Problem 2000/Anwender müssen Jahreszahlen-Umstellung schnellstmöglich anpacken

Offiziell haben deutsche Unternehmen kein 2000-Problem

25.04.1997

Bei manchen Anwendern ist das Problem schon eingetreten. Aral mußte kürzlich mehrere hundert Tankkarten einziehen: Sie waren bis zum Jahr "00" gültig. Mit dieser Jahresangabe konnte das Abrechnungssystem nichts anfangen und verweigerte die Zahlungsannahme. Die Gartner Group erwartet, daß schon in diesem Jahr 20 Prozent aller Applikationen Schwierigkeiten bereiten werden.

Skeptiker prophezeien den größten "Software-GAU" aller Zeiten, wogegen die Postleitzahlen-Umstellung nur eine harmlose Herausforderung gewesen sei. Da der Umfang der erforderlichen Arbeiten nicht zu kalkulieren ist, kann auch niemand vorhersagen, was sie kosten werden. In Deutschland sind schätzungsweise allein Cobol-Programme im Umfang von rund sieben Milliarden Zeilen im Einsatz. In jeder von ihnen kann eine Variable in dem verhängnisvollen Datumsformat versteckt sein. Für die Suche kommt erschwerend hinzu, daß viele Programmierer von damals entweder in den Vorruhestand geschickt worden sind, die Abteilung gewechselt haben oder mittlerweile als selbständige DV-Experten nicht mehr jederzeit verfügbar sind.

Günther Löffler, geschäftsführender Gesellschafter der Münchner Personalvermittlung Newplan, profitiert von dem Dilemma: "Die Nachfrage nach Cobol- und Assembler-Programmierern ist derzeit so groß, daß wir mit dem Vermitteln kaum mehr nachkommen."

Trotz aller Aufmerksamkeit, die im Gegensatz zu Bonner Parlamentariern, US-Politiker dem Problem schenken, hat eine Blitzumfrage der CW-Schwester-publikation "Computerworld" unter US-Anwendern ergeben: Lediglich 38 Prozent der Auskunftgeber haben sich näher mit dem Problem der Jahreszahlen-Umstellung befaßt.

Doch auch hierzulande bleiben trotz aller Warnungen und Presseberichte viele Anwender ungerührt. So waren Vertreter der Cobol-Company Micro Focus mehr als überrascht, als die Teilnehmer eines Seminars kaum Interesse an den mit dem Datumswechsel verbundenen Problemen zeigten.

Als das Marktforschungsinstitut Input im vergangenen Jahr bundesdeutsche Unternehmen befragte, ob sie das Problem der Datumsumstellung bereits angegangen hätten, hatte in 21 der 90 teilnehmenden Firmen die Geschäftsleitung entschieden, nichts zu unternehmen.

Frank Solbach, Geschäftsführer der Meta Group GmbH in Ismaning bei München, fürchtet: "Viele DV-Leiter werden versuchen, das Problem zu kaschieren. Einige hoffen sogar, vor dem Datenchaos in Rente gehen zu können."

Zu den Unternehmen, die sich frühzeitig mit der Problematik auseinandergesetzt haben, gehört BMW. Der bayerische Automobilkonzern nahm bereits Anfang 1996 eine erste Analyse vor. Michael Schäfer, der als Leiter Standardsoftware für die Datumsumstellung zuständig ist: "Damals wollten wir wissen, ob unser Unternehmen überhaupt davon betroffen ist. Kurz darauf mußten wir festellen: Wir sind es."

Um das Problem rechtzeitig zu bewältigen, startete BMW im April ein Projekt "Jahr 2000". Die Infrastruktur für die Jahreszahlen-Umstellung stellte das Tochterunternehmen Softlab zur Verfügung. Zwar räumt Schäfer ein, daß die Kosten für die Umstellungsprojekte nicht unerheblich seien, doch von den Horrorzahlen einiger Marktanalysten würden sie um einiges abweichen: "Die Gartner Group hat für unser Unternehmen Kosten in Höhe von über hundert Millionen Mark prognostiziert. Die von uns errechnete Zahl liegt jedoch weit darunter."

