Nur eine maßgeschneiderte OIS-Strategie verspricht Erfolg (Teil 2)

OIS: Technologiegläubigkeit führt in die Irre

13.01.1984

Strategien zum Einsatz moderner "Office-Informations-Systeme" (OIS) sind häufig nicht das Papier wert, auf dem sie niedergeschrieben sind: Nur

wenige dieser Schriftstücke kann man als Plan bezeichnen, kaum eines

verdient es, als "strategisch" tituliert zu werden. Nicht zu bestreiten ist indes, daß es einen echten Bedarf für betriebsindividuell "maßgeschneiderte" OIS-Strategien gibt: Allerdings müssen diese Pläne nicht nur konvergent zur Unternehmensstrategie und in diese integriert sein, sie müssen darüber hinaus mit den DV- und Telekommunikations-Zielen übereinstimmen und vor allem praktikabel sein.

Ein strategischer OIS-Plan muß nicht bis ins kleinste ausgearbeitet sein. Nach meiner Erfahrung genügen drei Hauptkomponenten:

- eine Umfeldanalyse,

- eine Erklärung über die einzuschlagende Richtung im Sinne einer Direktive,

- eine begrenzte Anzahl grundlegender Teilstrategien in einigen als besonders wichtig eingestuften Bereichen.

Individuelle OA-Direktive als Zielvorgabe

Das Herzstück des Ganzen ist dabei die "Direktive". Hier wird definiert, was man individuell unter dem allgemeinen Begriff Office Automation" verstehen will.

Diese Komponente der Gesamtstrategie beschreibt die wichtigsten Applikationen, die bedeutendsten Technologien - vor allem aber die betriebsindividuell besonders relevanten Bereiche. Hier werden zu erreichende Ziele und durchzuführende Maßnahmen festgelegt, wird der Nutzen skizziert, den man mit dem neuen Büro lnformationssystem zu realisieren glaubt.

Dieses "Statement of Direction" muß Analyse und Rechtfertigung zugleich für den Ansatz sein, das "automatisierte Büro" eben nicht als angestrebtes Ziel, sondern als ein Mittel zur Steigerung der "Unternehmensleistung" und damit zur Erreichung der Unternehmensziele anzusehen. Letzten Endes ist dieses Dokument die Quintessenz der unternehmensindividuellen OIS Strategie und der Ziele, die man damit zu erreichen hofft.

OIS-Strategie-Ziele

Beantwortet werden in diesem Kapitel zum Beispiel Fragen wie:

- Legt man besonderen Wert auf eine Automatisierung der Verwaltungstätigkeit, auf Entscheidungsunterstützung für das Management oder doch mehr auf integrierte Arbeitsabläufe?

- Will man aggressiv oder eher zurückhaltend an neue Technologien herangehen, als Innovator auftreten oder lieber erst die Erfahrungen anderer abwarten?

- Soll der angestrebte Nutzen über eine Vernetzung von PCs, über Timesharing, eigenständige Minis, Standalone-Textverarbeitungsgeräte oder wodurch sonst erzielt werden?

- Wie sieht die Zeitplanung für die wichtigsten Aktivitäten aus?

- Wer ist wofür verantwortlich?

- Welche Rolle spielt das OIS-Team und welche Verantwortlichkeit wird ihm im Vergleich zu den Usern eingeräumt?

Obwohl all diese Punkte im Detail erläutert werden müssen: Eine Zusammenfassung des unternehmensindividuellen "OIS-Approachs" umfaßt nicht mehr als ein Kapitel. Dieser Abschnitt ist das Herz, alles andere ist Erläuterung.

Büro-Aktivitäten finden nicht in einem Vakuum statt. Aufgabe der Umfeldanalyse als erstem Abschnitt des strategischen Plans ist es, die Grundlagen für das Herzstück des Plans zu schaffen. Die Umfeldanalyse setzt sich aus vier Komponenten zusammen:

- Analyse des Unternehmens,

- Bewertung der gegenwärtigen OIS-Aktivitäten,

- Überprüfung relevanter Technologien sowie

- Beschreibung der Faktoren, die mögliche Planungsalternativen einschränken.

