Outsourcing/Billiglohn-Image ist verblasst

Offshore kündigt einen Strukturwandel an

03.10.2003
In wirtschaftlich schwierigen Zeiten erleben Kostensparmodelle einen Aufschwung - das gestiegene Interesse an Offshore-Diensten kommt demnach nicht überraschend. Doch die Auslagerung von IT-Diensten in Niedriglohnländer, die zudem noch mit guter Qualität und hohem Ausbildungsniveau locken, ist kein vorübergehender Trend, sondern Vorbote eines tief greifenden Strukturwandels im IT-Servicemarkt.Von Peter Dück*

Offshore ist nichts Neues in der IT-Industrie. Seit Jahren lassen Technologieanbieter und größere Anwenderunternehmer Software in Billiglohnländern entwickeln und erzielen damit zum Teil erhebliche Kosteneinsparungen. Und der Kreis ist nicht mehr auf die Großen beschränkt: Auch in Deutschland beschäftigen sich IS-Leiter mittlerer Unternehmen mit dem Modell und haben oft schon, mehr oder weniger erfolgreich, ihre ersten Gehversuche gemacht. Das Billiglohnimage ist längst verschwunden, seit man weiß, dass indische Softwareentwickler auf höchstem Qualitätsniveau arbeiten und die meisten ihrer Kollegen in den westlichen Industrienationen weit übertreffen. Die Beschränkung auf Softwareentwicklung ist gefallen, andere Services bis hin zur Abwicklung ganzer Geschäftsprozesse werden angeboten. Offshoring hat sich auf andere Regionen, wie etwa Osteuropa, ausgeweitet und dem Modell den Hauch des Exotischen genommen.

Kritik aus den USA

Es war zu erwarten, dass die allgemeinen Wirtschaftsprobleme und der damit erneut gestiegene Kostendruck auf IT-Organisationen dem Offshore-Modell vermehrten Zulauf bringen würden. Doch der Boom und der hohe Aufmerksamkeitswert des Themas - selbst Tageszeitungen berichten inzwischen darüber regelmäßig - lassen sich damit alleine nicht begründen. Was wir gegenwärtig erleben, ist nicht nur der Erfolg eines Kostensparmodells, es ist die Globalisierung der IT-Dienstleistungen und damit einer der vielen Reifeprozesse, die diese Branche gegenwärtig durchlebt. Sie folgt damit anderen Industriezweigen, wie etwa der Textilindustrie oder dem Maschinenbau.

Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, das soziale Gefüge und die Struktur der Branche werden ähnlich dramatisch sein. Gartner geht für die Vereinigten Staaten davon aus, dass allein bis Ende 2004 in der IT-Industrie und bei IT-Dienstleistern etwa zehn Prozent und bei Anwenderunternehmen etwa fünf Prozent der Stellen einer Verlagerung ins Ausland zum Opfer fallen werden, für Großbritannien werden ähnliche Zahlen erwartet. Im restlichen Europa dürften arbeitsrechtliche Regelungen, mittelständische Unternehmensstrukturen und die insgesamt geringere Bereitschaft zum Outsourcing weniger gravierende Auswirkungen zulassen.

Deutliche Stimmen gegen Offshore werden bereits laut, und es mehren sich die massiven Widerstände. Vier Staaten in den Vereinigten Staaten versuchen per Gesetzgebung, das Abwandern von IT-Arbeit zu verhindern. Erste Streiks werden gemeldet, es gibt Beispiele, wo Unternehmen von ihren Kunden gezwungen wurden, die Auslagerung ihrer telefonischen Kundenbetreuung "zu überdenken". Solche Widerstände, aber auch schlecht aufgesetzte und durchgeführte Offshore-Projekte werden zu Rückschlägen führen, aber aufhalten werden sie den Trend nicht. Es gibt bei bereits erfahrenen Kunden und Anbietern solide Vorstellungen, wie Projekte erfolgreich durchgeführt werden können und wie dazu differenzierte Modelle mit Ressourcen vor Ort, in nahen Projektzentren und in den "Offshore-Fabriken" eingesetzt werden können.

