Das UNESCO-Programm für die Entwicklung der Kommunikation wurde diskutiert:

Ohne Chips verliert die Dritte Welt ihr Spiel

08.04.1982

BONN (CW) - Wie die Informations- und Kommunikations-lnfrastruktur der Entwicklungsländer zu verbessern sei, ist der Inhalt des "lnternationalen Programms für die Entwicklung der Kommunikation" (IPDC). Dieses Programm wurde Mitte '81 von der UNESCO in Belgrad verabschiedet. Dort waren Vertreter aus immerhin 35 Ländern zusammengekommen, um die entsprechenden Bedürfnisse und Prioritäten ihrer ihder zu artikulieren. Kürzlich nun haben in Bonn drei Institutionen die Ergebnisse der UNESCO-Aktivitäten zur Diskussion gestellt: die Evangelische Akademie Aroldsheim, das Gustav-Stresemann-Institut für politische Wissenschaft der Universität Marburg und Die World Association for Christian Communication.

Das internationale Programm für Entwicklung der Kommunikation (IPDC) ist ein Versuch, die Ungerechtigkeit im und die Abhängigkeit vom Telekommunikations- und Informationssektor zu verringern. In Konfrontation stehen auf der einen Seite die UNESCO, eine Gruppe von 77 Ländern, sowie die sozialistischen Länder und auf der anderen Seite die entwickelten, kapitalistischen Länder, speziell die Vereinigten Staaten, die Länder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Japan.

"Ziel der Entwicklungsländer ist es, den von diesen westlichen Ländern gehaltenen Status quo mit ihrem multinationalen System der Kontrolle zu zerbrechen, "Das waren die Worte von Enri Gonzalez Manet aus Kuba, der damit unter anderem die Diskussion um "neue Technologien und die neue internationale Informationsordnung" von seiten der Entwicklungsländer in Gang brachte. Unter Anwesenheit von Sean MacBride, dem Herausgeber des Buches: "Viele Stimmen - eine Welt" Situationsbericht an die UNESCO, informierte Jörg Becker über die neuen Informationstechnologien und die internationale Politik in den 80er Jahren. Er verstand sich überwiegend als Warner vor der unmodifizierten Übernahme von Informations- und Kommunikationstechnologien durch die Entwicklungsländer und wies im wesentlichen auf negative Aspekte und Akzeptanzprobleme hin.

Er wollte mit seinem Referat auch die anwesenden Repräsentanten der Entwicklungsländer dazu anregen ihre nationale Politik und ihr Streben nach dem Einsatz moderner Hilfsmittel im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie kritischer zu überdenken. Das gelang ihm jedoch nur teilweise, denn die prompte Antwort lautete: "Wir brauchen keine Warner, sondern konkrete Hilfen und Hinweise wie wir die bereits vorhandenen Systeme sinnvoller und zum Nutzen unserer Wirtschaft und unserer Bevölkerung nutzen können."

Warnung unerwünscht

Einen der Höhepunkte der Veranstaltung brachte Juan Rada, der als Experte der ILO unter anderem im Bericht an den Club of Rome deutlich gemacht hatte, daß die Mikroelektronik zwar auch ihre Nachteile habe sie jedoch durchaus zum Nutzen für die Entwicklungsländer gereichen kann. Er vertrat die Meinung, daß mit den Mikrochips das Schicksal der dritten Welt auf dem Spiel steht. In welche Richtung die Entwicklung schließlich führen werde, das hänge weitgehend von Maßnahmen auf innerstaatlicher und internationaler Ebene und von einer gemeinsamen Beurteilung der Lage zwischen Regierungen, Herstellern, Gewerkschaften und Benutzern ab. "Die gegenwärtigen Umwälzungen machen gezielte Bemühungen erforderlich, um die genauen Auswirkungen einer Technologie zu bestimmen, die zu recht als "bedeutendste Technologie des 20. Jahrhunderts bezeichnet wurde", sagte er in seiner Rede.

