Plattformunabhängig in die Networking-Zukunft

Novell sucht noch seinen neuen Platz im E-Business

04.08.2000
MÜNCHEN - Umsatzeinbrüche, fallende Aktienkurse, der einstige Networking-Primus befindet sich zur Zeit in turbulenter See. Meistern will Novell diese Herausforderungen mit den vier neuen Geschäftsfeldern Net Management, Net Directory, Net Content und Customer Services. Mit Deutschland-Chef Horst Nebgen sprach CW-Redakteur Jürgen Hill.

CW: Die Novell-Aktie bewegt sich seit längerem um ihr 52-Wochen-Tief. Vertrauen die Anleger dem Unternehmen nicht mehr?

NEBGEN: Nein, so einfach ist das nicht. Die Anleger haben sehr wohl Vertrauen zu Novell, denn selbst zu diesem Preis werden viele Novell-Papiere gekauft. Unsere Kunden ermuntern uns, den eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen.

CW: Sie spielen auf die neuen Geschäftsfelder rund um E-Business und Internet an. Fehlen Ihnen hier nicht schlagkräftige Partner, um sich im Markt zu positionieren?

NEBGEN: Das sehe ich nicht so, schließlich haben wir einige sehr interessante Partnerschaften geschlossen. In einem Abkommen mit dem Internet-Beratungshaus March-First, dem Zusammenschluss von Whitman Hart und US-Web, geht es primär darum, Verzeichnisdienste rund um das Internet als Vehikel zur Veränderung interner DV-Prozesse zu implementieren. Dabei helfen uns weltweit 600 Berater von March-First, die auf die entsprechenden Novell-Technologien geschult wurden. Andere Partnerschaften zielen auf das gesamte Security-Umfeld. Hier ist Norcom aufgrund seines Großkundengeschäfts ein interessanter Gefährte. Gemeinsam binden wir unsere Directory-Technologie in diese Sicherheitslösungen ein.

CW: Ihre Betonung liegt auf Consulting und Security. Mit dem E-Commerce sind aber auch Themen wie Supply-Chain-Management, Customer-Relationship-Management etc. verbunden.

NEBGEN: Richtig. Aber dies ist ein sehr beratungsintensiver Bereich. Deshalb investieren wir intensiv in das Consulting und bauen unsere externen Kooperationen aus. Letztlich besteht eine E-Commerce-Plattform aus den Komponenten Technologie und Beratung. Aus technischer Sicht liefern wir mit unseren Produkten die Infrastruktur, um überhaupt Geschäfte abwickeln zu können. Dazu kommt dann die Beratungsleistung, um diese Technologie in Anwendernutzen umzusetzen.

CW: Welche Konsequenzen haben die neuen Geschäftsfelder und die vier Business-Units für Novell?

NEBGEN: Falls Sie auf Entlassungen anspielen - keine. Ebenso werden wir künftig nicht vier Verkäufer zum Anwender schicken, nur weil wir vier Business Units haben. Auf der anderen Seite bietet uns die neue Struktur die Chance, Kunden zu adressieren, die bislang kein Netware einsetzen. Nehmen Sie nur das Thema Internet-Service-Provider (ISPs), Application-Service-Provider (ASPs) und die Telcos. Hier eröffnet sich für unsere Verzeichnisdienste ein Riesenmarkt, wenn ein Unternehmen seine Kunden via Internet anbinden will. Ich nenne nur die Banken, Versicherungen oder Mobilfunkbetreiber, die für Millionen von Kunden einen skalierbaren Verzeichnisdienst benötigen.

CW: Schön, die Company kann neue Themen besetzen. Gerade WAP und ein Directory passen doch gut zusammen?

NEBGEN: Völlig richtig. Viele Kunden im TK-Umfeld sehen das genauso. Wir sind in einigen großen Projekten im europäischen Umfeld engagiert, um neue Themen und Geschäftsfelder zu besetzen. Es handelt sich um sehr komplexe, an die jeweiligen Bedürfnisse angepasste Projekte. Deshalb wird es noch ein Weile dauern, bis wir konkrete Abschlüsse haben.

CW: Blicken wir auf die Business Unit Costumer Service. Machen Sie damit nicht dem Fachhandel Konkurrenz, der nicht allein vom Boxenverkauf lebt?

NEBGEN: Genau umgekehrt, wir bieten dem Fachhändler die Möglichkeit, an Geschäfte heranzukommen, die er alleine nicht erschließen kann. Durch unsere Consulting-Leistungen eröffnen wir ihm neue Felder, so dass beide Seiten davon profitieren.

CW: Wenn Sie in die Zukunft sehen, wann lösen die Business Units Net Directory und Net Content Netware als Cashcow ab?