Neben Mainframe-Anwendungen gehören laut Schäfer auch die Schnittstellen zu Lieferanten zu den sensiblen Bereichen: "Das gravierendste Problem bei uns wäre sicherlich, wenn wir die Teile, die wir für die Produktion oder die Montage benötigen, vom Lieferanten nicht erhalten, weil wir sie scheinbar nicht bestellt haben." Allerdings ist man bei BMW vorrangig daran interessiert, die eigenen Umstellungsprobleme in den Griff zu bekommen. Die Zulieferer müßten selbst dafür Sorge tragen, daß die Zusammenarbeit auch in den nächsten Jahren reibungslos klappe. Der IT-Fachmann: "Jedem Lieferanten muß klar sein, daß er sich aus dem Markt katapultiert, wenn er seine Hausaufgaben nicht rechtzeitig macht."

Bei dem Münchner Konzern soll die Umstellung bis 1998 abgeschlossen sein. Für Schäfer steht fest, daß diejenigen Unternehmen, die erst jetzt mit den Aktivitäten zum Jahrtausendproblem beginnen, "eigentlich schon zu spät dran sind".

Noch früher, nämlich bereits im Herbst 1995, hat der Konkurrent Daimler-Benz das Projekt "Year 2000" in Angriff genommen. Die damals installierte Projektgruppe, für die das Systemhaus Debis die Infrastruktur lieferte, will die Umstellung bis Ende Juli 1998 über die Bühne gebracht haben.

Eine Sprecherin der Daimler-Benz-Pressestelle, die ihren Namen nicht gedruckt sehen möchte, erklärte: "Wir sehen in der Datumsumstellung kein Problem und haben den ehrgeizigen Plan, bereits vor der Jahrtausendwende alles unter Dach und Fach zu haben." Seit wann braucht eine Firma, die kein Problem hat, einen ehrgeizigen Plan? Wer in dieser Sache Projektpläne aufsetzt, dürfte durchaus vor schwierigen Aufgaben stehen.

Während bei den meisten Unternehmen die genauen Kosten für die Umstellung Betriebsgeheimnis sind, beziffert ein Sprecher der Allianz Generaldirektion in München die Summe, die die Versicherung für die Umstellung investieren muß, auf rund zehn Millionen Mark. Bei dem Versicherungskonzern beschäftigt sich bereits seit sechs Jahren eine Projektgruppe mit dem Datumswechsel. Der Personalaufwand soll 20 Mannjahre betragen. Die Münchner sind sich sicher, die Umstellungsprobleme rechtzeitig zu bewältigen.

Wenig Sorgen macht sich auch Franz Dietl, Leiter des Bereichs Datenverarbeitung bei WWK-Versicherungen in München: "Wir haben grundsätzlich kein Datumsproblem. In unserem Unternehmen gibt es seit 25 Jahren in fast allen Anwendungen ein normiertes Datumsfeld." Dietl ist überzeugt, daß es den Versicherungsbereich weniger als andere Firmen treffen wird. Schließlich habe diese Branche schon immer mit langen Laufzeiten umgehen müssen. Der IT-Manager räumt allerdings ein, daß das Problem in Randgebieten wie Gehaltsabrechnung oder anderen Verwaltungsaufgaben auch auf die WWK zukommen werde, "allerdings in so geringem Umfang, daß man sich erst 1999 damit beschäftigen muß". Für DV-technisch anspruchsvoll hält der IT-Experte dagegen die Einführung der Euro-Währung: "Das wird unsere Kapazitäten voll in Anspruch nehmen."

