Outsourcing/Zahlreiche Stolpersteine auf dem Weg zum Vertragsabschluss

Nur Schritt fuer Schritt laesst sich Outsourcing bewaeltigen

12.01.1996

In der ersten Phase des Outsourcing-Projekts muss sich ein Anwender zunaechst darueber klar werden, was er denn konkret in Fremdregie vergeben will: die gesamte Informatik einschliesslich der Netze oder nur einzelne Rechenzentren, ausschliesslich das Netz-Management oder doch lieber die Anwendungsentwicklung? Vielleicht aber auch nur die Endgeraete?

Der zweite Problembereich beruehrt die Zielsetzung: Will sich ein Unternehmen eine eigene Informatik einfach nicht mehr leisten, weil externe Spezialisten dieses Metier technisch moeglicherweise besser beherrschen? Oder liebaeugelt man mit der Fremdvergabe, weil man sich davon wirtschaftliche Vorteile erhofft?

Welche Zielsetzung ein Unternehmen auch immer verfolgen mag: In jedem Fall ist genau zu analysieren, mit welchen Einsparungen man rechnen kann und in welchen Bereichen Verbesserungen in der Leistungsqualitaet zu erwarten sind.

Zu beantworten sind diese Fragen indes nur, wenn sich Transparenz hinsichtlich der bisher erbrachten und kuenftig zu erbringenden Leistungen sowie der damit verbundenen Kosten herstellen laesst. Genau daran aber hapert es bei den meisten Anwendern.

In aller Regel ist daher im Rahmen eines geplanten Outsourcing erst einmal eine gruendliche Leistungs- und Kostenanalyse der zur Ausgliederung vorgesehenen Ressourcen vorzunehmen. Dazu gehoert zuallererst die Ermittlung der eingesetzten Systemkomponenten und ihrer Kosten: Mit welcher Hardware und mit welcher Systemsoftware wird gearbeitet? Wie intensiv ist die Nutzung? Wie sieht die Infrastruktur aus?

Auch die betroffenen Mitarbeiter sind einer Funktionsanalyse zu unterziehen. Hierdurch erfaehrt man nicht nur genauer, welche Taetigkeiten die einzelnen Personen ausueben, sondern auch, ob sie Mehrfachfunktionen wahrnehmen. Das ist besonders wichtig, wenn es darum geht, nur Teile der Informatik auszugliedern. So mancher Mitarbeiter ist nicht nur in diesen, sondern auch noch in anderen Bereichen taetig.

Die Leistungsanalyse zeigt auf, welche Leistungen die Informatik ueberhaupt erbringt. Dabei ist auch zu ermitteln, welche spezifischen Anforderungen einzelne Nutzerbereiche an den auszugliedernden Teil bisher gestellt haben und in Zukunft stellen werden. Hier ist ein besonderes Augenmerk auf die sogenannten kritischen Anwendungssysteme zu legen, die spezifische Anforderungen im Hinblick auf die Datensicherheit, die Verfuegbarkeit oder den Durchsatz stellen.

Zu ermitteln ist ferner, wie sich der Leistungsbedarf in den kommenden Jahren voraussichtlich entwickeln wird. Da Outsourcing-Vertraege in der Regel ueber einen Zeitraum von fuenf bis zehn Jahren abgeschlossen werden, ist dringend zu empfehlen, entsprechende Extrapolationen durchzufuehren.

Die meisten Anbieter versuchen, einen langfristigen Vertrag ueber zehn Jahre abzuschliessen. Anwender sollten normalerweise eine solche Vertragsdauer nicht akzeptieren, sondern nur auf etwa fuenf Jahre eingehen.

Andererseits laesst sich sowohl im Hinblick auf die Geschaeftsentwicklung als auch hinsichtlich des technologischen Fortschritts in der Informatik allenfalls ein Zeitraum von drei Jahren einigermassen exakt abschaetzen. Die Planer behelfen sich dann meistens damit, den Leistungsbedarf zunaechst fuer diese Jahre zu ermitteln und dann gemaess den neuen Erkenntnissen fortzuschreiben. Solche Extrapolationen sind ungemein wichtig -verlangt doch zum Beispiel allein die Herausgabe eines neuen Software-Releases bisweilen eine um 20 Prozent hoehere Rechnerkapazitaet.