NEBGEN: Das dauert noch eine Weile. Heute erwirtschaftet die Company weltweit noch etwas mehr als 50 Prozent des Umsatzes mit Netware. Dieser Bereich spielt auch in Zukunft eine wichtige Rolle. Schließlich ist Netware aus unserer Sicht noch heute das beste Netzwerk-Betriebssystem aus Gründen wie Sicherheit, Skalierbarkeit, Perfomance oder Handhabung. Alles Punkte, die im Internet- und E-Commerce-Bereich gefordert werden. Dennoch wird das Wachstum aus anderen Bereichen kommen müssen.

CW: Sie sprechen die Bedeutung von Netware als Plattform für das E-Business an. In Novells Vision eines One Net ist Netware aber nur noch eine Plattform unter vielen.

NEBGEN: Die Anwender setzen heute eine Vielzahl von Plattformen ein, wie etwa Windows NT, Windows 2000, Solaris, Linux und Netware, um nur die dominierenden zu nennen. Letztlich haben sich die Anwender selbst eine heterogene Welt geschaffen in der Netware eine Plattform unter vielen ist. Nun suchen die Benutzer nach Lösungen, um diese heterogene Welt zusammenzufassen. Und hier liegt die Stärke von Novell mit unserem Verzeichnisdienst, den wir vor etwa neun Monaten plattformunabhängig gestaltet haben. Sprich, wir transportierten die Novell Directory Services (NDS) auf andere Plattformen. Für Novell eröffnet dies die Möglichkeit, mit Anwendern Gespräche zu führen, die keine Netware haben. Die alte Formel Novell gleich Netware gilt nicht mehr. Novell von heute steht für "One Net" mit vielen Netzservices.

CW: Unabhängig von dem neuen Novell-Credo, mehr als Netware zu sein - was darf die alte Netware-Fangemeinde erwarten?

NEBGEN: Zu Netware 6 kann ich zum jetzigen Zeitpunkt leider keine Aussagen treffen. Jede Entwicklung, die Novell in diesem Bereich betreibt, konzentriert sich darauf, Bestandskunden, einzubinden und neue Kunden zu erschließen.

CW: E-Business spielt angeblich eine große Rolle in der neuen Novell. Von Partnern ist, lassen wir einmal die genannten unberücksichtigt, nicht viel zu sehen.

NEBGEN: Nehmen Sie nur Peoplesoft oder Lotus, mit denen wir in Sachen Single-Sign-on für Notes zusammenarbeiten. Wir haben erkannt, dass wir Partner benötigen, und ihre Zahl steigt ständig.

CW: Wenn Novell immer mehr Partner gewinnt, wo bleiben die Directory-Konnektoren für Zeiterfassung, Zugangssteuerung, Kassensysteme etc.? Ohne diese bietet ein Meta-Directory kaum einen Mehrwert.

NEBGEN: Sie haben recht, das ist ein Bereich, der sich erst entwickelt. Allerdings teile ich Ihren Standpunkt nicht ganz. Auf der einen Seite werden uns die fehlenden Konnektoren vorgehalten, auf der anderen Seite heißt es immer wieder, wir seien mit unserer Technologie dem Markt voraus. Letztlich müssen wir die Produkte so anbieten, wie sie den Bedürfnissen der Anwender entsprechen.

CW: Bei Ihren Wettbewerbern sind diese Systeme aber bereits in die Directories eingebunden.

NEBGEN: Wenn es um die praktische Realisierung von Directory Services auf unterschiedlichen Plattformen geht, haben wir die Nase vorn. Gerade unsere Strategie, nur Produkte anzukündigen, die wir auch zum versprochenen Zeitpunkt auf den Markt bringen, hat uns viel Vertrauen eingebracht.

CW: Stichwort Vertrauen, Ihre Strategie spricht da eine andere Sprache. Vor Jahren verkaufte Novell Tuxedo, weil eine Transaktionsplattform nicht ins Programm passte. Nun besetzen Sie mit I-Chain wieder das Thema Middleware...

NEBGEN: Vor drei Jahren war es eine richtige Entscheidung, Tuxedo zu verkaufen. Damals konzentrierte sich die Company wieder auf ihre Kernkompetenzen im Networking. Dabei mussten wir Entscheidungen treffen, die nicht immer für alle hundertprozentig nachvollziehbar waren. Mittlerweile hat sich der Markt extrem gewandelt, und heute denken die Anwender darüber nach, Geschäfte übers Internet abzuwickeln. Deshalb macht eine Transaktionsplattform wie I-Chain mit dem Fokus auf das Internet Sinn.

CW: Zurück zu Ihrer Kernkompetenz, dem Directory. Sie vollziehen mit Dir-XML den Wechsel vom LAN-Business ins Corporate Networking. Wie wollen Sie den bisherigen Platzhirschen wie Isocor/Critical Path oder Siemens die angestammten Reviere abjagen?

NEBGEN: Der Verzeichnisdienst-Markt ist gigantisch groß und entwickelt sich gerade erst richtig. Dieses Geschäft ist noch nicht einmal zu zehn Prozent besetzt oder verteilt. Hier haben wir mit unserem E-Directory eine gute Ausgangssituation, neue Kunden zu gewinnen, die kein Netware einsetzen.