Online-Business/Heutigen E-Cash-Konzepten fehlt die rechtliche Basis Elektronischer Handel im World Wide Web aus juristischer Sicht

24.02.1995

Von Michael Schneider*

Der allerorts verbreiteten Internet- und World-Wide-Web-Euphorie zum Trotz: Es ist zumindest aus Sicht der Juristen nicht alles Gold, was glaenzt. So fehlt es den momentan angedachten Konzepten fuer elektronischen Zahlungsverkehr am juristischen Unterbau. Dies ist allerdings nur ein Aspekt in Sachen Electronic Commerce, der unter rechtlichen Gesichtspunkten zu betrachten ist.

Das World Wide Web, kurz WWW, war urspruenglich als intelligente Anwendung zur Praesentation verteilter Informationen im Internet gedacht. Inzwischen hat das System ein erstaunliches Eigenleben zu entwickeln begonnen. Es ersetzt nicht nur klassische Formen des Informationsaustauschs, sondern geraet zunehmend zur Plattform fuer den Handel mit Waren und Dienstleistungen. Die Einrichtung einer breiten Palette elektronischer Marktplaetze und sogar eines speziell auf die Beduerfnisse des Netzes abgestimmten Zahlungssystems scheint nun unmittelbar bevorzustehen.

Ob der Anwender von morgen jedoch tatsaechlich im virtuellen Online-Store einkaufen und dabei mit "Netcash" oder "Cyberdollars" bezahlen kann, ist mehr als nur eine technische Frage. Die ganze wunderbare Welt, die die Protagonisten des Internet und des WWW heute zeichnen, wird erst dann Realitaet, wenn auch die damit zusammenhaengenden rechtlichen Fragen geklaert sind. Einige der bereits erkennbaren Probleme werden nachfolgend dargestellt.

Vertragsabschluesse im World Wide Web

Ziel des konventionellen wie des elektronischen Handels ist der Abschluss von Vertraegen und der anschliessende Austausch von Leistungen. Anders als im realen Kaufhaus stehen sich im Netz aber nicht mehr Menschen gegenueber, die ein Geschaeft unmittelbar miteinander aushandeln koennten. Wenn eine Ware oder Dienstleistung aufgrund einer Offerte im WWW bestellt wird, ist es daher fraglich, wann ein fuer beide Seiten bindender Vertrag zustande kommt.

Hier ist darauf abzustellen, ob der Anbieter die Leistung sofort erbringt. Ist dies - wie beim Abruf von Dateien oder bei automatisierten Auskunftsdiensten - der Fall, wird mit der Inanspruchnahme der Leistung ein Vertrag geschlossen. Im uebrigen muss man davon ausgehen, dass sich der Anbieter durch die Praesentation innerhalb einer WWW-Seite noch nicht rechtlich binden will. Andernfalls waere er naemlich mit jeder Bestellung eines Kunden verpflichtet, das angebotene Produkt zu liefern, und zwar selbst dann, wenn der Warenbestand oder das Recht zur Vervielfaeltigung immaterieller Gegenstaende bereits erschoepft ist. Der Vertrag kommt in diesen Faellen also erst dann zustande, wenn der Anbieter die Bestellung bestaetigt oder die vom Kunden angeforderte Leistung erbringt.

Die Einbeziehung allgemeiner Geschaeftsbedingungen ist bei Vertragsabschluessen im WWW an sich unproblematisch. Dabei darf man allerdings nicht so leichtfertig verfahren, wie es manche Anbieter heute noch tun. Sie verzichten darauf, ihre Allgemeinen Geschaeftsbedingungen (AGB) vorab zu praesentieren und schicken sie dem Kunden statt dessen nachtraeglich - vorzugsweise mit der Rechnung - zu. Nach Paragraph 2 des AGB-Gesetzes werden die von einer Vertragspartei vorformulierten Klauseln aber nur dann Vertragsbestandteil, wenn der Verwender schon bei Vertragsabschluss ausdruecklich darauf hinweist. Verfaehrt man also wie beschrieben, gelten die AGB nicht als wirksam vereinbart.

