Erfahrungen und Lernprozesse bei der Einführung eines CAD-Systems:

Ohne richtiges Training kein effektiver CAD-Einsatz

07.07.1989

*Dipl.-Wirtschaftsing. Eduard Büsing ist freier DV-Journalist in Karlsruhe.

Jedem Konstrukteur seinen CAD-Arbeitsplatz: Das ist auch 1989 noch Utopie. Und doch: Durch die rasche Entwicklung der CAD-Technologie forciert durch den Preisverfall der Hardware, sind CAD-Systeme zu effizient einsetzbaren Werkzeugen für den Konstrukteur, den Designer oder den Entwickler geworden.

Entsprechend der ständig wachsenden Bedeutung der CAD-Systeme für die Unternehmen muß ihre Einführung und ihr Einsatz zwar systematisch geplant werden, in der Realisierungsphase ist es aber unerläßlich auf die im Moment auftretenden und nicht vorhersehbaren Probleme und neuen Fakten zu reagieren. Dem EDV-Training des künftigen Mitarbeiters am CAD-System kommt dabei eine Schlüsselfunktion für den Erfolg zu.

Denn es ist sicher nicht a priori davon auszugehen, daß jeder Konstrukteur willens und in der Lage ist, die neue Technik zu akzeptieren und sie beherrschen zu lernen. Aber nach dem Motto: "Dem Manne kann geholfen werden, vor allem wenn es unserem Geldbeutel gut tut", versuchen die CAD-Anbieter ihre Lösungen mehr und mehr zu vervollkommnen und auf die typischen vom Konstrukteur zu verrichtenden Aufgaben beim Entwicklungsprozeß abzustimmen.

Der Konstruktionsprozeß gliedert sich in die drei Phasen:

-- Konzipierung (Analyse der Anforderungen, Erarbeitung von Lösungsvarianten, Bewertung der Lösungen),

-- Gestaltung (Konkretisierung der Lösung, maßstäblicher Entwurf, Aufstellung von Modellen, Bewertung der Lösungen),

-- Detaillierung (Darstellung der Einzelteile, Bewertung der Lösungen - siehe VDI-Richtlinien).

Der überwiegende Teil der Konstruktionsunterstützung von Seiten des Rechners entfiel bisher auf die Detaillierungsphase, also im wesentlichen auf das Anfertigen der Zeichnung. Die Phasen "Konzipieren" und Gestalten wurden nur unzureichend oder überhaupt nicht unterstützt: Also liegt hier notwendigerweise ein Entwicklungsschwerpunkt moderner CAD-Systeme.

Ein weiterer Entwicklungstrend im CAD ist die Anpassungsfähigkeit der Systeme für spezielle Anwendungen vor Ort. Vom Hersteller "am grünen Tisch" entwickelte Pakete erwiesen sich oft als umständlich oder gar unbrauchbar. Das ist auch verständlich, betrachtet man die enorme Zunahme der Anwendungsfelder und -bereiche des CAD. Hinter allen Forderungen besteht weiter und verstärkt der Ruf nach benutzerfreundlichen Systemen, was beim CAD heißt, daß die grafisch-interaktive Kommunikation zwischen Konstrukteur und System weiter vereinfacht und "vermenschlicht" wird.

Vor ungefähr fünf Jahren begann die CAD-Entwicklungsabteilung von Siemens in Oostkamp in Belgien ein Pflichtenheft zu erstellen. Inhalt: Die Merkmale des CAD-Systems der Zukunft. Dabei war, so Andre Hoedemakers, Leiter dieser Entwicklungsgruppe, die Geschwindigkeit des Systems einer der wichtigsten Punkte. Die ersten zwei Jahre waren für die Siemens-Truppe eher ein Studienprojekt, denn sie untersuchte die auf dem Markt erfolgreichen Systeme, was diese konnten und was nicht. Heute, fünf Jahre später, liegt das fertige Produkt "Sigraph-Design" vor und wird in Oostkamp in der Betriebsmittelfertigung eingesetzt.

