E-Government meets E-Business

Online-Pfade führen in den Behördendschungel

17.03.2000
MÜNCHEN (CW) - Unter dem Schlagwort "E-Government" erfasst die Internet-Welle nun auch die deutschen Amtsstuben. Derzeit informieren die Websites von Städten und Gemeinden noch über Öffnungszeiten und die nächste Altkleidersammlung. Die virtuellen Rathäuser der Zukunft sollen dagegen sowohl Bürgern als auch Unternehmen die komplette Online-Abwicklung von Anträgen und Verwaltungsvorgängen ermöglichen.

Sogar der oberste Dienstherr, Bundesinnenminister Otto Schily, gab sich die Ehre, als Harald Wedel, Chef der Bundesdruckerei, auf der diesjährigen CeBIT das Projekt "Digant" vorstellte. Obgleich sich Schily dezent im Hintergrund hielt, unterstrich seine Anwesenheit die Bedeutung der Ankündigung: Der mit dem Kürzel betitelte digitale Antrag für Reisepass, Personalausweis und Führerschein bringt den Einwohnermeldeämtern zumindest einen Vorgeschmack auf die Segnungen des Internet. Die Beamten werden die notwendigen Daten samt Unterschrift und Passbild zukünftig elektronisch erfassen und über das Web an die Bundesdruckerei übermitteln. Somit verkürzt sich nicht nur die Wartezeit für den Bürger auf eine Woche, die Behörden ersparen sich dadurch die Kosten für riesige Aktenarchive.

Dies ist jedoch nur ein Beispiel von vielen: Vom Medienrummel weitgehend verschont, werden dem Amtsschimmel in zahlreichen Pilotprojekten auf Länder- und Kommunalebene bereits die virtuellen Sporen gegeben. Unter dem Schlagwort "E-Government" hält die Kommunikationsrevolution auch in Behörden und Ämter Einzug.

Augenfälligstes Ergebnis sind die Websites von Städten und Kommunen, die von ihren Betreibern gerne auch als virtuelle Rathäuser bezeichnet werden. Die meisten dieser in erster Linie auf den Bürger zugeschnittenen Online-Angebote haben diesen Namen allerdings kaum verdient. Überwiegend handelt es sich um reine Informationsseiten, für die lediglich die Inhalte von Stadt-Anzeigern und Ortsnachrichten aufbereitet wurden. Einen, wenn auch kleinen Schritt weiter gehen öffentliche Verwaltungen, die über das Web auch Formulare anbieten. Hat Otto-Normal-Surfer diese allerdings am heimischen PC ausgedruckt und ausgefüllt, bleibt ihm für die Rücksendung der Gang zum Briefkasten oder gar zum Amt selbst nicht erspart.

Damit sind die Möglichkeiten des Mediums jedoch bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Auch die Verwaltungsspezialisten der Behörden haben erkannt, dass sich die Vorteile des Internet erst richtig nutzen lassen, wenn die digitale Einbahnstraße zum Bürger auch eine Gegenfahrbahn erhält, die eine komplette Online-Abwicklung möglichst vieler Standardvorgänge erlaubt. Dabei hakt es weniger an der technischen Umsetzung als an rechtlichen Problemen. Fast jeder schriftliche Kontakt mit öffentlichen Stellen verlangt eine Bestätigung und Authentifizierung der Beteiligten durch eine handschriftliche Unterschrift.

Nun hat die Bundesregierung zwar ein Gesetz zur digitalen Signatur erlassen, dies harrt allerdings noch der Anpassung an die von der EU im Januar dieses Jahres verabschiedete Richtlinie. Die Novellierung läuft bereits und soll spätestens zum Jahreswechsel abgeschlossen werden. Zu den vordringlichsten Aufgaben zählt hierbei die Überarbeitung von Gesetzen, die eine handschriftliche Unterschrift fordern. In Deutschland sind davon rund 4000 Einzelvorschriften betroffen.

Erst wenn diese Hürde genommen ist, können die Träume vom vollwertigen Bürgerservice-Zentrum im Web Gestalt annehmen. Hier, so die Vision, stehen dem Surfer, nachdem er die Chipkarte mit seiner digitalen Signatur durch ein entsprechendes Lesegerät gezogen hat, alle Ämter offen, und das bequem sowie rund um die Uhr. Um schnell erste Erfahrungen sammeln zu können, hat das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Forschung (BMBF) im März 1998 den insgesamt mit 60 Millionen Mark ausgestatteten Städtewettbewerb Media@Komm ausgeschrieben, der mittlerweile unter Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) in die D21-Initiative der Bundesregierung eingebettet wurde. Unter den 136 Teilnehmern gingen die Städte Bremen, Esslingen und Nürnberg als Sieger hervor.

