Beta-Version freigegeben

Office 97 soll dem schlanken Client Paroli bieten

11.10.1996

Schwierigkeiten entstehen vor allem dadurch, daß PC-Software in jeder neuen Version an Umfang und Komplexität zunimmt, damit den Schulungsaufwand für die Anwender erhöht und die Administration erschwert. Kostenträchtig sind zudem die steigenden Anforderungen an die Hardware. Außerdem mangelte es Office aufgrund der Ausrichtung auf den individuellen Anwender bis dato an kommunikativen Fähigkeiten, weshalb es sich für vernetzte Umgebungen, besonders aber für Intranets, nur wenig eignete.

Das Gegenmodell des netzwerkzentrierten Computings setzt auf schlanke Clients und kleine Softwaremodule, die über das Netz heruntergeladen werden und sich über entsprechende Komponententechnologie zu größeren Anwendungen kombinieren lassen. Dieser erfolgversprechende Ansatz überzeugte bereits die Hauptkonkurrenten Microsofts im Office-Markt, Corel und Lotus: Der neue Eigentümer von Wordperfect kündigte für nächstes Jahr eine in Java neu geschriebene Version der Textverarbeitung an, die IBM- Tochter Lotus will einfache Büroanwendungen als OLE-Controls (neuerdings "Active-X-Controls") anbieten.

Microsoft schließt sich mit Office 97 diesem Trend nicht an und versucht, die drängenden Probleme des Büropakete-Konzepts auf Basis monolithischer Applikationen in den Griff zu bekommen. Die Gates-Company nennt zu diesem Zweck im "Reviewer's Guide" drei wesentliche Designziele für Office 97, die den Erfolg ihres Software-Flaggschiffs auch in Zukunft garantieren sollen:

-mehr Benutzerfreundlichkeit und engere Intregration der Anwendungen,

-Workgroup- und Internet-Funktionen,

-Aufwertung des Büropakets als Entwicklungsplattform.

In puncto Integration behauptet Microsoft, daß sich der Anteil des gemeinsam von allen Anwendungen genutzten Codes auf fünfzig Prozent erhöht hat. Trotzdem schlägt die Vollinstallation der Professional-Ausführung (sie enthält neben "Word", "Excel" und "Powerpoint" auch die Datenbank "Access") mit mehr als 250 MB zu Buche. Ärgerlich ist dabei, daß Office mit kräftiger Hilfe des "Internet Explorer" sage und schreibe 139 Dynamic Link Lib- raries (DLLs) anstatt ins Anwendungs- in das Systemverzeichnis kopiert.

Der gestiegene Umfang geht allerdings auch auf Kosten neu hinzugekommener Anwendungen. Es handelt sich dabei zum Beispiel um "Outlook", das als Nachfolger des Terminplaners "Schedule +" und des E-Mail-Front-ends "Exchange Client" gedacht ist. Das erste Mal zum Lieferumfang gehört auch "Photo-Editor", eine von Media Cybernetics in Lizenz genommene Fotobearbeitungs-Software inklusive Scanner-Unterstützung. Erstmalig dabei ist auch "Office Art", ein Zeichen- und Malprogramm, das Tools früherer Versionen wie "Draw" oder "Word Art" ersetzt. Der "Re- viewer's Guide" erwähnt noch das HTML-Werkzeug "Frontpage" als Teil von Office, in der Betaversion fehlt es jedoch. Dieses Produkt wird außerdem auch mit Windows NT Server ausgeliefert.

Mehr Bedienerfreundlichkeit will Microsoft vor allem durch sogenannte Software-Assistenten erreichen. Es handelt sich dabei um animierte Helfer, die bei Fehlbedienung verständliche Meldungen ausgeben und Vorschläge zur Problembehebung machen. Sie lassen aber auch Fragen in natürlicher Sprache zu, so daß Anwender die richtigen Funktionen aus dem längst unüberschaubaren Angebot heraussuchen können. Damit reagiert Microsoft auf Studien, wonach die meisten Nutzer überhaupt nur einen Bruchteil der Office- Features kennen. Diesen Zustand soll die erweiterte Hilfefunktion ändern und damit den Einwand entkräften, Anwendern würden in den meisten Fällen auch Java-Applets reichen.