Umfeldanalyse liefert die Grundlagen

Die Unternehmensanalyse umfaßt drei Schwerpunkte:

1. Die Planungsumgebung (Bewertung externer Faktoren), zum Beispiel das allgemeine wirtschaftliche Klima, demografische Trends, Zielsetzungen und "Marschrichtungen" der Branche sowie der wichtigsten Konkurrenten, zu erwartende gesetzliche Auflagen/Erleichterungen etc.;

2. Die (interne) Unternehmensbewertung zum Beispiel Entwicklungsmöglichkeiten; Stärken, Schwächen, Personalstruktur, installierte Systeme etc.;

3. Überprüfung der Unternehmensstrategie im Hinblick auf künftige Märkte, Produkte, Spezialisierungen etc.

Die Unternehmensanalyse: Ein reiner Management-Report

Die Unternehmensanalyse enthält hingegen keinerlei Hinweise auf Büro-Informationssysteme. Sie wird als reiner "Management-Report" formuliert, um die betriebsindividuell kritischen Faktoren herauszufiltern - Ziele, die das Unternehmen unbedingt erreichen muß, um weiterhin erfolgreich zu sein.

Diese obersten Unternehmensziele werden dann umformuliert in konkrete Teilziele, die man mit einem OIS-Programm realisieren kann wie etwa Kostensenkungen im Verwaltungsbereich, verbesserter Kundendienst, kürzere Produkt-Testzeiten oder auch niedrigere Personalkosten.

Der zweite Teil der Umfeldanalyse enthält eine Beurteilung der augenblicklichen Bürotätigkeiten. Dieser Abschnitt liefert die Grundlagen für die vorzuschlagenden "Automations-Aktivitäten" - nicht als bloße Beschreibung, sondern als Wirksamkeits- und Wirtschaftlichkeitsdiagnose bezogen auf die im ersten Abschnitt definierten strategischen Unternehmensziele. Beispiel: Die momentanen Kosten des Schreibdienstes sind nur dann von Interesse, wenn sie zuvor als "bedeutend" beurteilt wurden.

Uninterpretierte Statistiken sind geistlos

Quantitative Zahlen (wie Arbeitszeitüberwachungen, Informations" Audits" etc.) können hier durchaus einfließen - aber eben nur im Kontext mit kritischen Erfolgsfaktoren: Uninterpretierte Statistiken sind geistlos und irreführend. Ergebnis dieses zweiten Teils der Umfeldanalyse muß eine Situationsbeurteilung der Büro-Aktivitäten sein - und der aus ihr resultierenden Konsequenzen.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, daß der strategische OIS-Plan nicht "technologiegläubig" sein darf. Er muß vielmehr die absehbaren technologischen Entwicklungen berücksichtigen, die vor allem unternehmenskritische Aufgaben besonders beeinflussen werden. Eine technologiegläubigige, unkritische Prüfung technologischer Entwicklungen ist wertlos.

Vervollständigt wird die Umfeldanalyse durch eine Beschreibung der Faktoren, die das Spektrum möglicher Lösungsalternativen einschränken: historisch begründete Bindungen, seit jeher gültige Unternehmensgrundsätze, Kapitalverfügbarkeit, internationale Einflüsse oder auch die Fähigkeit des Unternehmens,- technologischen Wandel nachzuvollziehen.

All dies sind Punkte, die ohne Zweifel das Erreichen der gewünschten Ziele beeinträchtigen können. Diese "Realitäten" zu negieren, hieße Pläne aufzustellen, die zwar "toll", aber eben nicht praktikabel sind.

Umsetzung des OIS-Approachs in Detailstrategien

Das dritte und letzte Kapitel einer OIS-Strategie definiert die Schlußfolgerungen aus der allgemeinen "Unternehmens-Direktive" für bestimmte Schlüsselbereiche: Die Umsetzung des gewählten OIS-Approachs in die betriebliche Praxis.

Folgende Bereiche sollten hier speziell beleuchtet werden:

1. Technologie: Festlegung des Equipment-Typs, Auswahl bewährter Hersteller beziehungsweise Händler und Produkte sowie notwendige Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten.