Aufstrebende Regionen wie Osteuropa, Mittel- und Südamerika, aber auch nordafrikanische Länder und Südafrika beleben nicht nur die Vielfalt von Offshore- und Nearshore-Ansätzen, sondern erlauben den Anwendern auch, das Risiko besser zu streuen. Die EU-Erweiterung wird hier in Kürze interessante Varianten zulassen. Clevere indische Offshore-Anbieter arbeiten schon an der Ausweitung der Wertschöpfungskette in das noch billigere China, einem Land mit einem auch in dieser Hinsicht riesigen Potenzial. Die Verlagerung kompletter Infrastruktur- und Applikationsservices, aber auch von Geschäftsprozessen nicht nur im Bereich Call Center und Customer Care ist längst kein Tabu mehr.

Bei dieser neuen Bewegung, die sich gewissermaßen als die zweiten Offshore-Welle darstellt, handelt es sich aber nicht nur um ein Abwandern von Arbeit in Billiglohnländer. Die Anbieter folgen konsequent der Überlegung, IT-Arbeit dorthin zu verlagern, wo sie bei einem Vollkostenansatz am günstigsten erledigt werden kann. Dabei müssen auch unterschiedliche Kommunikations- und Kulturhürden, Ausbildungs- und Arbeitsmarktvorteile sowie steuerliche Betrachtungen und manchmal noch vorhandene technische Limitierungen hineingerechnet werden. Das führt oft zu dem interessanten Ergebnis, dass die Arbeit nicht zwangsläufig nach Fernost vergeben werden muss. So gelten beispielsweise Rom unter gewissen Rahmenbedingungen als "Sweet Spot" für Softwareentwicklung und die Schweiz als Eldorado für Helpdesks.

Qualität entscheidet über Erfolg

Ganz wesentlich für die neue Welle ist auch die umgekehrte Stoßrichtung: der Aufstieg von traditionellen Offshore-Anbietern zu sehr professionellen und erfolgreichen Full-Service-Firmen, die ungestüm auf unseren Markt drängen. Die indischen IT-Dienstleister Wipro und Infosys sind prominente Beispiele. Neben den Kostenvorteilen aus ihren Stammländern bringen solche Firmen die Motivation eines Newcomers, eine ausgeprägte Dienstleistungsmentalität und vor allem die Erfahrung mit, komplexe Offshore-Umgebungen zu handhaben. Damit liefern sie den etablierten Anbietern aus unseren Breiten einen interessanten Wettbewerb. Zwar nutzen diese selbst schon seit längerer Zeit die Kostenvorteile ihrer Lieferzentren in Indien, Südostasien und Osteuropa. Doch werden sie gezwungen, Kosteneinsparungen auch über niedrigere Preise konsequent an ihre Kunden weiterzugeben.

Dieser Wettbewerb wird am Ende nicht über den Preis entschieden werden können, sondern über Qualität, Leistung und Kundenbindung. Während etablierte Anbieter ein effizientes Management für globales Sourcing aufbauen müssen, ringen die Offshore-Anbieter um Marktzakzeptanz und müssen sich dazu erst einmal im wahrsten Sinne des Wortes "einen Namen machen" (local branding) und eine qualitativ hochwertige lokale Präsenz aufbauen. Beide Lager tragen damit nicht nur zur "Vernichtung" von Arbeitsplätzen in unserer Region bei, sondern schaffen auch in gewissem Umfang neue, hochwertige Arbeitsplätze.

Lohnniveau sinkt auch hier

Offshore wird seine Spuren im Arbeitsmarkt hinterlassen, mit allen Negativfolgen wie etwa Entlassungen und sinkendes Lohnniveau für bislang hochbezahlte Arbeit. Wenn aber der Wettbewerb unterschiedlicher Anbieter dazu führt, dass sie Leistungen auf hohem Qualitätsniveau zu einem erheblich günstigeren Preis anbieten können, verhilft das der IT-Dienstleistungsbranche zu einer neuen Attraktivität: IT behält nicht den Ruf eines lästigen Kostenfaktors, sondern wird für Unternehmen wieder erschwinglich und zu einem Gestaltungsmittel für den Aufschwung, wenn die wirtschaftlichen Schwierigkeiten wieder nachlassen. Die IT-Dienstleister dürften dann zu soliden Wachstumszahlen zurückfinden und gestärkt aus diesem Reifeprozess hervorgehen.

