"Liebe Mama Siemens"

NSN-Mitarbeiter fühlen sich im Stich gelassen

01.02.2012
Tausende Mitarbeiter von Nokia Siemens fühlen sich angesichts der angekündigten Standortschließungen in Deutschland alleingelassen. Bei einer Demonstration in München forderten sie Siemens auf, Verantwortung für das Gemeinschaftsunternehmen zu übernehmen.

Siemens-Chef Peter Löscher stehen unbequeme Wochen bevor. Die IG Metall will ihn für die geplanten Standortschließungen bei dem Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks (NSN) in Deutschland in die Pflicht nehmen, durch die fast 3000 Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren sollen. In einer wütenden Rede kündigte Michael Leppek von der Gewerkschaft am Mittwoch in München massive Gegenwehr an und attackierte Löscher auch persönlich. In der Sprache des Top-Managers sei Nokia Siemens Networks vielleicht nur eine "nicht fortgeführte Aktivität". "Aber diese nicht-fortgeführte Aktivität wird Sie verfolgen: Auf Ihren Tennisplatz, in Ihr Restaurant, auf den Wittelsbacher Platz", rief er bei einer Prostkundgebung vor mehr als 2000 Beschäftigten.

Denn am Wittelsbacher Platz, in der feudalen Siemens-Zentrale mitten in München, sitzen aus Sicht vieler Mitarbeiter die Schuldigen für die Misere bei Nokia Siemens. Dort hatte das Management - damals unter Konzernchef Klaus Kleinfeld - im Jahr 2007 das einst so wichtige Telekommunikationsgeschäft in ein Joint Venture mit Nokia ausgelagert.

Den Mitarbeitern habe Siemens damals das Schlaraffenland versprochen, schimpfte Leppek - nun stünden sie vor dem Aus und Siemens widme sich längst neuen Geschäftsfeldern. "Siemens wollte uns nur loswerden", sagte der NSN-Betriebsratsvorsitzende Horst Schön. "Siemens darf die Mitarbeiter nicht auf die Straße schmeißen und entsorgen." Siemens äußerte sich nicht zu der Kritik. Ein Sprecher bekräftigte aber, die NSN-Beschäftigten bevorzugt einzustellen - sofern sie für offene Stellen im Konzern geeignet sind.

Vielen NSN-Mitarbeitern steht der Schock über die geplante Schließung des Standorts München mit derzeit 3600 Beschäftigten auch am Tag nach der Verkündung der Hiobsbotschaft noch ins Gesicht geschrieben. Einige kämpfen mit den Tränen. Dass es Einschnitte geben wird, wussten sie seit Monaten. Dass es aber so heftig kommt, war für die meisten ein Schock.

"Mit sowas hat man nicht gerechnet", sagt ein Telekommunikationstechniker, der mit seinen Kollegen aus dem NSN-Standort Augsburg zu der Demo in München angereist ist. 1976 hat er als Lehrling bei Siemens begonnen und war dann mit der Ausgliederung der Sparte im Jahr 2007 bei NSN gelandet. Nun steht er im Alter von 51 Jahren vor der Arbeitslosigkeit, denn auch Augsburg steht auf der Liste der Standorte, die geschlossen werden sollen. Auch viele der anderen Beschäftigten bei NSN sind älter als 50 und gelten damit auf dem Arbeitsmarkt als schwer vermittelbar.

Auf Pappschildern appellierten die Beschäftigten an Siemens, Verantwortung zu übernehmen: "Wir gehören zur Familie", hieß es darauf. Und: "Liebe Mama Siemens, bitte verstoße Deine NSN nicht." Auf einigen Schildern erinnerten die Mitarbeiter an das Drama mit BenQ: Siemens hatte sein verlustreiches Handygeschäft im Jahr 2005 an den Konzern aus Taiwan verkauft, ein Jahr später war BenQ Mobile in Deutschland pleite und 3000 Beschäftigte verloren ihren Job. Auch damals wurde vor allem die Zentrale in München hart getroffen. Nach erfolgloser Käufersuche kam zum Schluss sogar die Büroeinrichtung unter den Hammer. Soweit dürfe es bei NSN nicht kommen, sagt Gewerkschafter Leppek den frierenden Mitarbeitern, die ihn immer wieder mit Applaus unterbrechen. Jede Woche werde die IG Metall von nun an protestieren. "Das hier heute ist erst der Auftakt." (dpa/tc)