Bürger, Ämter und Industrie unter einem virtuellen DachDeren Konzepte weisen zwei wesentliche Gemeinsamkeiten auf. Zum einen haben sich alle drei für Brokat als Lieferanten der technischen Plattform entschieden, zum anderen planen sie, als verbreitetes Trägermedium für die digitale Signatur die EC-Karten von Banken und Sparkassen einzusetzen. Auch Kreditinstitute wollen die digitale Signatur künftig nutzen, die neue Kartengeneration lässt aber noch bis Mitte 2001 auf sich warten. Die Kommunen hängen sich nicht zuletzt an die Banken, da sie berechtigte Bedenken haben, die Bürger würden nicht auf den Zug aufspringen, solange die digitale Signatur nur für relativ seltene Online-Behördengänge Verwendung findet.

Doch nicht nur mit Banken entstehen Anknüpfungspunkte für sogenannte Public-Private-Partnerships. So hat beispielsweise die eigens zur Umsetzung des Projektes der Region Nürnberg gegründete Makon GmbH den Müller-Verlag mit ins Boot geholt. Schon lange vor Einführung der neuen EC-Karten schlägt der zwei Fliegen mit einer Klappe: Eine vom Verlag herausgegebene digitale Signaturkarte öffnet nicht nur den Internet-Weg in die Behörden, sondern dient darüber hinaus als Mitarbeiterausweis. Doch Makon-Geschäftsführer Ralf Erhardth hat weitergehende Pläne: Unter dem Label "Franken-Mall" will er lokale Einzelhandelsunternehmen in ein Komplettpaket einbinden, das "private und kommunale Anforderungen, Bedürfnisse und Ziele zusammenbringt". Hier bestehen zahlreiche Berührungspunkte zwischen E-Government und E-Business. Auch Rolf Praml, Staatssekretär a.D. und Fraktionsvorsitzender der SPD-Fraktion in der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung, kennt hier keine Berührungsängste. Es wäre pure Verschwendung, würde man die stark frequentierten öffentlichen Web-Portale nicht für Werbeeinnahmen nutzen: "Das bringt Geld in die Kasse und schadet bestimmt nichts."

Unternehmen sollen aber auch unter anderen Gesichtspunkten von den Internet-Aktivitäten der Behörden profitieren. Besonders Wirtschaftszweige, die häufig Anträge einreichen oder Genehmigungen, Urkunden und Zeugnisse benötigen, könnten von der Online-Behörde profitieren. Der stellvertretende IHK-Vorsitzende für München und Oberbayern, Peter Driessen, sieht hier einige vielversprechende Ansätze. Neben ersten Erfolgen mit der elektronischen Steuererklärung "Elster" lobt er das Projekt "Solumstar" im Rahmen der Bayern-Online-Initiative der Staatsregierung. Dabei handelt es sich um ein elektronisches Grundbuch, auf das Kreditinstitute, Immobilienhändler und Notare via Internet zugreifen können. Die Lösung, so der IHKler, findet so großen Anklang, dass sie von anderen Bundesländern übernommen werden soll. Außerdem ist geplant, diesen Ansatz auch für die Umsetzung des digitalen Handelsregisters "Registar" zu nutzen.

Neben der Online-Anmeldung von Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern steht die Gewerbeanmeldung ganz oben auf der Wunschliste von Driessen. Bisher wird diese Registrierung von Gemeinden und den Kreisverwaltungsreferaten der Städte in einem zehnfachen Durchschreibesatz aufgenommen und dann an verschiedene Stellen wie Finanzverwaltungen, Sozialversicherungen, Gewerbeaufsichtsämter und Industrie- und Handelskammern weitergeleitet. "Wer da den zehnten Durchschlag erhält, den beißen die Hunde", so Driessen. Die dadurch entstehenden Fehler ließen sich wegen der großen Streuung der Daten nie wieder beseitigen. Die Nachbearbeitung ist demnach nicht nur ein "elendes Verfahren", sondern auch eine "unsinnige Vergeudung von Ressourcen". Handlungsbedarf sieht er auch im Bereich des Bauwesens. Unternehmen wünschten sich sowohl eine beschleunigte Bearbeitung ihrer Anträge als auch Informationen darüber, an welcher Stelle ihre Eingabe gerade bearbeitet wird.

