Novell feilt wieder an der Strategie

02.09.2002
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Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Seit Jahren pendelt Novell zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Aufschwung und Konsolidierung. Dass es die Firma noch gibt, grenzt für viele Beobachter an ein Wunder. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger.

Horst Nebgen, der Deutschland-Chef von Novell kann sich über gute Geschäfte freuen.

Im Februar 1999, als es noch aufwärts ging mit der IT-Branche, zitierte die „Süddeutsche Zeitung“ den damaligen Chef von Novell Deutschland, Andreas Zeitler: „Vor eineinhalb Jahren musste ich mir immer die Frage anhören: Wie lange wird es Novell noch geben? Heute fragt niemand mehr.“ Mit Abstrichen hat der letzte Satz bis jetzt seine Gültigkeit behalten, wenn auch nicht so, wie von Zeitler vorgesehen - das generelle Interesse an der Zukunft von Novell hat spürbar nachgelassen.

An der Börse war die Nachfrage nach Aktien der Softwerker in den letzten Monaten derart gering, dass die Firma am 13. August nur noch eine Marktkapitalisierung von 575 Millionen Dollar hatte - so wenig wie noch nie zuvor. Dies ist umso verwunderlicher, weil Novell über liquide Mittel von mehr als 600 Millionen Dollar verfügt. Der Rest der Firma - etwa Gebäude, Einrichtungen oder das intellektuelle Kapital - galt bei Investoren anscheinend als wertlos. Von der viel zitierten Phantasie bezüglich der Entwicklung eines Unternehmens und seiner Aktie konnte längst keine Rede mehr sein.

Dabei war Novell stets seiner Zeit voraus, zumindest was „Visionen“ betraf: Unternehmensgründer Raymond Noorda prophezeite eine vernetzte Menschheit lange bevor das Internet seinen Siegeszug antrat. Nicht nachvollziehbar war jedoch die Strategie, mit der die Firma etwa ihren technologisch führenden Verzeichnisdienst „Netware Directory Services“ (NDS) vermarktete. Dieser wurde mehrfach umbenannt, was nicht dazu beigetragen hat, das Verständnis und den Bedarf der Anwender für derartige Tools zu wecken. Auch die „Visitenkarte für den Cyberspace“ namens „Digital Me“ von 1999 blieb hinter den Erwartungen zurück. Heute streiten sich statt dessen Sun und Microsoft mit „Liberty Alliance“ und „Passport“ um den gerade entstehenden Markt.

Vor allem aber bei Übernahmen bewies die Company kein glückliches Händchen: 1991 wurde „Das bessere DOS“ für 80 Millionen Dollar gekauft, danach folgte ein kurzer Ausflug in die Unix-Welt (knapp 600 Millionen Dollar), und bei der Übernahme von „Wordperfect“ wurden 1994 rund 1,4 Milliarden Dollar auf den Tisch gelegt; zudem kaufte man „Quattro Pro“ dazu sowie eine Vertriebslizenz der Datenbank „Paradox“ für 145 Millionen Dollar. Der Erzfeind Microsoft sollte an allen Fronten angegriffen werden, was jedoch in einem mittelschweren Desaster endete: „The Greater Novell“ und das geplante Betriebssystem „Super NOS“ blieben in der Schublade.

Statt der Expansion besann sich die Company nach dem Rückzug von Noorda wieder auf ihre Kernkompetenz: 1995 wurde „Netware everywhere“ vom neuen Chef Robert Frankenberg ausgerufen, bis zur Jahrtausendwende sollte die Zahl der Netware-Nutzer weltweit von 80 Millionen auf eine Milliarde steigen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Microsoft die Schlacht um den Desktop bereits gewonnen und schickte sich an, auch die Server-Bastion anzugreifen.

