriebskosten, weniger Herstellerabhängigkeit und mehr Flexibilität. Laut einer Untersuchung des US-amerikanischen "CIO Magazine" erwarten 53 Prozent der befragten IT-Manager, dass Open-Source-Software bis zum Jahr 2007 in ihren Rechenzentren eine dominierende Rolle spielen werde.

Die dafür nötigen Applikationen sollen vor allem von unabhängigen Softwarehäusern (ISVs = Independent Software Vendors) kommen. In diesem Kontext präsentierte sich IBM einmal mehr als großer Linux-Förderer. Innerhalb der nächsten drei Jahre möchte Big Blue weitere 6000 unabhängige Softwarehäuser davon überzeugen, ihre Anwendungen auf Linux zu portieren. Gemeinsam mit Novell und Red Hat hat der IT-Konzern die Initiative Chiphopper ins Leben gerufen.

Mit Hilfe von Support- und Testing-Tools sollen ISVs Linux-Applikationen entwickeln, die auf sämtlichen Server-Plattformen des Konzerns laufen. Gegenwärtig listet IBM rund 6000 Linux-Anwendungen in seinem Global Solutions Directory für Partnerprogramme auf. Im Zuge der Chiphopper-Initiative soll die Zahl auf 12 000 steigen.

Mit zusätzlichen Finanzmitteln will IBM auch den Einsatz seiner "Workplace"-Desktop-Software unter Linux fördern. In den kommenden drei Jahren investiere man 100 Millionen Dollar in das Workplace-Produktportfolio, so eine weitere Ankündigung. Mit dem Geld sollen ebenfalls unabhängige Softwarehäuser und Vertriebspartner unterstützt werden.

Trotz der Betonung von Server-Funktionen spielte das Thema Desktop-Linux auch in Boston eine Rolle. So zeigte etwa Sun Microsystems Betaversionen von Star Office 8 und Open Office.org 2.0. Eine Lanze für den Einsatz von Linux-PCs brach Craig Manning, IT-Manager beim Netzausrüster Cisco. Mehr als 200 Cisco-Ingenieure hätten den Wechsel auf Linux-Desktops bereits hinter sich, berichtete er. In den kommenden Jahren sei geplant, auch zahlreiche Notebook-Anwender auf die Open-Source-Plattform umzustellen. Dabei spielten mögliche Kosteneinsparungen eine untergeordnete Rolle. Entscheidend sei die einfachere Administration der Linux-PCs, die durch integrierte Tools wie Secure Shell (SSH) und andere Eigenschaften des Betriebssystems möglich werde.

Bei allem Optimismus konzedierten die Linux-Apologeten, dass ein kompletter Wechsel auf Open Source nur für die wenigsten Unternehmen in Frage kommt. Martin Fink, General Manager für das Linux-Geschäft bei Hewlett-Packard, zitierte aus einer Marktstudie, derzufolge drei von fünf Unternehmen einen Mix aus Open- und Closed-Source-Systemen anstrebten. Demgegenüber beabsichtigten lediglich zwei Prozent der befragten Firmen, ihre IT-Infrastruktur komplett aus Open-Source-Komponenten zusammenzubauen. 38 Prozent hätten angegeben, überwiegend kommerzielle Software einzusetzen. Auch Messman plädierte in seiner Rede dafür, die Realität nicht aus den Augen zu verlieren: "Ob wir es mögen oder nicht, wir leben noch nicht in einer reinen Open-Source-Welt."