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Online-Welt Second Life - Und welche Maske trägst du?

12.03.2007
Es ist ein Land der Verheißung: unendliche Reichtümer, blühende Landschaften - und man selbst als blendende Schönheit mittendrin.

Second Life (Zweites Leben) heißt die Wunderwelt, die sich all jenen offenbart, die einen leistungsstarken Internetanschluss, einen schnellen Computer und das entsprechende Programm besitzen, das gratis im Netz herunter geladen werden kann.

Mehr als vier Millionen Menschen weltweit haben sich den Entwicklern zufolge bislang bei Second Life (SL) angemeldet, eineinhalb Millionen davon allein in den vergangenen zwei Monaten. Mit klassischen Online-Spielen wie World of Warcraft hat das virtuelle Universum wenig gemein: "Second Life ist nicht wirklich ein Spiel - es ist ein Erlebnis mit komplett offenem Ausgang", sagt Peter Gray von der kalifornischen Software-Schmiede Linden Lab, die das neue Universum vor vier Jahren erfunden hat. Die "Bewohner" der Online-Welt sind seinen Angaben nach im Durchschnitt 33 Jahre alt, etwa 40 Prozent der Nutzer sind Frauen.

Second Life macht es seinen "Bewohnern" leicht, sich cool und sexy zu fühlen - unabhängig vom Dasein und Aussehen in der realen Welt. Der Nutzer betritt die dreidimensionale Szenerie als Computerfigur (Avatar) und kann sich nach eigenen Wünschen mit durchtrainiertem Körper, angesagter Frisur und diversem Schmuck ausstatten.

Doch Second Life ist kein virtuelles Schlaraffenland: Zwar fühlt sich der Besucher zunächst als Entdecker und genießt es, über wundersame Landschaften zu schweben. Doch der Boden der Tatsachen wartet schon: Second Life ist eine florierende Marktwirtschaft, die zunehmend mit der realen Welt vernetzt wird: Wer sich eine neues Styling zulegen oder in einem virtuellen Häuschen leben möchte, muss zahlen.

Linden-Dollar heißt die Währung, die Second Life zu einem aufgemotzten Monopoly fürs Internet werden lässt. Wer zu Geld kommen will, muss - oh schnöde Welt - arbeiten. Alternativ kann das Konto in der realen Welt angezapft und gegen ein SL-Guthaben getauscht werden. Derzeit gibt es für einen US-Dollar 270 Linden-Dollar. Möglich ist auch, die Premium-Mitgliedschaft zu wählen, für die man monatlich Geld zahlt und dafür virtuelles Taschengeld erhält. Etwa 50.000 solcher Kunden hat Linden Lab derzeit nach eigenen Angaben.

Rund zwei Milliarden Linden-Dollars sind momentan im virtuellen Umlauf, erste selbst ernannte Millionäre gibt es auch schon: Die Deutsch-Chinesin Ailin Gräf verkündete Ende vergangenen Jahres, die virtuellen, von ihr selbst programmierten Grundstücke ihres Second-Life-Avatars Anshe Chung hätten mittlerweile einen Wert von einer Million US-Dollar. Auch andere machen lukrative Geschäfte: Über das Online-Auktionshaus Ebay werden virtuelle Grundstücke, aber auch Autos und fertig ausstaffierte Avatare versteigert - zu mitunter recht deftigen Preisen.

Auch Konzerne wie IBM, adidas und DaimlerChrysler betreiben in Second Life ihre Geschäfte. Sie hoffen, damit eine neue Marketingmaschine anzuschmeißen. "Das ist etwa so wie Mitte der 90er Jahre, als das Internet ins Rollen kam", sagt der Medienwirtschaftler Bernd Schmitz von der Rheinischen Fachhochschule Köln. "Viele haben Angst, noch mal den Zug zu verpassen."

Musikverlage präsentieren in Second Life Platten, Fernsehsender werben für ihr Programm, auch eine deutschsprachige Zeitung, den "Avastar", gibt es schon. Und selbst Politiker scheuen sich nicht, Second Life als Plattform zur Selbstdarstellung zu testen: Der französische Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy geht ebenso wie einige seiner Kollegen auch unter Avataren auf Stimmenfang.

Bis Mitte des Jahres soll es möglich werden, mit anderen Avataren zu sprechen. Eine neue Software fürs Handy soll auch abseits des eigenen Computers die Kommunikation ermöglichen. "Prima, dann brauchen wir die virtuelle Welt bald gar nicht mehr verlassen und müssen uns nicht mehr mit schwierigen Realkontakten herumschlagen", kommentiert ein Blogger.

Der Medienpädagoge Wilfried Hendricks von der Technischen Universität Berlin erklärt den Reiz der Online-Welt: "Man lebt Fantasien aus und schlüpft in neue Rollen, ohne die Kontrolle zu verlieren." Im Grunde gleiche die SL-Gesellschaft der der realen Welt. "Alles, was im realen Leben geschieht, wird sich da auch irgendwie ansiedeln." Fälle von Kinderpornografie gab es bereits ebenso wie Nazi-Demonstrationen. "Dagegen kann man leider derzeit technisch nichts machen", sagt Schmitz. "Hier muss sich die Community vorerst selber regulieren."

Zwar könne das "Zweite Leben" für labile Menschen eine Flucht aus dem realen Leben bedeuten, die Gefahr dürfe aber nicht überbewertet werden, betont Hendricks. "Solche Warnungen begleiten die Medien von je her, das war auch schon bei Comics und beim Fernsehen so." Rund 40 Stunden verbringt der durchschnittliche SL-Nutzer nach Angaben von Linden Lab monatlich in seinem "Zweiten Leben". Gefährlich wird SL wohl erst, wenn es zum Mittelpunkt wird: "Es könnte sein, dass jemand seine Identität nur noch in Second Life sieht", sagt Hendricks. Und dann stehe auch die finanzielle Existenz auf dem Spiel. (dpa/tc)