Nur vereinzelt nutzen Anwender ihre Einflussmoeglichkeiten OMG-Chef: Der Corba-Erfolg haengt allein an den Herstellern

22.04.1994

Die Object Management Group (OMG) zaehlt zu den wenigen Open- Systems-Gremien, die Arbeitsergebnisse vorzuweisen haben. Aber der Lorbeer, den sich die Herstellervereinigung mit der zuegigen Spezifizierung der Common Object Broker Architecture (Corba) anheften durfte, welkt bereits. Die durch Corba 1 geweckten Hoffnungen werden erst durch Corba 2 eingeloest - wenn ueberhaupt. Mit Chris Stone, President der Object Management Group, sprachen Hermann Gfaller und Karin Quack.

CW: Es sieht so aus, als waere auch im Markt fuer objektorientierte Techniken bereits ein Shake-out im Gange. Erste Anzeichen dafuer lieferte das Unternehmen Hyperdesk, als es entschied, seine Implementierung eines Object Request Brokers (ORB) aufzugeben.

Stone: Die Sache ist die, dass niemand etwas fuer die Middleware bezahlen will. Sun, HP und IBM geben ihre ORB-Implementierung gratis ab - als Teil ihres Systemgeschaefts. Also konnte Hyperdesk damit kein Geld verdienen.

CW: Aber weshalb geben diese Unternehmen ein Stueck High-Tech umsonst heraus?

Stone: Weil ihnen das Versprechen der Interoperabilitaet hilft, ihre Hardware und ihre Applikationen zu vermarkten. Wer die Infrastruktur besitzt, kann auch die dazu passenden Werkzeuge verkaufen - gleichgueltig, ob es sich dabei um eine Datenbank, ein Textverarbeitungsprogramm, ein Prozesskontrollsystem oder auch eine Programmierumgebung handelt.

CW: Das alles spricht noch nicht dagegen, dass sich auch mit der Infrastruktur ein Geschaeft machen liesse.

Stone: Die Kunden zahlen anstandslos fuer die Anwendungen, fuer die Bibliotheken, fuer ein Finanzobjekt und ein Fertigungskontrollobjekt, aber nicht fuer die Infrastruktur.

CW: Koennte Iona dasselbe Schicksal ereilen wie Hyperdesk?

Stone: Wahrscheinlich nicht. Die Iona-Leute haben etwas sehr Kluges getan, als sie das Abkommen mit Sunsoft unterzeichneten. Hyperdesk hatte sich stets geweigert, mit den grossen Systemanbietern zusammenzuarbeiten. Und so wurde es vermasselt. Wenn ich heute ein Software-Unternehmen gruenden wuerde, dann saehe ich zu, dass ich sehr viele gute Beziehungen zu den Herstellern aufbaue. So laeuft das heute eben.

CW: Eigentlich duerften gerade die Hersteller an der Arbeit der OMG keinerlei Interesse haben. Mit der fuer diesen Sommer angekuendigten Corba-2-Spezifikation wird der Anwender in der Lage sein, seinen HP-Rechner problemlos durch eine DEC-Alpha-Maschine zu ersetzen, nicht wahr?

Stone: Nun, das ist die Theorie. Sie wird nur dann Wirklichkeit, wenn die Anwender tatsaechlich an den heiligen Gral der Interoperabilitaet glauben. Wir muessen die Software-Entwicklung so weit bringen, dass sich der ORB zum System verhaelt wie das Benzin zu den unterschiedlichen Autotypen. Ob das noch zu unseren Lebzeiten geschieht? Keine Ahnung! Aber sicher ist, dass es irgendwann einmal passiert. Wir werden an den Punkt kommen, wo sich mehr als nur fuenf Anbieter darauf einigen, alle ihre Anwendungen gegen ein spezifisches Standard-Interface zu implementieren. Und ich sehe hier nichts, was dem Object Request Broker seinen Platz streitig machen koennte.

CW: Jetzt sind aber bei den Anwendern die Erwartungen bereits sehr hoch gesteckt. Die werden es kaum verstehen, wenn die in Aussicht gestellte Interoperabilitaet nach der Veroeffentlichung von Corba 2 immer noch nicht funktioniert.

Stone: Sehen Sie, das Problem ist doch folgendes: Wenn wir bei Corba 2 beispielsweise die Implementierung von Sunsoft und Iona auswaehlen, besteht die Gefahr, dass HP die Schultern zuckt und einfach etwas anderes macht. Ich verweise nur auf das Schicksal der OSF. Wer setzt OSF/1 ein? Niemand!

CW: Na ja, mit Ausnahme von Digital Equipment! Ausserdem halten wir das Distributed Computing Environment fuer die wichtigere OSF- Entwicklung.

Stone: Das DCE kam eigentlich von DEC und HP. Der Vorlaeufer war die Network Interface Definition Language von Apollo. Ich habe das schon vor elf Jahren benutzt. So neu kann das also nicht sein.

