Ausnahmezustand in Hannover

Obama und Merkel eröffnen Hannover Messe

25.04.2016
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Ausnahmezustand herrscht heute in Hannover: Mit US-Präsident Barack Obama besucht der mächtigste Mann der Welt die Hannover Messe Industrie (HMI). Seine Anwesenheit unterstreicht, wie wichtig Obama die Themen Digitalisierung und Industrie 4.0 nimmt - in den USA der Re-Industrialisierung sind diese Themen Chefsache.
Aufgrund des Messebesuchs von US-Präsident Barack Obama am ersten Messetag gelten in diesem Jahr besondere Sicherheitsanforderungen.
Aufgrund des Messebesuchs von US-Präsident Barack Obama am ersten Messetag gelten in diesem Jahr besondere Sicherheitsanforderungen.
Foto: Joseph Sohm / Shutterstock.com

Diese Hannover Messe werden wohl die meisten Messegäste und Aussteller nicht so bald vergessen. Dank des Messe-Partnerlands USA herrscht heute, am ersten Messetag, Ausnahmezustand, wenn US-Präsident Barack Obama gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zum Rundgang aufbrechen. Rund um das Messegelände hat die Polizei einen Sicherheitsbereich eingerichtet. Besucher sollen nur die Eingänge West und Nord nutzen. Zudem werden während des Rundgangs einzelne Hallen komplett geschlossen. Die Auswirkungen des Besuchs waren für die Hersteller bereits am Sonntag zu spüren, da die Messehallen an diesem Tag aus Sicherheitsgründen ebenfalls gesperrt waren. Etliche Vormesse-Veranstaltungen mussten schon am Samstag stattfinden.

Partnerland USA

Auf 3.500 Quadratmetern zeigt Siemens auf seinem Messestand in Hannover praktische Beispiele rund um das Thema Digitalisierung.
Auf 3.500 Quadratmetern zeigt Siemens auf seinem Messestand in Hannover praktische Beispiele rund um das Thema Digitalisierung.
Foto: Siemens

Doch die umfassenden Sicherheitsmaßnahmen sind nicht der einzige Superlativ der Hannover Messe Industrie. In diesem Jahr reist die größte US-Delegation aller Zeiten an, allein der direkte Tross von Präsident Obama soll 600 Leute umfassen. Erstmals ist auch das renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) dabei - zu finden in Halle 2 unter dem Dach des USA-Pavillons. Da die Vereinigten Staaten in diesem Jahr offizielles Partnerland sind, haben sich in Hannover US-Unternehmen wie AT&T, General Electric, IBM und Microsoft eingefunden, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Insgesamt sind in diesem Jahr mehr als 350 US-Austeller in der Niedersachsen-Hauptstadt.

Trendthema Smart Factory

Eine intelligente Straßenlaterne mit WLAN-Hotspot, Notruf sowie Ladestation für E-Autos zeigt EnBW.
Eine intelligente Straßenlaterne mit WLAN-Hotspot, Notruf sowie Ladestation für E-Autos zeigt EnBW.
Foto: EnBW

Zu den Kernthemen 2016 gehören Industrial Automation als "Leitmesse für Fertigungs- und Prozessautomation". Hier sind Systemlösungen und Industrial IT zu sehen, im Vordergrund stehen Smart Factory, Virtual Reality und Internet of Things. Die "Leitmesse Digital Factory" adressiert Aspekte wie integrierte Prozesse und IT-Lösungen und geht der Frage nach: Was kann die digitale Fabrik, wenn alle, also Produzenten, Lieferanten und Kunden, miteinander vernetzt sind. Auch die drei anderen Leitmessen Energy, Industrial Supply sowie Research & Technology sind ohne moderne IT nicht vorstellbar - im Bereich Energy sei nur an das Thema Smart Grid erinnert.