2. Organisation: Aufgaben und Befugnisse des OIS-Teams, Personalqualifikationen, Berichtsverantwortlichkeiten.

3. Finanzen: Investitionspolitik, Budget- und Anschaffungsrichtlinien, Rechtfertigung der anfallenden Kosten.

4. Personal: Aus- und Weiterbildungsstrategien, Arbeitsbeschreibungen, Karrierefahrpläne.

5. Implementierung: Anwendungs-Portfolio, Projektprioritäten und Projektauswahl, Einführungsstrategien.

6. Information: Zugriff auf die Unternehmens-Datenbank, DB-Anforderungen/DB-Standards vor Ort, Datenschutz und Datensicherheit, Datenintegrität.

Auch bei der Formulierung dieser Detailstrategien sind die einschränkenden Bedingungen sowie die Umgebungsfaktoren zu berücksichtigen.

OIS-Plan muß aus einem Guß sein

Wichtig: Der Plan muß "aus einem Guß" sein. Jedes einzelne Teilstück sollte zwangsläufig aus dem vorhergehenden resultieren - sozusagen als unausweichliche Konsequenz: Die Unternehmensanalyse muß die auserwählte OIS-Strategie praktisch "aufzwingen", die einzelnen Teilstrategien müssen sich wie selbstverständlich aus der Gesamtstrategie unter Berücksichtigung der "Einschränkungsfaktoren" ableiten. Das gesamte Dokument sollte mit zwingender Logik nach dem Schema aufgebaut sein: Was wollen wir erreichen und welche Wege bieten sich

uns an, diese Ziele zu erreichen.

Wenn man das Ziel, die OIS-Strategie, klar vor Augen hat, dann ist der Weg dorthin - die Planung - nicht mehr "mysteriös". Mehr noch: Die Planungsstruktur sollte die Strategiestruktur widerspiegeln. Die Umfeldanalyse begründet die Formulierung der "Direktive", diese wiederum führt zu individuellen Teilstrategien in den verschiedensten Bereichen.

Jede Phase des Projektes "OIS-Strategie" erfordert einen individuellen Ansatz: Die Umfeldanalyse setzt eine kritische und analytische Sichtweise voraus sowie die Fähigkeit, sich Informationen aus den verschiedensten Quellen zu beschaffen. Manchmal ist auch ein wenig "Fingerspitzengefühl" gefragt: Existiert beispielsweise kein ausformulierter strategischer Unternehmensplan, ist das OIS-Team praktisch gezwungen seine Vorstellungen darüber zum Ausdruck zu bringen.

Kritikfähigkeit und Fingerspitzengefühl gefragt

Die "Direktive" zu formulieren, ist die schwierigste Aufgabe. Sie verlangt Kreativität und Kritikvermögen, die Fähigkeit zu entscheiden was (überlebens-)wichtig ist und dies mit dem "Machbaren" in Einklang zu bringen.

Die Teilstrategien zu entwicklen ist demgegenüber eine Aufgabe, die man als "konventionell" bezeichnen kann - wenngleich auch sie ihre Tücken hat.

Sicherlich könnte hier noch mehr zur OIS-Strategie und zum Planungsprozeß ausgeführt werden: die Bedeutung der Benutzerbeteiligung, die Zusammenstellung des OIS-Teams, zweckmäßige Planungshorizonte, die Rolle des Topmanagements. Der Schlüssel zur strategischen Planung von Büro-Informationssystemen und zur "Entschleierung" des sie umgebenden Mysteriösen' ist indes simpel: Das Schwergewicht auf die Unternehmensziele legen und Büroinformationssysteme so zu nutzen versuchen, daß sie diese Zielerreichung bestmöglich unterstützen.

* Dr. Michael Hammer, Associate Professor am MIT, Cambridge, Mass., gilt in den Vereinigten Staaten als einer der profiliertesten Experten auf dem Gebiet der strategischen Planung technologiegestützter (Büro-) Informationssysteme.

Dr. Hammer wird am 25. Januar 1984 auf dem Symposium "PC und Groß-DV" im Europäischen Patentamt in München einen Drei-Stunden-Vortrag über US Strategien bei der Mikro-Mainframe-Integration halten.

Auskünfte: CW-CSE, Friedrichstr. 31 8000 München 40

Tel.: 089/3 81 72-166 - 169, Telex: 5 215 350.