Novell verteidigt seine Linux-Strategie

04.10.2005
Trotz harter Kritik von Investoren will das Management Kurs halten.

Der September 2005 begann mit einem vernichtenden Urteil für Novell. "Das Unternehmen hat die nötigen Ressourcen, wesentlich profitabler zu sein, aber es fehlt an der Vision, Strategie und Durchsetzungskraft", schrieb Jason Maynard, Analyst bei der Investmentbank Credit Suisse First Boston (CSFB), in einem offenen Brief an Novells Verwaltungsrat. Die Banker, die Ende August rund ein Prozent der Novell-Aktien hielten, forderten radikale Maßnahmen: Kosten senken, nichtstrategische Geschäftsteile abspalten, eigene Aktien zurückkaufen. Auch die Investmentgesellschaft Blum Capital Partners, mit fünf Prozent an Novell beteiligt, blies in dieses Horn, verzichtete aber auf die Forderung der CSFB-Kollegen, das Management-Team um Novell-CEO Jack Messman kurzerhand abzusetzen.

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*81626: Novell beugt sich dem Druck der Investoren;

*81104: Strategiewechsel bei Novell gefordert;

*80847: Credit Suisse kritisiert Novell;

*80440: Novells Quartalsergebnis.

Messman gibt nach

Die Drohungen blieben nicht ohne Wirkung. Ende September kündigte Messman an, Novell werde innerhalb der kommenden zwölf Monate eigene Aktien im Wert von 200 Millionen Dollar zurückkaufen, um so den Kurs zu stärken. Noch im Juni hatte er eine diesbezügliche Forderung von Blum Capital abgelehnt. Beobachter rieben sich verwundert die Augen: Haben jetzt Investment-Banker das Sagen in der traditionsreichen Netware-Company?

Marina Walser, Marketing-Chefin bei der deutschen Novell-Tochter, mag das so nicht stehen lassen: Natürlich höre man den Investoren zu und nehme deren Meinung ernst, aber: "Die Leitung des Unternehmens liegt bei Jack Messman."

Betrachtet man die aktuellen Geschäftsergebnisse, haben die Anteilseigner durchaus Grund zur Sorge. Im dritten Geschäftsquartal 2005 verbuchte Novell einen Umsatzrückgang um 4,7 Prozent auf 290 Millionen Dollar. Die Lizenzerlöse brachen um 20 Prozent ein, der Nettogewinn lag bei mageren 2,1 Millionen Dollar. Noch immer gelinge es nicht, das rückläufige Kerngeschäft durch Einnahmen im Open-Source-Sektor zu kompensieren, musste Finanzchef Joseph Tibbets einräumen. Mit 44 Millionen Dollar trugen Linux-bezogene Produkte nur 15 Prozent zum Gesamtumsatz bei. Konkurrent Red Hat dagegen trumpfte mit einem unerwartet guten Ergebnis auf. Im Ende August abgelaufenen Quartal steigerte der Linux-Distributor den Umsatz um 42 Prozent auf 65,7 Millionen Dollar, der Nettogewinn wuchs um 35 Prozent (siehe Seite 13).

Manager gefeuert

Dass in Sachen Linux längst nicht alles rund läuft bei Novell, belegen die zahlreichen Wechsel im Management. Im Mai feuerte das US-Management Europa-Chef Richard Seibt, den ehemaligen CEO der Suse Linux AG, die Novell 2003 übernommen hatte. Auch Horst Nebgen, der für Novells Deutschland-Geschäft verantwortlich zeichnete, musste gehen. Sein Nachfolger wurde Volker Smid, als General Manager Zentraleuropa zuständig für die Regionen Deutschland, Österreich und Osteuropa. Schon zuvor hatte Messman Vice Chairman Chris Stone, Chief Technology Officer Alan Nugent und Marketing-Chefin Debra Bergevine den Laufpass gegeben.

Was gehört zum Kerngeschäft?