Die Konzentration auf Netware war damals die vielleicht letzte Chance; sie bedeutete im Nachhinein zugleich aber auch ein großes Risiko für Novell - weil beide Namen zu Synonymen wurden. Als es schließlich seit 2000 mit dem Betriebssystem abwärts ging, sank auch der Stern des „Roten Riesen“: „Die Branche sah, dass Netware stirbt, und folgerte daraus, dass auch Novell bedroht ist“, beschreibt Research Director John Enck von Gartner das heutige Dilemma der Softwerker.

Daher war es umso überraschender, dass die Company ihr drittes Fiskalquartal (Ende: 31. Juli) mit Profiten abgeschlossen hat und den Verfall des Netware-Geschäfts stoppen konnte. Der Nettogewinn belief sich auf zehn Millionen Dollar, eingenommen wurden 282 Millionen Dollar. Die Umsätze mit Netware kletterten nach 18 Monaten erstmals wieder gegenüber dem Vorquartal um zwei Prozent auf 89 Millionen Dollar.

Umsatzwachstum in Europa

Vor allem der europäische Raum sorgte für das gute Resultat, hier legten die Umsätze gegenüber dem Vorquartal um elf Prozent zu. Noch besser entwickelte sich das Geschäft in Deutschland, berichtet Novell-Geschäftsführer Horst Nebgen, ohne genaue Zahlen zu nennen. Ob die positive Entwicklung an der seit November 2001 verfügbaren Version 6 von Netware festzumachen ist, oder ob die heiß diskutierte Lizenzpolitik Microsofts dafür verantwortlich ist, will er nicht bewerten: „Ich denke, dass wir einen guten Job gemacht haben“, relativiert Nebgen den Wettbewerb mit dem einstigen Erzfeind. Die Strategie, die vor einigen Jahren eingeleitet worden war, führe nun zu guten Ergebnissen, lautet seine Bilanz.

In der Tat hat es die Company unter ihrem neuen CEO Jack Messman verstanden, sich ein zeitgemäßeres Profil zuzulegen. Messman war Chef von Cambridge und hatte 2001 den zuletzt glücklos amtierenden Novell-CEO Eric Schmidt abgelöst. Allein durch die Übernahme der Consultants konnte die Firma im dritten Quartal das Servicegeschäft auf 74 Millionen Dollar verdoppeln. Und auch die Abhängigkeit von Netware wurde zurückgefahren: 57 Prozent der Lizenzeinnahmen erzielte Novell im vergangenen Berichtszeitraum mit Programmen wie „Zenworks“ oder „DirXML“.

Dass sich die Firma damit auf einem guten Weg befindet, bestätigt auch Gartner-Analyst Enck, allerdings „wird sich ihre Zukunft deutlich von der Vergangenheit unterscheiden.“ Die Softwerker müssen dafür seiner Meinung nach versuchen, den Wechsel auf plattformübergreifende Lösungen konsequent zu verfolgen. Dies umfasst Directories, Meta-Directories, Web-Services, Portale und nicht zuletzt Dienstleistungen, um die Systeme in den Unternehmen zu implementieren. Ob es sich Novell dabei leisten kann, die Programme Netware und Groupwise in der alten Weise weiterzupflegen, bezweifelt Enck jedoch: „Mit diesem Gewicht um den Hals ist es fraglich, ob sie den Sprung auf die andere Seite schaffen.“

Einfach wird der Umbau nicht, doch mit der Übernahme des Java-Pioniers Silverstream im Juli für 210 Millionen Dollar hat Novell zumindest wieder eine Vision zu bieten: Der Aufbau einer „Advanced Integration Architecture“ für die „One-Net“-Strategie, in der Netware mittels Web-Services angereichert werden soll. „Man muss jeden Tag um das Vertrauen der Kunden kämpfen“, beschreibt Nebgen die Situation der Company. An den Börsen hat sich das letzte Quartalsergebnis immerhin positiv auf das Vertrauen der Investoren ausgewirkt, der Aktienkurs schoss an einem Tag über 30 Prozent nach oben. Nun ist Microsoft nur noch 280 mal soviel wert wie Novell.