CW: Nichtsdestoweniger soll die Multiplattform-Unterstuetzung von Corba 2, so haben wir gehoert, durch OSF-Technik geloest werden, naemlich durch das Distributed Management Environment (DME).

Stone: Das ist theoretisch durchaus moeglich. Aber die Frage ist doch, ob die OSF dieses DME jemals bauen wird. All die Leute, die das haetten tun sollen, haben die OSF verlassen. Die meisten davon haben an dem Vorschlag fuer Corba 2 mitgearbeitet. Moeglicherweise wird DME in der OMG Wiederauferstehung feiern.

CW: Also haengt alles wieder einmal von den Herstellern ab - obwohl alle Welt behauptet, wir haetten einen kundengetriebenen Markt.

Stone: Keine Ahnung, wer Ihnen das erzaehlt hat. Aber ich moechte gern glauben, dass das so ist. Im Vergleich zu der Situation, wie sie vor fuenf Jahren bestand, hat sich das Engagement der Anwender in diesem Bereich tatsaechlich zumindest verdoppelt. Aber die Anwender bauen dieses Zeug nun einmal nicht.

CW: Koennen die grossen Kunden etwa keinen Druck auf ihre Lieferanten ausueben?

Stone: Sicher, es gibt da einige Pioniere. Der Traktorenhersteller John Deere ist ein gutes Beispiel dafuer. Dort wurde eine unternehmensweite Entwicklungsarchitektur realisiert. Hardwaregrundlage sind 515 Server mit 15 000 PCs. Und jeder dieser Rechner soll, so die Forderung, mit jedem anderen ueber einen Object Request Broker kommunizieren - egal, ob die Maschine von IBM, Sun, HP, Silicon Graphics oder irgendeinem PC-Hersteller stammt. Die Aufforderung an die Systemanbieter lautete schlicht: Ihr wollt uns etwas verkaufen, also macht das moeglich. Das ist es, was die Anwender tun muessen, um etwas zu bewegen.

CW: In welche Richtung sollten sich die Hersteller Ihrer Ansicht bewegen? Was bleibt konkret zu tun, wenn Corba 2 fertig ist?

Stone: Setzen wir einmal voraus, wir treffen bei Corba 2 die richtige Wahl und zehn Anbieter sagen: Ja, so werden wir es machen. Dann haben wir auf einen Schlag den Softwaremarkt um fuenf bis acht Jahre in die Zukunft katapultiert. Aber das ist nicht genug. Es gibt noch eine ganze Menge fehlender Teile, beispielsweise Objektservices. Corba taugt gar nichts ohne Netzservices wie Daten- oder Transaktions-Management. Und die Anwender brauchen die Interoperabilitaet zwischen diesen Services und dem eingesetzten ORB. Die Richtung stimmt also, aber wir haben noch einen weiten Weg vor uns.

CW: Auf welche Art und Weise wird die OMG den Desktop-Bereich in ihre Arbeit einbeziehen?

Stone: Auf der Desktop-Ebene tobt der Kampf zwischen OLE und Opendoc. Wenn Microsoft heute ankuendigen wuerde, dass die OLE-eigene Definition Language durch unsere IDL ersetzt werde, dann haetten wir dort keinerlei Probleme mehr, denn jede Anwendung, die OLE unterstuezt, koennte dann einen ORB ansprechen. Aber das wird Microsoft nicht tun. Vielmehr zwingen sie Digital Equipment, es fuer sie zu tun. Auch das NT-Upgrade Cairo basiert nicht auf einem ORB. Es handelt sich hier um eine proprietaere ... Entschuldigung: eine "offene" Microsoft-Architektur. Opendoc hingegen wird ueber eine OLE-Transformation verfuegen. Das heisst, wer eine OLE- Anwendung schreibt, ist in der Lage, Opendoc anzusprechen. Immer mehr Anbieter werden diesem Beispiel folgen und Transformationen von OLE in einen ORB ankuendigen. Sie koennen nicht mehr darauf warten, dass Microsoft ihnen entgegenkommt.

CW: Ist OLE objektorientiert?

Stone: Nein. Microsoft hat keine Ahnung, was Vererbung ist. Also rennen sie herum und erzaehlen, das sei etwas Schlechtes. OLE verfuegt allenfalls ueber einige objektbasierte Funktionen. Es stellt Container-Objekte, Objekt-Pointer und einige polymorphe Schnittstellen zur Verfuegung.

CW: Augenscheinlich igelt sich Microsoft im Enduserbereich ein.

Stone: Exakt. Bislang sind sie nur auf dem Desktop praesent. Microsoft hat keine Ahnung, wie man ein System-Management regelt oder verteilte Systeme erstellt. Sie werfen ein Produkt auf den Markt und versuchen, es als Strategie fuer eine Unternehmensloesung zu verkaufen. Aber die Kunden husten ihnen was.