Industrie 4.0 in der Praxis

Die Vision vom automatisierten Fahren macht die VW-Tochter IAV erlebbar.
Die Vision vom automatisierten Fahren macht die VW-Tochter IAV erlebbar.
Foto: IAV

Wie weit die Digitalisierung im industriellen Umfeld bereits fortgeschritten ist, kann der Besucher anhand von Showcases auf zahlreichen Messeständen live erleben. So zeigt die Telekom in Halle 8 (Stand F19) neben ihrer Vision einer Smart Factory verschiedene Formen der Predictive Maintenance, wie sie mit den Unternehmen Kaeser Kompressoren, Deutsche Bahn und Krone Aufzugwartung umgesetzt wurden. Als Beispiel für Digital Logistic and Fleets kann der Hamburger Hafen dienen.

Für den Einstieg in die vernetzte Industrie bringt die Telekom ein "Industrie 4.0 Paket" auf den Markt. Es soll mittelständischen Betrieben ermöglichen, ihre Maschinen schnell und einfach zu vernetzen und das Fertigungsumfeld zu überwachen. Dürkopp-Adler, ein Hersteller von Nähmaschinen aus Bielefeld, nutzt das Paket bereits zur Anbindung seiner Maschinen über die Cloud der Dinge.

Digitalisierungsprojekte mit Microsoft

Ein Cloud-basiertes Assistenzsystem für die Fertigung stammt von der Maschinenfabrik Reinhausen.
Ein Cloud-basiertes Assistenzsystem für die Fertigung stammt von der Maschinenfabrik Reinhausen.
Foto: Maschinenfabrik Reinhausen

Weitere Beispiele zu erfolgreichen Digitalisierungsprojekten und -studien erwarten den Besucher bei Microsoft in Halle 7. Dort zeigt etwa der badenwürttembergische Energieversorger EnBW seine intelligente Straßenlaterne SM!GHT, die nicht nur Licht spendet, sondern auch Ladestation für Elektrofahrzeuge, Notrufsäule, WLAN-Hotspot und Lieferant von Umweltdaten ist. Thyssen Krupp stellt MAX vor, eine Cloud-basierte Wartungslösung für Aufzüge, die dank Echtzeitdiagnostik vorausschauenden Service ermöglicht. Ziel ist es, die Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Effizienz von Aufzügen auf eine neue Stufe zu heben. Mit IAV, einem Engineering Partner der Automobilindustrie, führt Microsoft auf der Messe neue Lösungen zum vernetzten hochautomatisierten Fahren vor.

Liebherr-Hausgeräte stellt den Prototyp einer End-to-End-Infrastruktur für Kühlschränke vor, die Kunden aus der Pharmaindustrie, dem Medizinsektor und der Lebensmittelbranche Möglichkeiten der Fernüberwachung und der präventiven Wartung bietet. ZF Services zeigt mit "Openmatics" eine intelligente Connectivity-Lösung, zum Beispiel für ein effizientes Flotten-Management in der Logistikbranche. Die Schweizer ABB-Group kommt mit einer Service-Plattform für die Schnellaufladung von Elektrofahrzeugen.

Die Maschinenfabrik Reinhausen präsentiert mit ValueFacturing ein praxiserprobtes Assistenzsystem für die Hochleistungsfertigung, das zukünftig auch als Public-Cloud-Lösung über die Microsoft Cloud Deutschland verfügbar sein wird. Es soll Unternehmen mit zerspanender Fertigung ein effizienteres Projekt-Management mit geringerem Kosten- und Verwaltungsaufwand ermöglichen.

Gemeinsam haben Siemens und Intel eine Security-Lösung für die Smart Factory entwickelt.
Gemeinsam haben Siemens und Intel eine Security-Lösung für die Smart Factory entwickelt.
Foto: Siemens

Einige konkrete Szenarien in Richtung IoT und Digitalisierung zeigt auch SAP in Halle 7. Dazu zählt etwa die "Open Integrated Factory - Generation 2016", in der alle Prozesse dezentral miteinander verzahnt sind. Ein Beispiel für ein Connected Product Lifecycle entstand gemeinsam mit Kaeser. Wie sich die Gesamtanlagen-Effektivität mit Hilfe von SAP Big Data Analytics im Manufacturing optimieren lässt, können Besucher auf dem Stand live anhand des Rührreibschweißens mit Industrierobotern erleben.