Das wiederum sollte helfen, die negativen Auswirkungen im Arbeitsmarkt durch neue Chancen für die Betroffenen mittelfristig zu mildern und langfristig zu kompensieren.

Offshore ist ein Reifezeugnis

Gut beherrschtes globales Sourcing mit deutlichen Kosten und Qualitätsvorteilen für die Kunden wird damit zu einer neuen professionellen Disziplin, die nur wenige Unternehmen selbst aufbauen können und wollen. Outsourcing an einen Profi gewinnt damit eine neue Dimension. Make-or-Buy-Entscheidungen werden eindeutig zugunsten der Anbieter verschoben, und Kosteneinsparungen gegenüber der Eigenleistung werden plötzlich viel realer als bisher. Insofern läutet die zweite Offshore-Welle einen Reifeprozess der IT-Dienstleister ein, dessen Ergebnis mit Spannung erwartet werden darf.

Der Weg dahin ist für Anwender wie für Anbieter ein steiniger. Solange der wirtschaftliche Aufschwung nicht deutlich einsetzt, wird Offshoring nur einseitig als Mittel zur Kosteneinsparung gesehen. Übereilte und mangelhaft durchdachte Ankündigungen von Offshore-Verlagerungen, wie sie heute schon der Presse zu entnehmen sind, führen zu Demotivation und Leistungsabfall, bevor überhaupt der erste Schritt in die Richtung gemacht wurde. Unsolide vorbereitete Entscheidungen können böse Überraschungen bringen bis hin zur Überreaktion und damit zum Verlust unersetzbaren Know-hows, das dann wieder benötigt wird, wenn der Aufschwung tatsächlich einsetzt.

Die eigenen Fähigkeiten der Unternehmen, Outsourcing ordentlich zu handhaben, wird erfahrungsgemäß deutlich überschätzt. Genaue Kenntnisse der Stolperfallen und der bewährten Ansätze und daraus sorgfältig unter Abwägung aller Aspekte abgeleitete Entscheidungsgrundlagen sind unerlässlich für nachhaltigen Erfolg. Der verantwortungsvolle Umgang mit Mitarbeitern bleibt nicht nur eine ethische Forderung, sondern wird ein Muss in diesem schwierigen Metier: Kurzfristige Kosteneinsparungen sind keine Alternative zu längerfristigen Irritationen und Widerständen.

Und was ist mit den etablierten Anbietern, wie sollen sie reagieren? Sie sollten sich auf den Wettbewerb einlassen und nicht versuchen, ihn arrogant zu ignorieren oder durch die (noch) gesicherte Marktposition zu blockieren. Die Herausforderung des globalen Sourcing als Chance zur Reife zu verstehen wird die Gewinner auszeichnen. (jha)

*Peter Dück ist Vice-President bei Gartner.

Angeklickt

Die Verlagerung von IT-Dienstleistungen in Niedriglohnländer ist ein Zeichen für die Reife des Marktes. Den Prozess, die Arbeit dorthin zu verlagern, wo sie unter dem Vollkostenansatz am günstigsten erbracht wird, haben die Textilindustrie und der Maschinenbau bereits durchlebt. Der aktuelle Offshore-Trend in der IT-Branche bringt die etablierten Dienstleister in Zugzwang, ihre Kosten zu reduzieren, und wird Spuren im Arbeitsmarkt hinterlassen. Zwischenzeitliche Kritik und schwierig verlaufende Auslagerungsprojekte werden diesen Trend nicht aufhalten können.

Abb: Die Angebote der Offshore-Länder

Indien ist das bekannteste Offshore-Land. Es gibt aber weitere Regionen, die mit ihrem Spezial-Know-how und günstigen Preisen interessante Alternativen darstellen. Quelle: Gartner