Anders verhaelt es sich, wenn man den bei WWW naheliegendsten Weg waehlt und bereits mit der Werbung fuer ein Produkt einen Hyperlink auf die AGB verknuepft. Ein Anbieter (URL= http://www.euroconnect.de/Turner/turner.html) demonstriert dies zur Zeit beispielhaft. Der eigentliche Bestellvorgang sollte dann so organisiert werden, dass der Kunde die Seite, die die AGB enthaelt, erst abgerufen haben muss, bevor sein Auftrag ausgefuehrt wird.

Je alltaeglicher der Abschluss von Vertraegen im WWW wird, desto interessanter ist auch die Frage, ob hier sogenannte Teilzahlungskaeufe zulaessig sind. In diesem Zusammenhang kommen die strengen Vorschriften des Verbraucherkreditgesetzes (VerbrKrG) zur Anwendung. Das Gesetz sieht vor, dass Teilzahlungskaeufe oberhalb einer Bagatellgrenze von 400 Mark der Schriftform beduerfen. Die Erklaerung der vertragsschliessenden Parteien muss dabei nicht nur schriftlich abgefasst, sondern vom Verbraucher auch eigenhaendig unterzeichnet werden; das heute uebliche Ausfuellen einer Bestellseite im WWW oder das Absenden einer E-Mail genuegt dazu nicht.

Den einzigen Ausweg aus dem Dilemma weist das "Versandhandelsprivileg" des Paragraphen 8 VerbrKrG. Die Vorschrift verzichtet auf die Schriftform, wenn dem geschlossenen Vertrag ein Verkaufsprospekt zugrunde lag, in dem alle massgeblichen Angaben aufgefuehrt sind. Tatsaechlich weisen viele WWW-Seiten auch typische Eigenschaften eines Prospekts oder Katalogs auf - allerdings mit einer aus der Sicht des Verbrauchers wichtigen Ausnahme: Waehrend der konventionelle Katalog eine dauerhafte Bestellgrundlage darstellt, sind WWW-Seiten fluechtiger Natur und koennen vom Anbieter jederzeit geaendert werden.

Fuer den Kunden eines unredlichen Teilzahlungsverkaeufers ist es daher nicht ganz einfach, spaeter noch nachzuvollziehen, unter welchen Bedingungen der Vertrag geschlossen worden ist. Indessen stellt das VerbrKrG ausdruecklich nicht auf das Kriterium der Schriftlichkeit ab. Es verlangt lediglich, dass dem Besteller die Moeglichkeit eingeraeumt werden muss, den Prospekt in Abwesenheit der anderen Vertragspartei eingehend zu studieren.

Teilzahlungsgeschaefte sind damit im WWW - anders als bei fast allen anderen Formen des modernen Teleshoppings - moeglich. Damit koennte sich WWW bald zur idealen Schnittstelle zwischen Versandhandel und Privatkunden entwickeln.

Mit dem eigentlichen Durchbruch des elektronischen Handels im WWW ist aber erst dann zu rechnen, wenn der Kunde Waren und Dienstleistungen nicht mehr nur im Netz bestellen, sondern sie sogleich "online" bezahlen kann. Die dafuer notwendigen Werkzeuge werden bereits entwickelt und in ersten Feldversuchen erprobt. Soweit erkennbar, fehlt es den bisher vorgelegten Konzepten allerdings am notwendigen juristischen Unterbau. Daher muss man einstweilen noch davon abraten, sich an Systemen zu beteiligen, die ernsthafte, das heisst ueber "Cyberdollars" hinausgehende Zahlungsverpflichtungen begruenden.

Der elektronische Handel ist nicht nur vorteilhaft, er birgt fuer den Verbraucher auch viele Gefahren. Die Angebote im WWW sind allgegenwaertig, oft verlokkend gestaltet und ein Mausklick kann genuegen, um eine folgenreiche Verpflichtung einzugehen. Unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes waere es daher wuenschenswert, den WWW-Teilnehmer wie im Bereich der sogenannten Haustuergeschaefte von Gesetzes wegen vor unueberlegtem oder uebereiltem Handeln zu schuetzen.