In der Betaversion funktioniert die natürlichsprachliche Hilfefunktion nur in Englisch und produziert mitunter auch Fehlgriffe. Daß der maschinellen Verarbeitung natürlicher Sprache noch enge Grenzen gesteckt sind, beweist auch die in Word integrierte Funktion "Auto-Zusammenfassung": Anstatt das Wesentliche eines Textes in gedrängter Form wiederzugeben, produziert sie allzu oft Kauderwelsch. Sie gehört zu einer Reihe solcher "Auto"-Funktionen, die unter dem wohlklingenden Marketing- Sammelbegriff "Intellisense" daherkommen.

Bei der Kompatibilität von Office 97 mit den Vorgängerversionen, einem wichtigen Aspekt der Benutzerfreundlichkeit, strapaziert Microsoft erneut die Leidensfähigkeit der Anwender. Ganz in der Tradition dieser Büroanwendungen wartet das Upgrade mit neuen Dateiformaten auf. Zwar lassen sich über die eingebauten Importfilter Daten der alten Office-Applikationen übernehmen, umgekehrt können diese aber die neuen Dateiformate nicht lesen. Dieser Umstand macht den schrittweisen Umstieg auf die neue Version schwierig, weil in einer Mischumgebung der Datenaustausch nicht gewährleistet ist.

Die regelmäßige Änderung der Dateiformate hat freilich nicht bloß verkaufspolitische Gründe, sie ist auch die notwendige Konsequenz der monolithischen Anwendungen. Eine Word- oder Excel-Datei muß nämlich alle Eigenschaften eines Dokuments darstellen können, die durch die zahlreichen - auch neuen - Funktionen des riesigen Programms zustandekommen. Bestünde Mircosofts Bürolösung aus überschaubaren Active-X-Komponenten, könnte sie für alle Programme ein übergreifendes Dateiformat anbieten - so wie es der OLE- Konkurrent "Opendoc" mit "Bento" vormacht.

Wie hinter dem "persönlichen" Computer überhaupt steht hinter dessen populärstem Anwendungspaket MS-Office die Idee verbesserter individueller Produktivität ("personal productivity"). Aufgrund der Dezentralisierung von Unternehmen, der Anbindung von DV- Arbeitsplätzen an vernetzte Umgebungen und der Globalisierung von Kommunikation via Internet muß Microsoft sein Anwendungspaket konzeptionell neu ausrichten. Dies tut das Softwarehaus durch Integration von Groupware-Funktionen und von Internet-Technik.

Bei ersteren spielt die neu hinzugekommene Anwendung Outlook eine zentrale Rolle. Unter der Bezeichnung Desktop Information Manager (DIM) vereint sie die Funktionen für E-Mail, (Gruppen)- Terminplaner, Adreßverwaltung und Kalender. Anwender können aus den anderen Office-Applikationen heraus Dokumente in gruppen- oder projektspezifischen Outlook-Ordnern ablegen und so einen einfachen Workflow organisieren. Die Funktion "Auto-Journal" zeichnet die Aktivitäten von Mitarbeitern auf. Damit lassen sich deren Arbeitsabläufe nachträglich rekonstruieren und Dokumente anhand ihres Entstehungszusammenhangs auffinden. Bei E-Mail soll das Produkt als universeller Client fungieren. Es kann mit allen MAPI- kompatiblen Systemen kommunizieren (beispielsweise cc:Mail, Lotus Notes, Novell Groupwise oder HP Openmail) und unterstützt zudem die Internet-Protokolle POP3 und SMTP.

