Open-Source-Systeme/Das Ende von Urheberrecht und Gewährleistungspflicht in der Software?

Open Source an den Grenzen des deutschen Rechts

12.05.2000
Linux hat seinen Ruf außerordentlich guter technischer Qualität dem ungewöhnlichen, offenen Entstehungskonzept zu verdanken. Dieses beruht auch auf rechtlichen Grundsätzen. Von Thomas Hoerne*

Linux-Initiator Linus Torvald bedient sich einer öffentlichen Lizenz, der GNU General Public License (GPL) der Free Software Foundation Inc., Boston. Die ist bildlich gesehen durchaus mit einer öffentlichen Bibliothek vergleichbar, geht aber in ihrer rechtlichen Tragweite noch darüber hinaus.

Die Free Software Foundation wurde 1983 in den USA gegründet, um Unix-kompatible Software frei zu entwickeln. Sie verfolgt das Ziel, möglichst viele Softwareprogrammierer in diesen Prozess einzubeziehen. Dazu wird ihnen Teilhabe an den bisherigen Entwicklungsergebnissen durch freie Nutzbarkeit gewährt. Sie müssen aber im Gegenzug ihre erzielten Arbeitsresultate auch frei zur Verfügung stellen.

Dieser Entwicklungsprozess kreiert die "freie" oder "Open-Source"-Software. Die Bedingungen der GNU General Public License (GPL) sind über mehrere Adressen im Internet abrufbar: eine in englischer Fassung zum Beispiel über http://www.fss.org/philosophie/categories.html, die deutsche Übersetzung unter http://www.suse.de/doku/gpl/gpl-ger.html.

Das Lizenzierungskonzept lässt sich als revolutionär bezeichnen, weil es im krassen Widerspruch zum herkömmlichen Lizenzierungskonzept steht. Dieses basiert auf dem Prinzip von Schutzrechten, die dazu dienen sollen, eine freie Benutzung auszuschließen. Das GPL-Lizenzkonzept macht hingegen die freie Benutzung zum Prinzip.

Es hat viel Mühe und Überzeugungsarbeit gekostet, um, beginnend Anfang der 70er Jahre bis - zumindest in Deutschland - Mitte 1993, den Urheberrechtsschutz für Computerprogramme gesetzlich und rechtssicher zu verankern. Auslöser war eine mehrjährige Arbeit des internationalen Büros der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WTO), die 1977 Mustervorschriften für die Einführung des Urheberrechtsschutzes an Computerprogrammen erstellte.

Triebfeder und Ziel dieser Initiative war der Schutz von Investitionen in die Entwicklung und die Vermarktung von Software. Für die Planung und Erstellung von Computerprogrammen ist der erforderliche Zeitaufwand so hoch, dass das dringende Bedürfnis besteht, die notwendigen Investitionen durch Schutzrechte zu sichern. Der Softwareentwickler soll das Recht haben, seine Investition mittels dieser Schutzrechte, mit denen er andere von der Benutzung des Ergebnisses seiner Bemühungen ausschließen kann, zu sichern.

Der Schutz bewirkt die Möglichkeit, die Investitionen durch entsprechende Lizenzerlöse wieder nicht nur hereinzuholen, sondern auch Gewinne damit zu erzielen. Man sieht darin die wesentliche Antriebsfeder für schöpferische Kreativität, Erfindergeist und Investitionsbereitschaft zur Förderung des technologischen Fortschritts und zur Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nationaler und internationaler Ökonomien.

Wer glaubte, dies sei das einzige Konzept, um die technische und wirtschaftliche Entwicklung im Bereich der Softwareindustrie voranzutreiben, muss sich durch die Erfolge des GPL-Konzepts für Linux eines Besseren belehren lassen. Die GPL-Lizenz weist im Vergleich zum bisherigen Lizenzierungsmodell markante Besonderheiten auf:

Die GPL räumt erstens jedermann das Recht ein, unter ihrer Geltung bezogene Programmkopien zu kopieren und Kopien hiervon zu verbreiten - allerdings unter bestimmten Auflagen. So muss jede Kopie mit einem Copyright-Vermerk versehen sein. Ferner ist ein Haftungsausschluss zu veröffentlichen, der im Inhalt mit dem in der GPL in den Paragrafen 11 und 12 enthaltenen Gewährleistungs- und Haftungsausschluss identisch ist. Die an der Kopie angebrachten Vermerke, die sich auf die GPL-Lizenz und das Fehlen jeglicher Gewährleistung und Haftung beziehen, dürfen nicht verändert werden. Schließlich müssen die GPL-Lizenzbedingungen an jeden Empfänger einer Kopie übermittelt werden.

Zweitens ist jedermann berechtigt, unter Geltung der GPL erhaltene Programmkopien zu verändern und Kopien des veränderten Programms als Objektcode oder in ausführbarer Form zu vervielfältigen und zu verbreiten. Auch hier gelten Voraussetzungen, deren wichtigste darin besteht, den eigenen Quellcode offenzulegen. Das muss entweder vollständiger maschinenlesbarer Quellcode sein oder ein schriftliches auf drei Jahre gültiges Angebot, jedem Dritten eine solche Kopie zur Verfügung zu stellen.

Zusätzlich müssen die veränderten Dateien einen auffälligen Vermerk enthalten, der auf die vorgenommene Modifizierung und das Datum der Änderung hinweist. Jede verbreitete oder veröffentlichte Bearbeitung der unter der GPL bezogenen Kopie ist Dritten unter gleichen Bedingungen zur Verfügung zu stellen. Bei interaktiver Programmausführung werden ein geeigneter Copyright-Vermerk sowie ein Hinweis auf das Fehlen einer Haftung und Gewährleistung und das allgemeine Verbreitungsrecht unter Geltung der GPL-Lizenz angebracht.

