GI schlägt Alarm: Viel zu wenige Studienplätze für Informatiker

Numerus clausus bedroht Wettbewerbsfähigkeit

12.02.1982

BONN (pi) - Einen dringenden Appell an die Öffentlichkeit, den bundesweiten Numerus clausus (NC) im für die Zukunft ausschlaggebenden Fach Informatik zu verhindern, richtete die Gesellschaft für Informatik (GI) jetzt in Bonn. Der NC würde bei 1,5 liegen. In diesem Jahr drängen sich bereits 2900 Erstsemester auf nur 2100 Studienplätzen. Sie seien aber mit Sicherheit nur die Hälfte des tatsächlichen Bedarfs an Diplom-lnformatikern, sagte Professor Dr. Gerhard Krüger, Karlsruhe, der Vizepräsident der 4000 Mitglieder zählenden Gesellschaft.

Professor Dr. Clemens Hackl, Präsident der GI und für IBM im Wissenschaftsbereich aktiv, zeigte die Notwendigkeit auf, angesichts der Weltwirtschaftslage in jeder Hinsicht in die Informatik zu investieren.

Trotz der gegenwärtig relativ schwachen Marksituation im Bereich Elektronik werde angenommen, daß sich der Weltmarkt von derzeit 350 Milliarden Dollar auf 850 Milliarden im Jahre 1991 entwickelt.

Bezüglich des Standes der Technik sei festzustellen, daß in der Bundesrepublik Deutschland die gleichen Spitzenprodukte an integrierten Schaltungen hergestellt werden wie in den USA und Japan. Für die nächsten Jahre sei jedoch ein harter Wettbewerb zwischen den USA, Japan, Westeuropa und den Schwellen- und Entwicklungsländern, beispielsweise Korea, Taiwan, Hongkong, Singapur zu erwarten. Dieser Wettbewerb zeichne sich bereits heute in den Prognosen zur Entwicklung der Handelsbilanzen ab, die in Japan und den Schwellenländern einen positiven Trend, hingegen in USA und Westeuropa einen negativen Trend vorhersagen.

Die volle Nutzung des Potentials der Mikroelektronik und die Behauptung im internationalen Wettbewerb setzt nach Hackls Ansicht voraus, daß

- eine leistungsfähige Software-Technologie zur Lösung der Programmierungsprobleme und zur Erschließung neuer Anwendungen eingesetzt werden kann;

- eine ausreichende Anzahl qualifizierter Fachkräfte in der Informatik und in einem breiten Spektrum von Anwendungsgebieten zur Verfügung steht und schließlich

- die neuen Techniken von einer breiten Öffentlichkeit angenommen und als selbstverständliches Arbeitsmittel am Arbeitsplatz oder im privaten Bereich genutzt werden.

Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt seien, führte Hackl weiter aus, sei sowohl ein Verlust von Arbeitsplätzen durch das Fehlen neuer Anwendungen und Produkte als auch der Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu befürchten.

Hackl zitierte vergleichende Studien in den hochentwickelten Industrieländern zur Rolle der Informationstechnologien. Sie zeigten ihre große Bedeutung für den Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Aus diesen Untersuchungen kann für die Bundesrepublik Deutschland erwartet werden, daß bis zum Ende diese Jahrzehnts

- 4 bis 5 Prozent aller Beschäftigten als qualifizierte Fachkräfte auf dem Gebiet der Informationstechnologie tätig sein werden

- zirka 15 Prozent aller Beschäftigten zusätzlich zu ihren fachspezifischen Kenntnissen über gute bis sehr gute Kenntnisse in Teilgebieten der Informationstechnologie verfügen und

- zirka 50 Prozent aller Beschäftigten mit Informationstechnologien soweit vertraut sind, daß sie diese Technologien an ihrem Arbeitsplatz als selbstverständliches Arbeitsmittel und Werkzeug betrachten.

Diese Zahlen zeigten, daß in den nächsten Jahren außerordentlich große Anforderungen an Forschung, Lehre und Ausbildung gestellt werden müßten, um mit der technischen Entwicklung Schritt halten zu können.

Professor Dr. Gerhard Krüger legte weiteres Zahlenmaterial vor, das den starken Bedarf an Diplom-Informatikern belegt. An sich erfreulich sei, daß die Zahl der Studienwilligen stetig zunehme. Die Informatik habe sich nämlich in gut zehn Jahren ihren Platz im Kreis der großen Studienfächer sichern können. Diese Entwicklung sei jetzt entscheidend bedroht. Nach dem Studentenandrang der Jahre 80/81 haben die meisten Universitäten (11 Hochschulen von 16 ein Vollstudium Informatik anbietenden Einrichtungen) für das laufende akademische Jahr 81/82 einen sogenannten örtlichen Numerus clausus eingeführt und viele Informatikbewerber abgewiesen.

So seien allein in Nordrhein-Westfalen bei 430 zugelassenen Bewerbern etwa 520 Bewerber für das Informatikstudium abgewiesen worden. Ähnliche Abweisequoten seien aus dem gesamten norddeutschen Raum (außer Berlin) bekannt, so daß eine vorsichtige Schätzung auf mindestens tausend abgelehnte Bewerber im Zulassungsverfahren im akademischen Jahr 1981/82 kommt.

An den süddeutschen Universitäten München, Erlangen-Nürnberg, Kaiserslautern, Karlsruhe und an der Universität Berlin, an denen keine Zulassungsbeschränkung in 81 /82 bestand, wurden Zulassungszahlen bis zu 240 Prozent der amtlich festgelegten Sollzahlen für einen Studentenjahrgang erreicht. Aus diesen Überlastzahlen schließt Krüger, daß die Nachfrage nach Informatikstudienplätzen bereits im Jahre 1981/82 nicht annähernd gedeckt werden konnte.

Die Forderung müßte also heißen, daß möglichst kurzfristig im Rahmen eines Sonderprogramms die Zahl der jährlich verfügbaren Plätze für Studienanfänger der Informatik von 2100 auf 4000 erhöht werden müßten.

Abschließend erklärte Krüger, er sähe durch die alarmierenden Verhältnisse an den Hochschulen sowohl die Qualität der Ausbildung als auch das für die internationale Wettbewerbsfähigkeit so entscheidende Schritthalten in der Forschung in der Informationstechnologien auf das schwerste gefährdet.

Die Gesellschaft für Informatik fordert eine sofortige wesentliche Erhöhung der Mittel für Forschung und Lehre sowie ein mittelfristiges Förderungsprogramm. Im einzelnen seien zur Abwendung des Numerus clausus sofort Mittel für Personal, Räume und Geräte bereitzustellen; ferner sei ein zweites "überregionales Forschungsprogramm Informatik (URFI)" notwendig und Mittel für eine Modernisierung und den Ausbau der Geräte-Ausstattung, solle die Informatik nicht in Provinzialität zurückfallen.