Andreas Zilch, Vorstandsvorsitzender der Experton Group, glaubt dennoch an den Erfolg des Linux-Kurses: "Novells Strategie ist hundertprozentig richtig, auch wenn einiges langsamer geht, als es viele wollen." Man müsse bei der Beurteilung berücksichtigen, wo das Unternehmen herkomme: "Vor drei bis vier Jahren war Novell definitiv totgesagt." Trotzdem hält Zilch einige Vorschläge der Investoren für bedenkenswert: "Eine Konzentration aufs Kerngeschäft würde Novell voranbringen." Dazu zählt für ihn vor allem Infrastruktur-Software einschließlich der Identity-Management-Produkte, nicht aber Anwendungen, wie sie Novell etwa mit "Groupwise" offeriert.

Marketing-Frau Walser verteidigt das breite Portfolio: "Ein Wettbewerbsvorteil gegenüber Red Hat liegt ja gerade darin, dass Novell nicht nur als Linux-Distributor agiert, sondern eine Kombination aus Open- und Closed-Source-Produkten anbietet." Diese Strategie, von Novell als "Mixed Source" bezeichnet, werde man weiter verfolgen. Ein Beispiel dafür sei der "Open Enterprise Server", der sowohl einen Netware- als auch einen Linux-Kernel enthält, aber auch die System-Management-Tools der "Zenworks"-Suite. Sie ließen sich in heterogenen IT-Umgebungen einsetzen und entsprächen damit den Kundenbedürfnissen.

Altlast Netware

Ginge es nach dem Willen von Blum Capital, müsste sich Novell nicht nur von Groupwise und Zenworks trennen, sondern auch vom rückläufigen Netware-Geschäft und der Beratungssparte. Carlo Velten, Linux-Spezialist beim Kasseler Marktforschungs- und Beratungshaus Techconsult, kann diesen Empfehlungen nichts abgewinnen: "Eine Abspaltung würde sich extrem negativ auf die Kundenbindung und das Vertrauen der Anwender auswirken." Vor allem in Europa würden Altprodukte wie Netware noch hoch geschätzt: "Novells Strategie, Altkunden langsam auf Linux-Produkte zu bringen, würde durch eine Abtrennung konterkariert."

Allein in Deutschland arbeiten nach Techconsult-Angaben noch fast 150 000 Netware-Installationen, ein Großteil nutzt Release 5 oder eine noch ältere Version. Die Zahl der weltweit installierten Netware-Server gibt Novell mit "mehreren Millionen" an; im Interview mit der COMPUTERWOCHE sprach Deutschland-Chef Smid von rund 90 Millionen Netware-Anwendern. Wie viele Altkunden bereits auf Open Enterprise Server migriert sind, will der Hersteller nicht verraten.

Umstrittene Beratungssparte

Ob ein Verkauf der Beratungssparte Novell helfen würde, ist umstritten. Nach Meinung Zilchs passt sie eigentlich kaum ins Portfolio: "Was bringt der auf ,Lösungen’ ausgerichtete Consulting-Bereich strategisch für das Business? Novell ist im Geschäft mit Infrastruktur-Komponenten." Das klassische Beratungsgeschäft - vormals Cambridge Technology Partners - aber drehe sich um Lösungen wie CRM, Portale oder E-Commerce. Novell-Manager Smid sieht das anders: "Die Berater sind Enabler für das Geschäft und damit eine sinnvolle Ergänzung." So erforderten beispielsweise Identity-Management-Projekte auch Wissen in anderen IT-Bereichen, um etwa ein SAP-System anzubinden. Zudem stünden Fragen zu Geschäftsprozessen häufig am Anfang solcher Vorhaben. Im dritten Quartal 2005 erwirtschaftete Novell im Beratungsgeschäft immerhin einen Umsatz von 46 Millionen Dollar. Das entspricht einem Anteil von 16 Prozent an den gesamten Einnahmen, ein Prozent mehr, als die Linux-Produkte beisteuern.

Die harsche Kritik am Novell-Management hält Techconsult Analyst Velten ohnehin für überzogen. Nach seiner Einschätzung hat die Führungsriege "einen guten Job gemacht", als es darum ging, Kunden den Weg von den alten Systemen auf Linux-Plattformen zu erklären. In ihrer Analyse berücksichtigten die Investment-Banker zu wenig die technischen Zusammenhänge; sie setzten ausschließlich auf kurzfristige Effekte wie einen Verkauf von Geschäftsteilen. Velten: "Novell schafft es nur langfristig, die Kunden auf eine neue Plattform zu bringen."