St. Petersburg als Alternative zu Bangalore

Offshore-Services: Russland bietet sich an

03.10.2003
Anders als ihre indischen Wettbewerber sind russische Offshore-Anbieter wie Luxoft, Reksoft, Auriga, Telma oder Digital Design auf dem deutschen Markt kaum präsent. Glaubt man indes russischen Branchenvertretern und unabhängigen Marktforschern, dürfte sich dies in absehbarer Zeit ändern. Von Matthias Weber*

Im Prinzip waren sich auf dem 3. Software-Outsourcing-Gipfel des russischen Branchenverbandes Russoft in St. Petersburg alle Teilnehmer einig: Die russische Softwareindustrie ist auf dem besten Wege, den Rückstand zur Konkurrenz auf dem indischen Subkontinent in puncto Unternehmensgröße, Vertretung der eigenen Interessen und vor allem auch internationaler Wahrnehmung wettzumachen. Der vorherrschende Druck zur Verringerung der Software-Entwicklungskosten wird auch Russland die Etablierung auf dem Offshore-Markt erleichtern. Und: Global tätige Auftraggeber haben ein großes Interesse, durch entsprechende Diversifizierung ihre geopolitischen Risiken zu verringern. "Russlands Softwareexport wird in diesem Jahr ein Volumen von rund 425 Millionen Dollar erreichen und gegenüber dem Vorjahr um etwa 30 bis 40 Prozent zulegen", untermauerte Russoft-Präsident Valentin Makarov diese Thesen mit konkreten Zahlen. Damit reicht man natürlich noch lange nicht an die Marktdominanz indischer Softwareanbieter heran, die laut jüngsten Erhebungen der indischen National Association of Software and Services Companies (Nascom) heuer auf ein Umsatzvolumen von 9,5 Milliarden Dollar kommen dürften - aber immerhin.

Lange mangelte es an Transparenz auf dem russischen Markt, was naturgemäß Investoren, Kunden und Geschäftspartner abschreckte. Mittlerweile schaffen jedoch einschlägige Studien wie die Russoft-Untersuchung "Software Development in Russia - A Buyer''s Guide to the Russian Software Development and Services Export Industry" Abhilfe. Russoft-Frontmann Makarov warb zudem in St. Petersburg vehement für den eigenen Standort: "Russland verfügt über gute Wachstumsperspektiven seiner IuK-Industrie, vor allem dank des einzigartigen intellektuellen Potenzials." Allein in seiner Organisation seien momentan rund 3000 Softwareunternehmen registriert, davon etwa 1000 Exporteure.

Insbesondere der Export von Softwareservices entwickle sich dynamisch, "wenn auch die Statistik wegen der übermäßig verkomplizierten Valuta- und Zoll-Regulierung viele Lücken aufweist", so Makarov. Ein Teil des Marktes sei daher nach wie vor "der Schattenwirtschaft zuzurechnen". Zur Einschätzung des realen Marktvolumens hat der Verband deshalb divergierende Zahlen von Market-Visio und Ernst & Young durch eigenen Einschätzungen korrigiert (siehe Grafik "Russischer Softwareexport"). Dabei ist der Produktanteil am Softwareexport noch gering. Erst wenige Firmen wie der OCR-Spezialist Abbyy oder der Antivirus-Anbieter Kaspersky Lab sind hier erfolgreich und außerhalb Russlands bekannt. Allerdings hegen weitere Firmen entsprechende Expansionspläne - beispielsweise Speech Tech Center aus St. Petersburg, das mit einer eigenen Tochter in Saarbrücken den deutschen Markt angehen will.

Nach wie vor haben allerdings am Exportvolumen der russischen Softwareindustrie die Niederlassungen respektive Entwicklungszentren ausländischer Firmen einen Anteil von fast 25 Prozent. Ein Umstand, der laut Alexander Egorov, CEO der Softwareschmiede Reksoft, belegt, "dass sich Weltfirmen wie Intel, Sun Microsystems, Motorola, Nortel Networks oder auch Boeing einen Teufel um das vermeintlich schlechte Hightech-Image Russlands scheren". Weltweit im Einsatz befindliche Intel- und Sun-Software sei zu großen Teilen in Russland entstanden, so seine These.

Als Kronzeugen für den Aufschwung der russischen Offshore-Anbieter bot Russoft in St. Petersburg auch führende Marktforscher auf. Ian Marriott von Gartner prognostizierte etwa einen sinkenden Anteil indischer Anbieter am Outsourcing-Markt. Die Augen würden sich in den kommenden Jahren mehr und mehr auf Russland und China richten. Auch Vladimir Kroa von IDC sah die russischen Anbieter gut im Rennen. Sein Fazit: "Die Preise sind hier noch wettbewerbsfähig, sogar im Vergleich zu Indien und China."