Bei den sogenannten Multiuser-Dokumenten eifert Microsoft dem Rivalen Lotus nach, dessen "Smartsuite" diesbezügliche Funktionen schon länger kennt. Word- und Excel-Dokumente können nun ebenfalls durch mehrere Anwender gleichzeitig bearbeitet werden. Eine eingebaute Versionskontrolle behält den Überblick über die Aktivitäten der beteiligten Autoren. Außerdem ist es nun möglich, Kommentare einzufügen.

Die Öffnung von Office in Richtung Internet und Intranet vollzieht Microsoft großteils mit inzwischen üblichen Features: Lesen und Schreiben von HTML-Dateien, Laden von Dokumenten nicht nur über die Pfadangabe, sondern alternativ über einen Uniform Resource Locator (URL), sowie die Unterstützung von Hyperlinks. Diese können nicht nur auf Web-Adressen, sondern als UNC- oder Pfadangabe auch auf Office-Dokumente verweisen. Das Modul "Indexerstellung" indiziert in der neuen Version nicht nur Office- Dateien, sondern auch HTML-Seiten. Diese lassen sich dann über Volltextrecherche aufspüren. Browser-Funktionen bietet Office 97 durch den mitgelieferten Internet Explorer an, der sich beim Anklicken einer URL via OLE in die jeweilige Anwendung einklinkt.

Mit den Internet-Funktionen macht das Büropaket nicht nur Konzessionen an den Zeitgeist. Insbesondere Hyperlinks bieten erstmals die Möglichkeit, notorische Office-Defizite bei der Dokumentenverwaltung auszubessern und Informationen zu vernetzen. Microsoft kann so die im Internet erprobte Technik des Navigierens für Daten anbieten, die im proprietären Office-Format vorliegen. Die Gates-Company profitiert auch anderweitig durch Konzepte aus dem globalen Netz: Beispielsweise kopiert sie die Darstellung eines Dokuments in mehreren Teilfenstern, wie sie von Netscape eingeführt wurde ("Frames"). Sie ersetzt dadurch die bisherige "Gliederungsansicht" von Word.

Microsoft geht davon aus, daß sich der Bedarf an maßgeschneiderten Anwendungen in Zukunft weiter erhöhen wird. Um Office dafür als Entwicklungsplattform aufzuwerten, stattet es in der neuen Version erstmals alle Anwendungen mit der Scriptsprache "Visual Basic for Applications" (VBA) aus. Eine moderne Entwicklungsumgebung inklusive Konverter für alte Makros gehört zum Lieferumfang. Mit VBA lassen sich nicht nur die einzelnen Büroanwendungen modifizieren, sondern beliebige Programme (auch Active-X-Controls) vorzugsweise via OLE zu einer Applikation zusammenbinden.

Da OLE Vererbung nicht unterstützt, führt dieses Konzept kundenspezifisch angepaßter Anwendungen zu einer Zwei-Klassen- Gesellschaft in der Microsoft-Welt: In ihr gibt es die "Hardcore"- Programmierer, die für die Entwicklung von OLE-fähigen Anwendungen zuständig sind (und wohl hauptsächlich in Redmond arbeiten sollen), und jene, die diese Komponenten mittels Scriptsprache zusammenschrauben. Diese Art der Arbeitsteilung gilt nicht bei Java, wo Klassen bestehender Applets über Vererbung einfach erweitert werden können.

Für Nachfrage nach maßgeschneiderten Anwendungen sorgt das Office- Paket auf seine Weise: Trotz animierter Assistenten werden sich die meisten Anwender in der überwältigenden Funktionsfülle verirren. Sie benötigen für ihre Zwecke angepaßte Office- Anwendungen, um damit ihre Arbeit zu erledigen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob der von Microsoft prognostizierte Bedarf eher störanfälligen, wuchtigen Desktop-Lösungen oder modularen, verteilten Anwendungen gelten wird.