Sigraph-Design ist ein universell einsetzbares, offenes und interaktives 2 1/2 D-CAD-System, das bisher bei Siemens intern unter dem Namen Topcad bekannt war. Die Kommunikation Benutzer - Maschine, die bei der Entwicklung des Systems ebenfalls besonders beachtet wurde, geschieht hauptsächlich über die Maus und über Piktogramme (Ikonen). Der Bildschirm unterteilt sich in einen Zeichnungsbereich, einen Menübereich mit vier Spalten, einen Statusbereich und den Textbereich. Die Spalten beinhalten hierarchisch strukturierte dynamische Menüs.

In der ersten Spalte befinden sich die Elemente, mit denen Konstruktionszeichnung erstellt werden kann: Punkte, Linien, Kreise, Ellipsen und so weiter. Wählt der Benutzer zum Beispiel die Ikone "Linie" aus, dann erscheinen automatisch in der zweite Spalte alle möglichen Definitionsarten für "Linie": Linie an einem Kreis, Linie zwischen zwei Punkten, horizontale Linie etc. Nach Auswahl einer Definitionsart erscheinen dann wiederum die dazugehörigen Parameter-Ikonen in der dritten Spalte.

Interaktive Varianten- und Anpassungskonstruktion

Ein wesentliches Merkmal des Sigraph-Design-Konzeptes ist die Speicherung und Verwaltung der Beziehungen (Relationen) zwischen den einzelnen Konstruktionselementen. Das heißt, daß neben der internen Standardrepräsentation der geometrischen Elemente (zum Beispiel Kreis durch Mittelpunktskoordination und Radius) auch eine Relationenstruktur aufgebaut wird (zum Beispiel Kreis tangential an zwei Strecken und Radius). Damit ist die gesamte Entwicklungsgeschichte des Konstruktionsprozesses in Form von Relationen in der Datenstruktur gespeichert. Die Änderung eines Konstruktionselementes bewirkt, daß alle nachfolgend abhängigen Elemente automatisch neu berechnet und dargestellt werden. Wird zum Beispiel die Krümmung eines Rohres verändert, dann paßt das System automatisch den Flansch an.

Daß die auf den Relationen basierende Konstruktionsidee bei Sigraph-Design im System und nicht nur im Kopf des Konstrukteurs gespeichert ist, hat den Vorteil, daß auch bei Personalwechsel diese Informationen im Unternehmen vorhanden bleiben. Auf der Basis dieses Konzeptes ist eine interaktive Varianten- als auch Anpassungskonstruktion möglich, ohne daß der Benutzer Prozeduren schreiben oder bestimmte Eingabesequenzen wiederholen muß.

Mit den Konstruktionsrelationen läßt sich auch auf einfache Art das rißweise Konstruieren verwirklichen. Bei einer Änderung in der Hauptansicht werden die korrespondierenden Fakten in den verschiedenen Ansichtszeichnungen ebenfalls vom System angepaßt.

Jeder hat seine eigenen Symbole

Bei Mehrfachbenutzung von Teilkonstruktionen können diese auch als parametrisierbare Symbole in einer Symbolbibliothek abgelegt werden. Hinsichtlich der Variantentechnik verhalten sie sich wie ein normales Konstruktionselement. Beispiel: Beim Symbol "Schraube" ist der Durchmesser des Bohrloches Inputparameter. Beim Einlesen der Schraube in die Zeichnung wird sie dann automatisch dem Bohrloch angepaßt. Die einzelnen Symbole sind auch als Elemente eines Symboles zugelassen.

Sigraph-Design ist als schnelles Entwurfssystem eine Komponente in der 2/3D-CAD-Systemfamilie von Siemens und wird beim Kunden im Rahmen des Systemkonzeptes Computer Assistierte Industrie (CAI) vermarktet. Lauffähig ist es auf der Unix-Workstation WS 30.

Einführungsstrategien für 2D-Systeme

Die Einführung von CAD-Systemen bringt neben dem Wirtschaftsfaktor auch den nicht meßbaren Vorteil des nach außen verbesserten Firmenimages ins Spiel. Generell sind die betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz von CAD-Systemen heute günstig*. Grundvoraussetzung bleibt allerdings, daß das System auch die Bedürfnisse des Anwenders erfüllen kann, was bisher nicht immer der Fall gewesen zu sein scheint. Deshalb auch der Trend zu maßgeschneiderten Applikationen.

