Der Weg zum erfolgreichen virtuellen Team ist noch weit

Ohne Spielregeln läuft nichts

08.10.2002
Virtuelle Teams sind weltweit auf dem Vormarsch. Ihr Erfolg steht und fällt mit flexiblen, teamfähigen und speziell qualifizierten Leuten. Denn gerade in der vernetzten Welt gibt es jede Menge mentale und kulturelle Hürden. Von Ina Hönicke

Virtuell arbeiten - so lautet seit Jahren die neue Zauberformel auf dem Arbeitsmarkt. Das Konzept hört sich einfach an: Virtuelle Projektgruppen werden für bestimmte Vorhaben zusammengestellt und nach Beendigung wieder aufgelöst. Für den Erfolg dieser Zusammenarbeit, so ist in mancher Broschüre zu lesen, ist der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie mit entscheidend. Es geht dabei um synchrone Medien wie Videokonferenzen, Telefonie, aber auch um das persönliche Zusammentreffen auf der einen und asynchrone wie E-Mail, Workflow oder verteilte Datenbanken auf der anderen Seite. Internet, Intranet und Groupware liefern die Voraussetzung.

Eine Reihe von Unternehmen hat virtuelle Projektarbeit mittlerweile auch schon probiert. Gründe dafür gibt es viele - auch wenn nicht alle erfolgversprechend scheinen. Thorsten Lenk, Vorstandsmitglied beim Darmstädter IT-Unternehmen 5 Point: "Oft ist der einzige Grund, virtuelle Teams einzusetzen, die Hoffnung auf Kosteneinsparung. Andere Firmen starten solche Projekte, weil es modern ist. Dann glauben viele noch, dass diese Arbeitsform ganz einfach über die Bühne geht, weil die Mitarbeiter rein "intuitiv" gut zusammenarbeiten." Erschwerend komme hinzu, dass etliche Manager virtuelle Projekte erst einmal an einem niedrig priorisierten Thema üben wollen. Lenk: "Das sind genügend Gründe, warum so viele Projekte den Bach hinuntergehen."

Eine Frage der Führung

Bei den Beteiligten selbst würde nach der ersten Euphorie rasch der Katzenjammer folgen. Der Grund: Die Mitarbeiter hätten begeistert, aber unkoordiniert ihre Attachments hin- und hergeschickt, von den anderen Teilnehmern aber keine oder eine falsche Antwort erhalten. Spätestens nach drei Wochen würde keiner mehr den virtuellen Raum aufsuchen.

"Diese Art von Arbeiten muss wie früher das Telefonieren geübt werden, und dafür ist nun einmal die Führung zuständig", erklärt Lenk. Ohne die Unterstützung eines kompetenten Projektleiters, der im Unternehmen über eine vertrauenswürdige Position verfüge, sei jedes Projekt gefährdet. Dessen Aufgabe ist es, so Lenk, darauf zu achten, dass Termine nicht übersehen, kritische Anmerkungen nicht einfach weggeklickt und falsche Informationen überprüft werden.

Trotz aller Probleme ist er überzeugt, dass virtuelle Teams durchaus eine Option für die Arbeitsorganisation in den Unternehmen darstellen. Dies ist auch das Resümee einer Studie, die sein Unternehmen mit der Universität Hildesheim, von Oktober 2001 bis Mai 2002 mit Hilfe des Software-Tools Teamspace bei vier virtuellen Teams mit insgesamt 21 Mitarbeitern erhob. Dabei kam heraus, dass Face-to-Face-Treffen zwischen den Projekt-Mitarbeitern wichtig sind. Lenk empfiehlt, ein Kick-off-Treffen zu veranstalten, bei dem sich die Teilnehmer persönlich kennen lernen. Die Teammitglieder sollten aktiv in die Planung mit eingebunden werden. Nur so sei es möglich, ihre Bedürfnisse zum Beispiel in Bezug auf die zeitliche Planung einzubeziehen.

Der IT-Experte: "Virtuelle Teams benötigen vor allem zu Beginn Zeit, um sich mit dem Tool und den Teammitgliedern vertraut zu machen." Um der Gruppe eine Struktur zu geben, müssten entsprechende Regeln aufgestellt und von den Mitgliedern eingehalten werden. Bei der Auswahl der Projektmitglieder sei darauf zu achten, dass sie im Team wie in Einzelarbeit Aufgaben erledigen können. Vor allem Medien- und Kommunikationskompetenz seien wichtig. Dazu Lenk: "Je weniger kommuniziert wird, umso geringer ist die Verbindlichkeit dem Team gegenüber und umso geringer ist demzufolge auch der Arbeitseinsatz." Dass das Fehlen nonverbaler Kommunikationsanteile zu Verständigungsproblemen führen kann, darin waren sich alle Studienteilnehmer einig. Der Darmstädter Experte: "Hier kann ein Kommunikationsplan große Hilfe leisten, in dem genau festgehalten ist, wer welche Information von wem innerhalb welchen Zeitrahmens erhält oder wer Zugriff auf welches Dokument hat."

Kulturelle Hürden beachten

Aufgrund seiner Erfahrungen weiß Lenk, dass noch größere Probleme in der internationalen Zusammenarbeit auftreten können. Die Annahme, dass es in einer vernetzten Welt keine kulturellen Hürden gebe, ist seiner Meinung nach eine Illusion. Als Beispiel nennt er die Kommunikation zwischen einem Deutschen und einem Asiaten: "Während der deutsche Kollege seine Angaben kurz und bündig weitergibt, schmückt der Asiate seine Botschaften mit höflichen Zitaten, was nicht selten zur Verwirrung beiträgt." Oder der asiatische Kollege stimme einem Angebot nur deshalb zu, weil er die Gegenseite nicht brüskieren will. Diese Probleme werden nach Meinung von Lenk grundsätzlich unterschätzt. Deshalb sei in der "grenzüberschreitenden" virtuellen Zusammenarbeit Führung noch wichtiger als bei nationalen Projekten.