Einsparungen: mindestens 20 Prozent der Kosten

Fuer den Vergleich des dann ermittelten internen Informatik-Budgets mit dem des Anbieters von Outsource-Diensten kann als Faustformel gelten: Die Kosteneinsparungen muessen mindestens 20 Prozent ausmachen, wenn sich das Outsourcing unter rein wirtschaftlichen Aspekten lohnen soll.

Denn zum einen weist das Anwender-Budget wegen der "Schatteninformatik" ohnehin Ungenauigkeiten auf. Andererseits ist mit einem hoeheren Aufwand fuer Administration und Controlling zu rechnen, da auch beim Outsourcing normalerweise die strategische Verantwortung fuer die Informatik beim Auftraggeber verbleibt. Darueber hinaus ist zu beachten, dass manche Kosten, die zuvor irgendwo versickerten, jetzt ans Tageslicht gelangen und vom Dienstleister berechnet werden.

Auf diese Phase der Leistungs- und Kostenanalyse folgt als Phase zwei das Grobkonzept mit der Vorbereitung zur Ausschreibung sowie der Ausschreibung selbst. In dieser Phase faellt die grundsaetzliche Entscheidung, welche Ressourcen im Unternehmen verbleiben und welche in Fremdregie uebergehen sollen. Dies gilt sowohl fuer die Organisation als auch fuer die technischen Kapazitaeten und das Personal.

Gerade in der Personalfrage ist besonderes Einfuehlungsvermoegen gefragt. Als eine der Kernregeln kann hier gelten: Sobald feststeht, welche Teile ins Outsourcing sollen, muss man mit den guten Fachkraeften ein offenes, klaerendes Gespraech fuehren. Ausserdem sollte der Betriebsrat von Anfang an eingebunden sein - und zwar unabhaengig von der rechtlichen Frage, ob es sich hier um eine Betriebsaenderung im Sinne von n 111 des Betriebsverfassungsgesetzes handelt oder nicht.

Dies ist nicht nur ein Gebot der Fairness, vielmehr wirkt man dadurch auch den Dunstschwaden aus der Geruechtekueche entgegen. Die koennen naemlich dazu fuehren, dass zuerst die guten Leute, die der Dienstleister uebernehmen wuerde und dem Unternehmen somit indirekt weiterhin zur Verfuegung stuenden, fluchtartig das Unternehmen verlassen.

Organisatorisch ist festzulegen, welchen Umfang die Leistungsuebernahme haben soll, wie sich die Ablaeufe gestalten und welche Steuerungsmechanismen wirksam sein sollen.

Die Schnittstellen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer spielen dabei eine wichtige Rolle. Hier ist auf seiten des Anwenders festzulegen, wer die verantwortliche Kontaktperson zum Dienstleister sein soll, wer bei neuen Anwendungsprojekten zustimmen muss und wer moeglicherweise ein Veto einlegen kann.

Vor allem aber muss klargestellt sein, wer die Verantwortung fuer die strategische Planung sowie die mittelfristige operative Planung und Steuerung der Verarbeitungsprozesse traegt. Diese kann in aller Regel nur beim Auftraggeber liegen. Der Dienstleister hat letztlich nur die Funktion einer "verlaengerten Werkbank".

Steht ein Outsourcing des Rechenzentrums zur Debatte, ist die Kenntnis des Lastverlaufs im Tagesprofil wichtig. Zum Beispiel kann ein Unternehmen, das seine Hauptlast im naechtlichen Batch-Betrieb abarbeitet, diese nunmehr kostenguenstig auf den nachts freien Ressourcen des Dienstleisters nutzen.

Zum technischen Konzept gehoert ferner die Festlegung, wo die Fremdleistung zu erbringen ist, welches Serviceniveau erwartet wird (Stichwort Verfuegbarkeit) und welche Ressourcen bereitzustellen sind. Dies ist insbesondere fuer die Kontinuitaet vorhandener Anwendungen unerlaesslich.