Die Chancen, die sich in der Zusammenarbeit mit Russlands Softwareindustrie bieten, wollen auch vermehrt deutsche Firmen nutzen. So hielt beispielsweise Herbert Lechner, beim Münchner Siemens-Konzern zuständiger Direktor für den Bereich Procurement Software Development, auf der Konferenz Ausschau nach potenziellen Geschäftspartnern. "Siemens erwirtschaftet in Russland mit rund 1500 Mitarbeitern einen Umsatz von gut 800 Millionen Euro - Tendenz steigend. Das ist für den gesamten Konzern ein wichtiger Markt. Allein St. Petersburg verfügt über 4000 Softwareentwickler und zählt damit zu den wichtigen Standorten der globalen Softwareentwicklung", betont Lechner. Aus Meetings hat der Siemens-Manager überwiegend positive Eindrücke mitgenommen. Ihm sei ein hohes Maß an unternehmerischer Professionalität mit einer beeindruckenden "Value Proposition" einzelner Firmen begegnet. Russlands Vorzug sieht Lechner in den "ausgezeichneten Softwareingenieuren, die für schwierige Problemlösungen einsetzbar sind". Zugleich pocht er auf die hohen Erwartungen seines Unternehmens als Auftraggeber: "Entwicklung im Hightech-Bereich ist Vertrauenssache. Die Basis hierfür muss durch erhöhte Prozessreife in den Firmen und durch konsequente Umsetzung der Kundenanforderungen an den Schutz ihres "Intellectual Property" erarbeitet werden."

Ähnlich beschreibt Annegret Fiebig von der Pro-Sieben Information Service GmbH ihre Erfahrungen. Die Zusammenarbeit mit einem Minsker Unternehmen war anfänglich durch "extremen Ressourcenmangel" motiviert, wenig später hatte sich die finanzielle Situation in der Medienindustrie und damit auch ihrer Company so dramatisch verändert, dass die Kooperation vorrangig "finanzielle und strategische Bedeutung" erhielt und nun massiv ausgebaut werden soll. Die IT-Managerin verweist auch auf indirekte Effekte für ihre Firma: "Die Integration des Partners in die Softwareentwicklung dient gleichzeitig als Indikator für Prozess-Schwächen im eigenen Unternehmen." Als notwendige Voraussetzungen für das Outsourcing benennt sie allerdings "einen definierten Entwicklungsprozess im deutschen Unternehmen, gutes Projekt-Management, enge Führung, Controlling und ausgereiftes Qualitäts-Management."

Beziehungen noch ausbaufähig

Trotz aller Lobeshymnen und objektiv guter Standortfaktoren sind Russlands Offshore-Anbieter mit ihren Erfolgen im für sie strategisch wichtigen Zielmarkt Deutschland derzeit aber noch alles andere als zufrieden. "Vorerst kooperieren nur wenige deutsche Unternehmen mit russischen Partnern", konstatiert Egorov. Deutsche Auftraggeber sollten ihr Geschäftsmodell überdenken. "Bisher werden die russischen IT-Ressourcen vorrangig als Arbeitskräfte für einfache Codierung angesehen." Er wirbt dafür, "Russland als geradezu idealen Markt für Forschung und Entwicklung, gemeinsame Produktentwicklung und Consulting" zu sehen. Um richtig ins Geschäft zu kommen, könnten deutsche Firmen mit russischen Partnern den Vertrieb ihrer Produkte in Russland beginnen, um dann auf dieser Basis Kompetenzzentren zu entwickeln, die die russischen Ressourcen als "Brand Ambassadors" auf Drittmärkten einsetzen.

Weitere Informationen zu russischen Offshore-Partnern bietet neben dem Bitkom (www.bitkom.org) der russische IT-Verband Russoft (www.russoft.org) oder die Initiative Fort-Ross (www.fort-ross.ru), siehe auch Beitrag auf Seite 42. (gh)

*Matthias Weber ist Bereichsleiter ITK-Services und Knowledge-Management beim Bitkom in Berlin.

Die Qualität ist gestiegen

Den Markterfordernissen folgend, "haben russische Unternehmen in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte bei der Einführung und Zertifizierung von QM-Systemen erzielt", konstatiert Andrey Fedorov. Sein Unternehmen Digital Design ließ sich kürzlich als eines der ersten Unternehmen in Europa nach dem Standard CMM Integrated zertifizieren und errang den Russian National Quality Award. "Wir arbeiten erfolgreich für einen der größten deutschen Systemintegratoren und wissen, wie wichtig QM ist", ergänzt der Digital-Design-Chef, und verweist auch auf Erfolge im QM-Bereich bei Telma, einer Softwareschmiede, die im Mobilfunksektor tätig ist. 1991 gegründet, ist Telma die erste russische nach CMM Level 5 zertifizierte Firma. Bereits seit 1992 entwickelt das Unternehmen für Motorola.

Abb: Der Dollar rollt

David gegen Goliath: Mit 425 Millionen Dollar Exportumsatz kann sich die russische Softwareindustrie bei weitem noch nicht mit der Indiens (9,5 Milliarden Dollar) messen, das Wachstum ist aber beachtlich. Quelle: Russoft