Spielregeln einhalten

Stefanie Ahrens, Managing Consultant bei Cap Gemini Ernst & Young, kann Lenk nur zustimmen. Sie erlebt dieses Verständnisproblem zwischen unterschiedlichen Nationen gerade hautnah in einem Projekt zwischen französischen und deutschen IT-Profis: "Die virtuellen Teammitglieder arbeiten nicht gut zusammen, weil sie ein völlig unterschiedliches Verständnis von Führung und Projekt-Management haben." Wenn die deutschen Kollegen um ein fünfseitiges Konzept bitten, würden die französischen Kollegen den Job erst erledigen, wenn ihr eigener Vorgesetzter dies anordnet.

Virtuelle Projektarbeit gehört bei Ahrens zum beruflichen Alltag. Zum einen arbeitet sie mit den eigenen Kollegen virtuell zusammen, zum anderen berät sie Kunden in Sachen Change-Management. Die Beraterin selbst lebt ein typisches elektronisches Nomadenleben. An zwei Tagen pro Woche arbeitet sie derzeit im Hamburger Office, die restlichen drei Tage bei einem Kunden in Köln.

Dass den virtuellen Teams trotz aller noch auftretenden Probleme die Zukunft gehören wird, davon ist Ahrens überzeugt. Der Grund: Die zumeist schwerfälligen Organisationsstrukturen in den Unternehmen würden für schwierige und schnelle Anforderungen keinesfalls ausreichen. Als Beispiel nennt sie die Einführung einer neuen Vertriebsstrategie: "Um ein solches Projekt umsetzen zu können, müssen sich Mitarbeiter aus unterschiedlichen Abteilungen, womöglich sogar aus verschiedenen Ländern, zusammensetzen." Nach der Bewilligung der Ressourcen, dem wichtigen Face-to-Face-Treffen und den Terminabsprachen taucht, so die Beraterin, die erste große Schwierigkeit auf: "Die Aufträge sind nicht eindeutig geklärt, und damit fehlt den Teammitgliedern das gemeinsame Verständnis für das Ziel."

Um aus diesem Dilemma herauszukommen, müssten eindeutige Spielregeln vereinbart werden. Wichtig sei zudem, dass sich jedes Teammitglied fragt, was seine eigene Zielsetzung und was sein Anteil am Projekt ist, wie seine Erwartungen aussehen und was es persönlich für sich erreichen will. Ahrens: "Für die Akzeptanz ist entscheidend, dass diese persönlichen Definitionen später gemeinsam im Team besprochen werden." Damit die Spielregeln eingehalten und virtuelle Projekte nicht aus dem Ruder laufen, sollten die Unternehmen ihrer Meinung nach für besonders wichtige Vorhaben einen internen Prozessbegleiter einsetzen.

Ob Mentalitäts-, Organisations- oder Kommunikationsprobleme - gelöst werden müssen sie von den Projektleitern oder Führungskräften. Aufgrund der Erfahrungen, welche die Cyber-Expertin in bereits erfolgreich agierenden Unternehmen gemacht hat, rät sie, nicht nur die in Frage kommenden Vorgesetzten, sondern auch die Mitarbeiter für die virtuelle Arbeitswelt zu schulen. Unternehmen, bei denen virtuelle Projekte seit längerem gang und gäbe sind, verfügen über ein Open-Ressourcing-Programm, in denen Führungskräfte und Mitarbeiter gefördert werden, die für virtuelle Teams in Frage kommen. Vorgabe für die Beteiligten sei es, alle vier Jahre ihren Platz im Unternehmen zu wechseln und nur jeweils ein Jahr in einem Projekt mitzuarbeiten. Ahrens weiter: "Diese Experten sind relativ flexibel und fit, wenn es darum geht, in andere Projekte oder auch andere Länder zu wechseln - kurzum, sie sind die perfekten virtuellen Mitarbeiter.

Wider die Besserwisserei

Professor Michael Müßig von der FH Würzburg-Schweinfurt begrüßt zwar so viel Flexibilität, hält aber eine andere Eigenschaft für entscheidend: "Letztlich werden nur Mannschaftsspieler mit Beziehungen das Spiel machen. Voraussetzung dafür ist allerdings die Abkehr von der "Wissen-ist-Macht-Philosophie". Nach seiner Erfahrung sind das Zurückhalten von Informationen oder hierarchische Besserwisserei für den Erfolg des Teams und des Projekts tödlich. Leider sei diese falsche Denkweise bei den Führungsriegen und Einsteigern sehr beliebt. Hier müssten die Projektleiter Hilfestellung geben. Der Würzburger Hochschuldozent: "Die speziellen Motivations- und Teambildungsmaßnahmen müssen nicht nur gelernt, sondern auch getestet und ständig verbessert werden." Aus den bereits seit längerem funktionierenden interdisziplinären müssten multidisziplinäre Teams werden. Müßig räumt ein, dass es für die Projekt-Manager keine leichte Aufgabe ist, nicht anwesende Teammitglieder auf den gemeinsamen Erfolg einzuschwören. Deshalb werden seiner Meinung nach diejenigen Projektleiter, denen es gelingt, die im Netz vorhandenen Perlen problemorientiert lose zu koppeln, die eigentlichen Topmanager der virtuellen Unternehmenszukunft sein. "Bis dahin aber", fürchtet Müßig, "ist es noch ein weiter Weg."