Sein Nürnberger IHK-Kollege Knut Harmsen beobachtet bereits erste Erfolge: Er kann interessierte Unternehmen der Region, zu der neben der Frankenmetropole die Städte Erlangen, Fürth, Schwabach und Bayreuth zählen, auf ein entsprechendes Teilprojekt im Rahmen der Media@Komm-Aktivitäten verweisen. Unter der Bezeichnung "Elektronische Bauakte" werden alle Unterlagen und Arbeitsgänge, die bei Bauanträgen eine Rolle spielen, in einem digitalen Datensatz zusammengeführt. Dazu zählen umfangreiche Bauakten und Flächennutzungspläne, die in der Summe sehr viel Speicherplatz benötigen. Da deshalb die Rechnerkapazitäten der technischen Infrastruktur drastisch erhöht werden mussten, ist die elektronische Bauakte das teuerste Teilprojekt der Nürnberger. Diese Kosten dürften sich allerdings schnell rechnen, da die bisherige Verteilung von rund 20 Kopiensätzen auf ebenso viele beteiligte Ämter und deren erneute Zusammenführung so aufwendig ist, dass hier etliche Einsparmöglichkeiten bestehen.

Hoffen auf den SchneeballeffektFür die Umsetzung derartiger Pläne reicht eine Aufrüstung der technischen Infrastruktur keinesfalls aus. Vielmehr ist eine Neustrukturierung der gesamten Verwaltungsabläufe und deren Abbildung in entsprechenden Workflow-Systemen erforderlich, wollen auch die Behörden selbst davon profitieren. Dafür ist es aber notwendig, die beteiligten Stellen vom Nutzen derartiger Umbrüche wie beispielsweise der Übernahme neuer Standards zu überzeugen. Makon-Chef Erhardth sieht dafür gute Chancen: "Klar wird es das eine oder andere Amt geben, das nicht mitzieht, aber wenn die ersten Projekte positiv abgeschlossen sind, werden die anderen sehr schnell auf den Zug aufspringen." Für die Bereiche Kfz-Zulassung und Anwohnerparkausweise würden bereits Workflow- und Dokumenten-Management-Lösungen eingesetzt, die eine vollständig papierlose Bearbeitung ermöglichen.

Derartige Systeme haben nicht nur den Vorteil, riesige Aktenberge zu vermeiden, sie ermöglichen auch die medienbruchfreie Weitergabe von Daten innerhalb und zwischen Behörden. Erst wenn online eingegangene Anträge zur Weiterbearbeitung nicht mehr ausgedruckt werden müssen, sparen Behörden Zeit und Kosten.

Viele öffentliche Verwaltungen kämpfen darüber hinaus mit juristischen Fallstricken und komplizierten Verwaltungsbestimmungen. So sieht beispielsweise Lisa Treiber-Zimmer, Internet-Beauftragte der Stadt Nürnberg, die bei der letzten Verwaltungsreform verabschiedete dezentrale Ressourcenverwaltung als Hemmschuh an. Dabei sind Entscheidungsbefugnisse in die einzelnen Ämter mitgewandert, die jetzt eine gemeinsame Verabschiedung technischer, inhaltlicher und grafischer Standards erschweren. "Da eine Einigung zu erzielen, ist etwas mühsam geworden", so Treiber-Zimmer.

Der digitale Passantrag lässt auf sich wartenAuch die gültige Rechtslage birgt einige Hemnisse. So ist es beispielsweise wünschenswert, schon vor der Umsetzung der EU-Richtlinie zur digitalen Signatur entsprechende Anwendungen zu erproben. Die Projektverantwortlichen der Media@Komm-Siegerstädte behelfen sich hier mit Experimentierklauseln der jeweiligen Landesregierungen. Durch diese Unterstützung hoffen Bund und Länder, schnell von den gemachten Erfahrungen profitieren zu können, um notwendige Gesetzesänderungen rechtzeitig auf den Weg zu bringen.

Auf allen Ebenen sind also Bemühungen erkennbar, auch den Staat und seine Verwaltungsinstanzen in das Internet-Zeitalter zu führen. Bis jedoch alle Bereiche, für die das Web ungeahnte Möglichkeiten eröffnet, von der Welle erfasst sind, dürfte noch einige Zeit vergehen. So rechnen beispielsweise optimistische Beobachter erst in drei bis fünf Jahren mit der Option, den eingangs erwähnten Reisepass auch vom heimischen PC aus bestellen zu können. Unternehmen und Bürger, die sich mit den Internet-Aktivitäten der Behörden nicht auseinandersetzen wollen oder können, brauchen sich ohnehin mit dem Thema nicht zu beschäftigen. Die Versorgungspflicht des Staates schützt auch die mehr als 80 Prozent der Deutschen, die nicht über einen Internet-Zugang verfügen, vor Überraschungen. E-Government könnte aber auch für Web-Muffel zu positiven Effekten wie kürzeren Bearbeitungszeiten führen, wenn die Behörden dadurch zur Straffung ihrer Verwaltungabläufe gezwungen werden.