Helga Schuchardt, Bundestagsabgeordnete und Präsidentin des Kuratoriums der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung, Bonn, betonte in ihrem Vortrag "Informationstechnologien und Nord-Süd-Konflikt", daß die Diskussion zu diesem Thema in der Bundesrepublik gleich Null sei. Andererseits wies sie darauf hin, daß ohne Anwendung der Medien und der modernen Informationstechnologien die Herausforderungen unserer Zeit nicht zu bewältigen und die Zukunft nicht gestaltbar sei. Sie sagte weiter "Entwicklungstrends, die in, Global 2000" oder in den Berichten der Weltbank, der UNO und an den Club of Rome aufgezeigt sind, können nicht ernsthaft bezweifelt werden. Eine zukunftsorientierte Politik wird diese Trends berücksichtigen müssen. Aber wie wollen wir in der relativ kurzen Zeit, die uns noch zur Verfügung steht, Entwicklungstrends wie Bevölkerungsexplosionen und die Zerstörung unserer natürlichen Ressourcen und der Umwelt umkehren, wenn nicht durch den optimalen Einsatz der Medien." (Hier sind selbstverständlich neben der Datenverarbeitung sämtliche anderen Medien der Informationsverarbeitung gemeint; Anmerkung des Verfassers.

Ohne Aufklärung kein Umdenkprozeß. Insofern gehört ein entwikkeltes Kommunikations- und Informationswesen zu den "Basic needs". Neben den Chancen wies Helga Schuchardt jedoch auch auf die Risiken der Medien hin, mit denen man die Systeme der Unterdrückung stabilisieren, also zur unerwünschten Machterhaltung beitragen könne:

"Medien haben noch immer den Demagogen gedient. Aber Medien sind auch bei der Kontrolle der Macht unverzichtbar", sagte sie. Die Diskussionen während der Veranstaltung zeigten unter anderem folgende Aspekte für die internationale Informationsordnung auf:

- Horizontale Kooperation ist für Entwicklungsländer notwendig.

- Diversifizierung der Anbieter bei Hard- und Software ist dringend erforderlich.

- Eine Bestandsaufnahme, welche Politik in Entwicklungsländern vorhanden ist, sollte vorgenommen werden.

- Eine Bestandsaufnahme über den Einsatz der Mikroelektronik in Entwicklungsländern unter besonderer Berücksichtigung der Vorteile für Klein- und Mittelbetriebe ist vorzunehmen.

- Neue Einsatzmöglichkeiten der Mikroelektronik in dem ländlichen Bereich und in der Biochemie sind zu prüfen.

- Lehrpläne für Informationswissenschaften sind für Entwicklungsländer aufzustellen.

- Die Ausbildung von Trainern, es wurde dabei ausdrücklich auf die Aufgaben der Carl-Duisberg-Gesellschaft verwiesen, ist für Entwicklungsländer voranzutreiben.

- Die sozio-kulturellen Auswirkungen der Informationstechnologien sind zu überprüfen.

- Datenschutzprobleme werden auf die Entwicklungsländer zukommen; sie sind besonders zu beachten.

- Die soziale Kontrolle über bereits implementierte Technologien ist von großer Bedeutung und muß beobachtet werden.

Die durchweg positive Resonanz auf die Beiträge der Referenten und Diskussionspartner dieser Veranstaltung zeigt, daß die Organisatoren ein Thema aufgegriffen haben, das viele verantwortliche Politiker und Wissenschaftler in der Zukunft mehr und mehr beschäftigen muß. Fragen des internationalen Datentransfers und ihre Bedeutung, aber auch ihrer negativen Auswirkungen für Entwicklungsländer können also nicht mehr folgenlos von den verantwortlichen Politikern übersehen werden. Medien können eine große Hilfe sein, wenn sie richtig eingesetzt werden, sie bilden jedoch eine Gefahr, wenn sie in falsche Hände geraten.

Hier muß eine gezielte Schulung und Ausbildung in den betroffenen Ländern gefordert werden, damit die Informationsmedien der gesamten Bevölkerung und nicht ausschließlich den Interessen einzelner Wirtschaftsgruppen oder politischer Gruppen dienen.