Dieser Einschätzung kann Erich Kertels, Leiter Anwendungsentwicklung bei der Hypo-Bank in München, nur zustimmen: "Das Thema Datumsumstellung ist für uns längst nicht so ein Problem, wie es von der Presse oder von manchen Softwarehäusern dargestellt wird." Aufgrund der langjährigen Darlehensverträge sei das Thema seit vielen Jahren bekannt. Deshalb habe es bereits in den 80er Jahren eine Arbeitsanweisung für Programmierer gegeben, ausschließlich vierstellige Jahreszahlen zu verwenden. Der Hypo-Manager: "Das soll nicht heißen, bei uns gibt es das Jahr 2000 zum Nulltarif. Wir schätzen den Aufwand auf 90 Mann-Monate." Allerdings würden diese Aktivitäten, die in den Jahren 1997 und 1998 über die Bühne gehen sollen, "sozusagen nebenbei verfolgt". Der Aufwand für die Euro-Währung sei hundertfach größer.

So nebenbei hat auch die Münchner Paulaner Brauerei AG die Jahreszahlen-Umstellung über die Bühne gebracht. Reinhard Mittelstaedt, Abteilungsleiter Informationssysteme verkündet: "Wir sind längst fertig."

Mit dem Thema "Jahr 2000" hat sich der bayerische DV-Profi zum ersten Mal Mitte der 80er Jahre auseinandergesetzt. Danach hätten die Paulaner-Mitarbeiter sukzessive angefangen, sowohl in den Datenbanken als auch in den Anwendungen die Jahreszahlen vierstellig zu programmieren. Mittelstaedt: "Zum Glück hatten wir viel Zeit. Und im Laufe von zehn Jahren wird jede Anwendung und jedes Datenfeld irgendwann einmal in die Hand genommen."

Trotz aller Sorgfalt will der Münchner IT-Verantwortliche nicht erst am 1. Januar des Jahres 2000 erfahren, ob er und seine Mitarbeiter alle denkbaren Problemfelder erwischt haben. Mittelstaedt: "Bei uns stehen einige größere Rechner im Keller herum, auf denen wir das Jahr 2000 vorher simulieren werden."

"Die deutschen IT-Manager haben offensichtlich alle Probleme im Griff", resümiert Steffen Häuser, Manager Product Marketing bei der Softlab GmbH in München. Allerdings können ihn die optimistischen Aussagen nicht so ganz überzeugen. Häuser verweist auf eine Untersuchung, die englische Marktforscher im Auftrag von Softlab bei europäischen Unternehmen organisiert haben (siehe Seite 49): "Laut dieser Studie betont die überwiegende Mehrzahl der deutschen IT-Chefs gleichfalls, mit der Jahreszahlen-Umstellung vorerst kein Problem zu haben. Sobald die Fragen aber in die Tiefe gingen, hat sich gezeigt, daß viele DV-Verantwortliche das drohende Chaos unterschätzen."

Unter anderem fragt sich der Softlab-Mann, wie jemand das Jahr-2000-Problem ohne Finanzmittel über die Bühne bringen will: "Zwei Drittel der befragten IT-Manager in Deutschland haben vom Vorstand bis heute kein zusätzliches Budget zur Verfügung gestellt bekommen." Daß eine große Zahl der befragten deutschen IT-Manager den Einsatz zusätzlicher Hardware nicht in Betracht ziehe, sei ein weiterer Beleg dafür, daß die gesamte Problematik der Datumsumstellung nicht zu Ende gedacht worden sei. Häusers Fazit: "Die meisten IT-Chefs haben zwar mit der Umstellung gerade erst begonnen, glauben aber, das Jahr-2000-Problem rechtzeitig lösen zu können. Mit dieser Einstellung könnten einige Unternehmen allerdings ins Schleudern kommen.

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Als die COMPUTERWOCHE vor rund 18 Monaten mit Recherchen zur Umstellung von zwei- auf dreistellige Jahreszahlen begann, erklärte - im diametralen Gegensatz zu diversen Marktforschern und DV-Anbietern - jeder befragte Anwender, damit gebe es überhaupt kein Problem. Inzwischen stellt sich die Angelegenheit wohl etwas anders dar. Sie ist offiziell immer noch kein Problem, aber in den meisten Unternehmen gibt es Projektgruppen, laufen Analysen und Umstellungsarbeiten. Es ist zu vermuten, daß viele DV-Verantwortliche ob verweigerter Budgets effektive Maßnahmen vor sich herschieben.

*Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.