Drittens enthalten die GPL-Lizenzbedingungen in den Paragrafen 11 und 12 einen vollständigen Gewährleistungs- und Haftungsausschluss für das unter Geltung der GPL lizenzierte Programm.

Diese rechtliche Konstruktion der Lizenz zur freien Nutzung findet allerdings im deutschen Recht ihre Grenzen.

Die Auflagen, unter denen die Freibenutzung eingeräumt wird, stellen auflösende Bedingungen dar. Das Benutzungsrecht erlischt, wenn die Auflagen nicht eingehalten werden. Die Folgen sind weit reichend. Jede Nutzung der Software ohne Einhaltung der Auflagen führt zu einer Urheberrechtsverletzung, die nach dem Gesetz mit Strafe sowie mit Unterlassungs- und Schadenersatzansprüchen des Verletzten bedroht ist. Zu Schwierigkeiten führt dies, wo die Haltung der Auflagen an rechtliche Schranken nationaler Rechte stößt.

Eine dieser Schranken ist das Urheberpersönlichkeitsrecht. Das Urheberrecht entsteht nach dem deutschen Regelungsmodell originär. Das heißt, es ist anders als beispielsweise ein Patent auch ohne eigene Registrierung oder andere staatliche Verleihungsakte ein höchst persönliches Recht des jeweiligen Urhebers.

Die wirtschaftlichen Verwertungsrechte (Nutzungsrechte) kann dieser umfassend Dritten übertragen. Die an seine Person geknüpften Urheberrechte, die so genannten Urheberpersönlichkeitsrechte, verbleiben jedoch bei ihm. Auf sie kann er auch nicht uneingeschränkt verzichten.

So hat der Urheber unabhängig von einer Übertragung der Nutzungsrechte das Recht, Entstellungen oder andere Beeinträchtigungen seines Werks zu verbieten, die geeignet sind, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden. Der Urheber soll vor Rufschädigungen durch Entstellung seines Werks geschützt werden.

Zwar ist es nicht einfach, sich dies im Regelfall bei kommerziell genutzter Software vorzustellen. Ausschließen lässt es sich jedoch nicht, dass sich ein Softwareentwickler, der seine Bearbeitung des Quellcodes unter Geltung der GPL zur freien Benutzung zur Verfügung gestellt hat, später gegen Bearbeitungen wehrt. Er könnte zum Beispiel behaupten, die Veränderungen hätten in einer seinen Ruf schädigenden Weise das von ihm geschaffene Werk entstellt. Dies wäre vor allem dann vorstellbar, wenn grafische oder andere Darstellungen Bestandteile der Software sind oder werden, also ästhetische Elemente einfließen.

Eine andere Grenze besteht nach deutschem Recht in den eingeschränkten Möglichkeiten, die Haftung und Gewährleistung auszuschließen. Ein Haftungsausschluss für vorsätzliches Handeln ist generell unzulässig. Darüber hinaus verstoßen Gewährleistungs- und Haftungsausschlüsse gegen die Bestimmungen des Gesetzes über allgemeine Geschäftsbedingungen. Diese Bestimmungen werden nicht nur auf die meist kleingedruckten allgemeinen Verkaufs-, Lizenz- oder Lieferbedingungen angewandt, sondern auch auf Musterverträge und formelhaft verwendete Klauseln.

Auf diese Instrumente jedoch kann ein Softwarevertrieb heute nicht mehr verzichten, schon gar nicht, wenn über das Internet vertrieben wird. Nun enthalten die Bedingungen der GPL zwar nur die Verpflichtung, auf den in den Paragrafen 11 und 12 enthaltenen Gewährleistungs- und Haftungsausschluss hinzuweisen und ihn zu veröffentlichen. Dem Wortlaut dieser Bedingungen ließe sich also bloß durch einen Hinweis - der die tatsächliche Rechtslage allerdings nicht zutreffend wiedergibt - Rechnung tragen.

Der Sinn und Zweck dieser Lizenzbedingungen könnte jedoch auf etwas anderes schließen lassen; nämlich einen derartigen Haftungs- und Gewährleistungsausschluss auch bei der Weitergabe von Nutzungsrechten an den durch Bearbeitung geschaffenen Werken zu vereinbaren. Um das zu berücksichtigen, müsste man zumindest auf formelhafte Klauseln, Musterverträge und Allgemeine Geschäftsbedingungen verzichten. Dies ist im modernen Warenvertrieb, insbesondere bei Nutzung elektronischer Medien, allerdings nicht mehr möglich.

Der Jurist wird durch einschränkende Auslegung der Lizenzbedingungen im Konfliktfall helfen können. So wird man wohl zu dem Schluss kommen können, dass die Auflagen nur so weit gelten, wie sie sich unter Einhaltung der nationalen Rechtsordnungen auch wirksam befolgen lassen. Sicher ist dies aber keineswegs.

Es wird sich erst eine ständige Rechtsprechungspraxis entwickeln müssen, falls solche Konfliktfälle vor Gericht kommen. Möglicherweise wird es aber so weit gar nicht erst kommen. Die Funktionsfähigkeit des Vertriebskonzepts von Open-Source-Software und sein wirtschaftlicher Erfolg könnten sich nämlich schneller einstellen, als die doch relativ langsamen Mühlen der Gesetze und Gerichte anlaufen können.

* Thomas Hoerne ist auf IT-Rechtsfragen spezialisierter Anwalt und Partner der Kanzlei CMS Hasche Sigle Eschenlohr Peltzer in Stuttgart (Thomas.Hoene@cmslegal.de).