Netzmarkt weiss, was Kunden wünschen

Online-Shopping im Kaufhaus

22.02.2000
Von VON Gabriele
Sie waren die Pioniere des Internet-Einkaufs und mischen immer noch weit vorn mit. Zwei Brüder aus Erlangen haben 1995 mit Netzmarkt das erste deutsche Kaufhaus im Internet gegründet und bringen die Konkurrenz auch heute noch ins Grübeln.

Die Weihnachtshasser und Last-Minute-Käufer, die Einfallslosen und die kühlen Rechner, sie alle konnten sich im vergangenen Jahr bequem zurücklehnen und andere arbeiten lassen. Schnell das Alter der zu beschenkenden Person und die finanzielle Größenordnung für potenzielle Geschenke angeklickt und per E-Mail nach Erlangen geschickt - schon kam wenige Minuten später guter Rat von zwei elektronischen Weihnachtsmännern. Die konnten aus einem reichen Angebot schöpfen - haben sie doch ein eigenes Internet-Kaufhaus. Und da bummelt nicht nur zur Weihnachtszeit eine feste Fangemeinde durch 27 Shops.

Jeweils rund 400 000 Besucher lockte das Angebot von www. netzmarkt.de in den vergangenen Monaten im Durchschnitt und die Zahl der Pageviews überschritt immer die Zwei-Millionen-Marke. Damit liegen die Pioniere des Online-Shoppings, Heiko und Michael Zeutschner und ihr Team, weit vorne in der Hitliste der Internet-Käufer.

Solche Zahlen überzeugen auch Interessenten für neue Läden im Web. Wie etwa Jan Müller aus der Abteilung Marketing der CC-Bank. "Netzmarkt ist das größte Internet-Kaufhaus Deutschlands mit viel Traffic. Hier online zu gehen, ist für die CC-Bank ein Test, ob sich ihr Angebot an Finanzdienstleistungen auf einer Shopping-Plattform im Internet verkaufen lässt. Auf unserer eigenen Domain funktioniert das schon besser als erwartet."

Start im Schlafzimmer

Seit kurzem sind die Banker aus Mönchengladbach, die bundesweit mit rund 50 Filialen vertreten sind, auch unter dem Dach von Netzmarkt anzutreffen. "Im Internet wollen wir zwar auch andere Kunden etwa für Kreditprodukte finden, die eigentlich eher schwer zu verkaufen sind." Vor allem aber solle das Kerngeschäft, Finanzierungen und Kredite für Privatkunden, ausprobiert werden. "Dieser Test soll nur der erste Teil einer weiterführenden Zusammenarbeit sein", kündigt Müller an.

Was sich das Geldinstitut davon verspricht, gerade bei Netzmarkt einzusteigen? Die CC-Bank sei im Bewusstsein vieler User, anders als Netzmarkt, noch nicht als Markenname verankert. Zwar könnten sich die Finanziers vom Niederrhein grundsätzlich auch andere Shopping Malls als Partner vorstellen, wie Müller freimütig einräumt. "Aber derzeit gibt es für uns keine Alternative. Die ausgezeichnete Reputation, hohe Besuchszahlen und ein großer Kundenstamm, bester Kundenservice und gezielte Marketing-Strategien sind dabei für uns maßgebliche Faktoren."

Mit so viel Lob konnten die Zeutschners 1995 noch nicht rechnen. Damals kehrten die beiden, Theaterwissenschaftler der eine, Anglist der andere, den eher brotlosen Geisteswissenschaften den Rücken und begannen mit Enthusiasmus und Geschäftssinn dort, wo immer alles anfängt: im eigenen "Büroschlafzimmer", wo der PC von Heiko Zeutschner stand. Zuerst wurde das gemeinsame Unternehmen mit journalistischer Arbeit finanziert, irgendwann kam die zündende Idee: Die erste deutsche Shopping Mall wurde geboren. Inzwischen ist das Unternehmen zwar immer noch in Erlangen angesiedelt, beschäftigt aber rund 20 Mitarbeiter und hat sein Angebot, seinen Kundenservice und seine Strategien auf dem Online-Markt deutlich verändert.

Klasse statt Masse, heißt die Devise, ein Grund, warum es in der Vergangenheit schon einmal wesentlich mehr Shops gab als heute. Dahinter steht die Erfahrung, "dass sich nun einmal nur ganz bestimmte Produkte im Netz besser verkaufen lassen als im Laden an der Ecke", so Heiko Zeutschner. "Denn warum soll der Käufer im Web bestellen, was er genauso gut auch anderswo bekommen kann?" E-Commerce, das haben die beiden Pioniere gelernt, funktioniert nur mit den berühmten Zauberworten: mehr Nutzwert.

Genaue Partnersuche

Wie zum Beispiel mit dem Weihnachtsservice. Oder mit dem populären Newsletter, der mittlerweile 67 000 Abonnenten zu einer Netzmarkt-Community verbindet und der wöchentlich Tipps, Neuigkeiten und vor allem Links zu interessanten Seiten im Netz bietet. Oder der Stellenbörse, dem Chat, dem kostenlosen Fax-Service, Gewinnspielen und, und, und...

Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. "Das sind Erfahrungswerte, die wir erst im Laufe der Jahre gewonnen haben", sagt Michael Zeutschner. Am Anfang war die Idee, ein virtuelles Kaufhaus zu kreieren, heute verstehen sich die Erlanger als "Full-Service-Provider im Netz". Deshalb gehört neben dem Webhosting und der kompletten technischen Realisierung der Shops von der Konzeption bis zum Feindesign, der Pflege und Aktualisierung der Web-Seiten auch die Werbung und das Marketing zum Angebot für Shop-Betreiber. Heute kann Netzmarkt es sich leisten, seine Partner genau auszusuchen.

Umsatz verdoppelt

Anders als in den Anfängen, als die beiden Brüder noch Überzeugungsarbeit bei Händlern für das Thema E-Commerce leisten mussten, gibt es heute viele Anfragen kleinerer Shops. Aber nicht jeder, der will, kann auch Partner werden. Wer die "Aufnahmeprüfung" bestehen möchte, muss gute Lieferlogistik, Integration verschiedener Zahlungssysteme und schnelle Ausführung von Bestellungen garantieren können. "Durch unsere langjährige Erfahrung mit dem Thema wissen wir ja, dass nichts die Kunden wirksamer vergrault als unprofessionelle technische Realisierung, fehlende Aktualisierung oder langsame Reaktionszeiten", so Heiko Zeutschner.

Über die Gretchenfrage, ob sich mit E-Commerce Geld verdienen lässt, muss sich das Musikhaus Thomann, einer der ersten Shops im Netzmarkt, keine Sorgen machen. Sven Schoderböck, Marketing-Manager bei Thomann, das sich Europas größtes Musikhaus nennt, bringt es auf den Punkt: "Nach 400 000 Mark Umsatz im ersten Jahr konnten wir im Jahr darauf den Umsatz bereits verdoppeln. 1998 hatten wir 6000 Neukunden aus ganz Europa über das Web-Angebot dazubekommen." Die ursprünglich berechneten fünf Millionen Mark Umsatz für 1999 wurden übertroffen. "Er wird sich wohl auf sieben Millionen Mark belaufen", so Schoderböcks Erwartung.

*Gabriele Müller ist freie Journalistin in Wuppertal.