Siemens setzt auf Digital Enterprise

Ingenuity for life – Driving the Digital Enterprise, so lautet das diesjährige Messemotto von Siemens.
Ingenuity for life – Driving the Digital Enterprise, so lautet das diesjährige Messemotto von Siemens.
Foto: Siemens

Unter dem Motto "Ingenuity for life - Driving the Digital Enterprise" demonstriert Siemens in Hannover auf 3.500 Quadratmetern in Halle 9 seine Lösungen und Produkte zu Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung. Anhand von Praxisbeispielen führt der Konzern vor, wie Unternehmen von der Verschmelzung der realen mit der virtuellen Welt profitieren können. Sogenannte "Highlight Cubes" - Exponate zu den Themen Energy for Industry, Additive Manufacturing, Automotive und Fiber Industry - sollen ausgewählte Themen direkt erfahrbar machen.

Industrie 4.0 zum Anfassen

Der diesjährige Messeauftritt von Bosch in Halle 7 steht unter dem Motto "Industrie 4.0 - in der Praxis angekommen". Entlang der Wertschöpfungskette angeordnete, untereinander vernetzte Live-Demos simulieren auf dem Messestand eine digitale Fabrik. Bosch verspricht den Messebesuchern "Industrie 4.0 zum Anfassen". Sie können die Interaktion der physischen mit der virtuellen Fertigungswelt in Produktions- und Logistikprozessen erleben.

IT-Hersteller treffen Industrie

Die Idee des vernetzten Kühlschranks ist nicht neu. Liebherr demonstriert nun den Prototyp einer End-to-End-Infrastruktur für Kühlschränke. Kunden aus der Pharmaindustrie, dem Medizinsektor und der Lebensmittelbranche sollen damit neue Möglichkeiten der Fernüberwachung und vorhersagenden Wartung bekommen.
Die Idee des vernetzten Kühlschranks ist nicht neu. Liebherr demonstriert nun den Prototyp einer End-to-End-Infrastruktur für Kühlschränke. Kunden aus der Pharmaindustrie, dem Medizinsektor und der Lebensmittelbranche sollen damit neue Möglichkeiten der Fernüberwachung und vorhersagenden Wartung bekommen.
Foto: Liebherr

Die oben aufgeführten Beispiele zeigen nur einen kleinen Ausschnitt dessen, wie IT und Produktion auf der Hannover Messe im Verbund zu sehen sind. 2016 sind endgültig auch die wichtigsten IT-Player auf dem Industrie-Event zu finden. Neben den bereits erwähnten Anbietern sind etwa auch Cisco, Huawei, HP Enterprise, Salesforce, QSC, Kaspersky, Keymile, Infosys, IBM, Symantec, Atos, Trend Micro und andere vor Ort. IT und Produktion rücken zusammen - eine Entwicklung, auf die sich Firmen einstellen müssen, wollen sie wettbewerbsfähig bleiben.

Die Analysten der Experton Group raten Unternehmen, die Voraussetzungen in ihrer Auf- und Ablauforganisation zu schaffen, damit digital transformiert werden kann. Dazu müsse die IT als entscheidender Produktionsfaktor Teil der Unternehmenskultur werden, außerdem seien (neue) Verantwortlichkeiten festzulegen. Wie die IT die Produktion verändert, ist auf der diesjährigen Hannover Messe gut zu sehen - und manchen geht es offenbar nicht schnell genug.

Gehe es darum, die zentrale Rolle der IT anzuerkennen und entsprechende Umbauarbeiten anzugehen, seien US-Unternehmen mutiger, beobachtet etwa José Garcia, Regional Manager bei Delphix, einem Anbieter von Datenvirtualisierungs-Produkten. "Viele Fortune 100-Unternehmen nutzen Continuous Delivery und DevOps bereits ganz selbstverständlich. Die Chefetage hat nämlich die Wichtigkeit erkannt", so Garcia weiter. "Firmen wie Amazon, Uber oder Airbnb leben davon, mit ihren Daten zu arbeiten. Das ist ihr Geschäftsmodell, ihre Existenzgrundlage". In Deutschland werde die Digitalisierung vor allem in der Konsumgüter-Industrie gelebt, die Industrie verhalte sich noch zurückhaltend.