Alle diese Faktoren muessen im Grobkonzept ihren Niederschlag finden, das zugleich den Leitfaden fuer die Ausschreibung liefert, womit eine weitere Phase des Projekts beginnt. Die Ausschreibungsunterlagen muessen unmissverstaendlich formuliert sein, damit die Angebote vergleichbar bleiben. Zudem sollten sie den Umfang von 30 bis 40 Seiten keinesfalls ueberschreiten, da sonst eine qualifizierte Angebotsabgabe binnen vier Wochen nicht zu erwarten ist.

Auf diese recht kurzfristige Abgabe sollte ein Interessent naemlich in jedem Fall bestehen. Zum einen ist die Einhaltung dieser Frist ein Indiz fuer die Leistungsfaehigkeit eines Anbieters. Zum anderen spricht es sich in der Regel innerbetrieblich sehr rasch herum, dass ein Outsourcing beschlossen wurde.

Gehen dann die Angebote ein, wird man zum Teil gravierende Unterschiede feststellen. So wird es sicherlich Anbieter geben, die in ihrer Preiskalkulation pauschale Ansaetze bevorzugen. Zum Beispiel nach dem Motto: im ersten Jahr 20 Prozent unter dem Budget des Auftraggebers, im zweiten Jahr 22 Prozent, im dritten 25 Prozent und so fort. Dem Anbieter verschafft dieses Vorgehen die Moeglichkeit einer Mischkalkulation - mit der Konsequenz, dass der Kunde ihm nicht in die Karten schauen kann.

Mischkalkulationen und langen Angebotszeiten kann ein Unternehmen namentlich bei grossen Projekten durch ein Splitting entgegenwirken, also mittels separater Ausschreibungen fuer verschiedene Teilbereiche, beispielsweise fuer Rechenzentren, Netze, Anwendungsentwicklung etc. Sehr komplexe Outsourcing-Projekte lassen sich ohnehin nicht in einem Wurf durchfuehren - was allerdings nicht die Moeglichkeit ausschliesst, von Anbietern ein Komplettangebot zu verlangen.

Hueten sollte man sich in jedem Fall vor Dumping-Angeboten. Sie stammen haeufig von Newcomern und dienen hauptsaechlich dem Zweck, in den Markt hineinzukommen. Outsourcing ist dann erfolgreich, wenn beide Parteien ihren Nutzen haben. Zu knapp kalkulierte Vertraege fuehren zwangslaeufig dazu, dass der Diensteanbieter seine Leistung ueber kurz oder lang qualitativ oder quantitativ drosseln wird.

Die richtige Bewertung der Angebote gehoert zu den kritischsten Punkten eines Outsourcing-Projekts. Da die eigenen Mitarbeiter hier haeufig ueberfordert sind - nicht zuletzt auch, weil es ihnen an der noetigen Objektivitaet mangelt -, ist die Mitwirkung neutraler Experten zu empfehlen.

Nach Sichtung und Bewertung der Angebote findet die Auswahl des Anbieters statt, mit dem man kuenftig zusammengehen moechte. Sie fuehrt zum Letter of Intent (LOI), das heisst zur schriftlichen Erklaerung gegenueber dem Anbieter, dass man mit ihm in Vertragsverhandlungen treten moechte.

Gibt es wegen einer Aufspaltung des Projekts zwei LOI-Empfaenger, sollten beide voneinander wissen, da sie bei einem eventuellen Vertragsabschluss zusammenarbeiten muessten.

Auch ein solcher Letter of Intent darf inhaltlich nicht ueberfrachtet sein. Das Wichtigste muss auf maximal zehn Seiten stehen und binnen zwei Wochen mit dem Anbieter abgestimmt werden koennen. Dazu gehoeren auch Vereinbarungen ueber Vorinvestitionen, die der Anbieter im Interesse eines raschen Anlaufs nach Vertragsschluss taetigen muesste. Hier empfiehlt es sich, eine Hoechstsumme festzusetzen, die der mutmassliche Auftragnehmer im voraus investieren darf.

Fuer das eigentliche Vertragswerk gilt im uebrigen der gleiche Grundsatz wie fuer den Letter of Intent: moeglichst kurz und buendig, aber mit ausfuehrlichen Erlaeuterungen in Form von Anlagen. Fuer die konkrete Formulierung solcher Vertraege gibt es inzwischen spezialisierte Anwaelte.

*Juergen Bonn ist Senior-Berater bei der Diebold Deutschland GmbH.