Die Möglichkeit der spezifischen Applikationsentwicklung vor Ort wurde auch beim Sigraph-Design-Konzept verwirklicht. Mit dem Programmgenerator PIA entwickelt der Anwender bis zu zehnmal schneller sowohl neue Anwendungen, als auch Erweiterungen zu bereits existierenden. Von Siemens selbst wurde auf diese Weise eine Variante des Pakets zur Entwicklung optischer Schaltungen erstellt, die jetzt vermarktet wird.

Die Möglichkeit der spezifischen Applikation ist auch einer der ausschlaggebenden Vorzüge für den Pilotanwender, die Betriebsmittelfertigung im Werk in Oostkamp, wo ungefähr 1500 Mitarbeiter alle Arten von Steckverbindern herstellen.

Der ursprüngliche Gedanke einer CAD-Einführung auf der Basis von 3 D-Systemen wurde dort nach kurzer Zeit fallengelassen zugunsten der wesentlich einfacheren und in die damit für die CAD-unerfahrenen Konstrukteure leichter einzusteigenden 2D-Technik. Als Einführungstechnik ins CAD haben sich die 2D-Systeme in Oostkamp bewährt. Das Einführungskonzept, wie es sich bis heute aus der Erfahrung heraus entwickelt hat, baut auf drei Elementen auf. Erstens wird in Zusammenarbeit mit dem Konstrukteur das System eng an dessen Bedürfnisse angepaßt (mit PIA), was durch das Entwicklungsteam im eigenen Haus zusätzlich begünstigt wird.

Das zweite Prinzip ist, daß der zeichentechnische Ablauf (sprich Anzahl und Reihenfolge der Zeichnungen) und die Arbeitsabläufe vorerst unverändert bleiben, nur das Zeichenbrett wird vom elektronischen Bildschirm ersetzt. Dieses Vorgehen trage nach Aussage des Fertigungsmanagements entscheidend mit zur Akzeptanz der neuen Technik bei.

Schrittweise Umstellung der Konstruktions-Abteilung

Das dritte Prinzip betrifft die Schulung und Betreuung des Konstrukteurs und das Entwickeln einer spezifischen Anwendungsphilosophie. Das Prinzip ist die schrittweise Umstellung der Konstruktionsabteilung auf CAD und die dabei enge Zusammenarbeit und Hilfe zwischen den Arbeitskollegen dort.

Im ersten Schritt arbeitet sich ein CAD-erfahrener Konstrukteur auf dem System ein. In der zweiten Phase kommen bereits drei weitere Konstrukteure dazu, die an der einwöchigen Intensivschulung teilnehmen. In der Praxis haben diese dann die Möglichkeit, bei Problemen ihrem CAD-erfahreneren Kollegen über die Schulter zu schauen. So entwickelt sich die Gruppe sukzessive weiter und mittlerweile sind im Zeitraum von etwa drei Jahren zehn CAD-Maschinen im Einsatz, untergebracht im selben Raum wie die übriggebliebenen Zeichenbretter. Die Unterbringung im selben Raum trägt nach Auskunft der Siemens-Manager ebenfalls in großem Maße mit zur Akzeptanz der CAD-Technologie bei.

Mittlerweile wird weiter vom Management über die Einführung eines 3D-Systems nachgedacht. 3D-Konstruktion werde kommen, aber "nur für spezielle Aufgaben und nur schrittweise als Ergänzung zu den 2D-Systemen".

Zum Schluß noch einmal Prof. H. Grabowski * von der Universität Karlsruhe: "Es wäre eine verfehlte Unternehmenspolitik, mit dem Beginn der Nutzung dieser neuen Technologien zu warten, da neben den technischen Lösungen die Erfahrung im Umgang mit dieser Technologie einen gleich großen Stellenwert besitzt. Diese kann man jedoch nicht durch ein Literaturstudium erwerben. "

Literatur:

*Grabowski, H.: Die Bedeutung und Einbindung von CAD/CAM in CIM, Fachtagung vom 24./25. 2.88 in Saarbrücken: "Einsatz in der mittelständischen Wirtschaft"