In Paragraph 1 des Haustuerwiderrufsgesetzes (HWiG) ist vorgesehen, dass ein Vertragsschluss unter bestimmten Umstaenden rueckgaengig gemacht werden kann. Die Vorschrift kommt allerdings nur in bestimmten Konstellationen zur Anwendung. Sie erfasst zu Verkaufszwecken durchgefuehrte Freizeitveranstaltungen und darueber hinaus diejenigen Faelle, in denen der Kunde von einem Vertreter zu Hause beziehungsweise am Arbeitsplatz aufgesucht oder ueberraschend in der Oeffentlichkeit angesprochen wird. Der Handel im WWW gehoert jedoch zu keiner dieser Fallgruppen, so dass sich das HWiG hierfuer leider nicht anwenden laesst.

Ein weiteres Problem fuer den Verbraucher liegt darin, dass er die elektronischen Marktplaetze im WWW ohne weiteres quasi in Deutschland betreten und nach Abschluss umfangreicher Geschaefte am anderen Ende der Welt wieder verlassen kann. Schwierige und fuer den Privatkunden unerfreuliche vertragsrechtliche Streitigkeiten sind damit vorprogrammiert.

Da eine WWW-Seite auf jedem beliebigen Rechner im Internet hinterlegt sein kann, werden die Gerichte kuenftig in vielen Faellen pruefen muessen, ob ein Streit ueberhaupt deutschem Recht unterliegt. Ist dies nicht der Fall, wird Rechtsschutz zu einem fuer den Privatkunden kaum noch kalkulierbaren Risiko. Schlimmer noch: Manche Anbieter koennten in Versuchung geraten, gezielt die "Flucht in fremdes Recht" anzutreten, indem sie ihre WWW-Server in weniger verbraucherfreundliche Staaten verlegen - etwa wenn sie im WWW nach deutschem Recht unzulaessige Inhalte wie Kinderpornos oder Schriften mit extremistischem Inhalt plazieren wollen.

Angesichts solcher Perspektiven ist es zum Wohle aller Beteiligten dringend erforderlich, alsbald politische und juristische Massnahmen zu ergreifen, die vor Missbrauch schuetzen. Leider ist diese Herausforderung von den massgeblichen Entscheidungstraegern in Politik und Gesellschaft noch nicht erkannt worden.

Eine Herausforderung ganz besonderer Art stellt WWW fuer Unternehmen dar, die ueber einen Internet-Zugang verfuegen, aber nicht beabsichtigen, das Medium als Vertriebskanal fuer ihre Waren und Dienstleistungen einzusetzen. Deren Mitarbeiter koennen leicht selbst die Initiative ergreifen und Seiten im Netz verfuegbar machen. Es ist naheliegend, dass solche Aktivitaeten nicht immer hinreichend ueberdacht sind und Aussagen oder moeglicherweise Angebote beinhalten, die die Unternehmensfuehrung nicht tolerieren kann.

So ergibt sich eine kuriose Situation: Einerseits ist es in vielen Betrieben bis ins Detail geregelt, wer Produkte beschaffen oder vertreiben, das Unternehmen nach aussen vertreten oder in dessen Namen oeffentliche Erklaerungen abgeben darf. Andererseits praegt so mancher Mitarbeiter das oeffentliche Bild seines Betriebs mit, ohne sich der Tragweite seines Tuns bewusst zu sein. Das ist nicht nur unerfreulich, sondern kann - insbesondere im Wettbewerbsrecht - auch dazu fuehren, dass ein Unternehmen fuer die von seinen Mitarbeitern im WWW verbreiteten Inhalte einstehen muss (vgl. zu dieser Problematik: CW Nr. 25 vom 24. Juni 1994, S. 34 ff).

Die Konsequenz kann nur sein, WWW und Anwendungen mit vergleichbarer Aussenwirkung aus ihrem heutigen Graubereich herauszuholen und ihren Einsatz von den zustaendigen Stellen im Unternehmen - gegebenenfalls unter Einbeziehung externer Fachleute - pruefen zu lassen.

* Rechtsanwalt Michael Schneider, Bonn, ist Bereichsleiter Mehrwertdienste bei der CNI Communications Network International GmbH in Eschborn.